Atomkatastrophe schickt Weltbörsen auf Talfahrt

Nikkei

Elektronische Anzeige mit Börsenkursen in Tokio.

Frankfurt am Main – Die Atomkatastrophe in Japan hat die Börsen am Dienstag weltweit auf Talfahrt geschickt. In Tokio kam es zu Panikverkäufen – dort fiel der Leitindex Nikkei 225 zeitweise mehr als 14 Prozent. In Deutschland stürzte der Aktienmarkt auf den tiefsten Stand seit Oktober 2010. Auch die Devisen- und Rentenmärkte wurden jetzt voll von den fast stündlich neuen Hiobsbotschaften aus Japan erfasst.

Marktstratege David Buik von BG Partners sprach angesichts der bedrohlichen Lage in dem Atommeiler Fukushima Eins von einem «Anfall unkontrollierter Angst» unter Anlegern. Die allgemeine Unsicherheit führte zu hohen Zuflüssen in als sicher geltende Papiere wie deutsche und US-amerikanische Staatsanleihen. Auch am Devisenmarkt setzte eine Bewegung in «sichere Häfen» wie den US-Dollar und den Schweizer Franken ein. Der Euro wurde umgekehrt belastet und gab zum Dollar zeitweise um mehr als einen Cent nach. Der Yen hält sich gleichwohl auf hohem Niveau. «Die Katastrophe historischen Ausmasses in Japan lässt das Tagesgeschäft verblassen», kommentierte die HSH Nordbank.

Alle Nikkei-225-Werte im Minus
Der Nikkei-225-Index rutschte am Dienstag um 10,55 Prozent auf 8.605,15 Punkte ab. Das war der grösste Kursverlust seit Oktober 2008, kein einziger der 225 Nikkei-Werte schloss im Plus. Seit den jüngsten Höchstständen von Mitte Februar hat der Nikkei nunmehr knapp 21 Prozent verloren. Damit sei der Leitindex in einen sogenannten Bärenmarkt gefallen, sagte Händler Chris Weston von IG Markets. Anleger hätten nahezu alles verkauft, was sich noch an Aktien in ihren Portfolios befunden habe. In Tokio kamen am Dienstag die Aktien aller Branchen regelrecht unter die Räder, nachdem am Vortag unter anderem die Bauwerte noch ein Kursplus verbucht hatten. Die Papiere des Autobauers Toyota zum Beispiel fielen um 7,40 Prozent auf 3.065 Yen. Der Konzern stellt seine Produktion in allen japanischen Werken bis mindestens Mittwoch ein. Die Aktien von Tokyo Electric Power (Tepco) , dem Betreiber der von der Katastrophe betroffenen Anlagen in Fukushima, und die Papiere von Toshiba , das einige Reaktoren des Kraftwerks produziert hat, wurden nicht gehandelt – es gab schlichtweg zu viele Verkäufer und so gut wie keine Interessenten.

Europäische und US-Märkte klar im Minus
In China büsste der Leitindex Shanghai Composite am Ende 1,41 Prozent ein. Deutlicher als noch zum Wochenauftakt fiel auch das Minus an den europäischen Aktienmärkten aus. Der EuroStoxx 50 rutschte zuletzt um 2,64 Prozent auf 2.776,73 Punkte ab, erholte sich dabei aber etwas von seinen Tiefsständen. Zwischenzeitlich stand der Leitindex so tief wie seit Dezember vergangenen Jahres nicht mehr. Auch der Cac 40 in Paris und der FTSE 100 in London sackten ab. Kräftig nach unten ging es auch an den US-Börsen: Der Leitindex Dow Jones büsste rund zwei Stunden nach Handelsstart 1,73 Prozent auf 11.786,01 Punkte ein und auch an der Technologiebörse Nasdaq rutschten die Indizes um rund zwei Prozent ab. Der massive Ausverkauf am japanischen Aktienmarkt deutet laut Silvia Quandt Research auf einen erheblichen Vertrauensverlust und «Panikverkäufe» angesichts der Probleme in einigen Atomkraftwerken hin. Die meisten Vermögenswerte auch ausländischer Investoren befänden sich in Tokio, und die Anleger befürchteten Wertminderungen durch die radioaktive Strahlung, schrieb Analyst Ralf Grönemeyer.

Eher kurzfristig Auswirkungen auf Märkte erwartet
Andere Experten wiederum bezeichneten die Kursverluste teilweise als übertrieben. Nomura-Analyst Alexis Albert wies beispielsweise darauf hin, dass sich die Auswirkung der Katastrophe auf die Umsätze für die Autokonzerne weltweit in Grenzen halten und 2,4 Prozent nicht übersteigen dürfte. Ein anderer Börsianer meinte, dass in den vom Erdbeben und Tsunami am stärksten betroffenen Gebiet im Nordosten Japans kaum wichtige Industrien angesiedelt seien. Stratege Mikio Kumada von LGT Capital betonte, dass verlässliche Prognosen angesichts der nach wie vor ungeklärten Situation in den Kraftwerken schwer fielen. Nach derzeitiger Einschätzung sollten die Auswirkungen auf die Finanzmärkte eher kurzfristiger Natur sein. «Zu diesem Schluss kommt, wer die Börsenentwicklung nach vergangenen Naturkatastrophen analysiert», sagte er.

Klaffende Löcher in Reaktor 4 von Fukushima
Für grosse Unruhe hatten zuletzt Medienberichte gesorgt, wonach in der Wand des Reaktors 4 des Atomkraftwerks Fukushima Eins zwei acht Quadratmeter grosse Löcher klaffen. Zudem war in Tokio eine erhöhte Radioaktivität gemessen worden. Die japanische Notenbank hatte indes ihre Finanzspritzen abermals aufgestockt, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Die japanische Nachrichtenagentur Kyodo nannte als Sofortmassnahme der Notenbank eine Zahl von acht Billionen Yen (rund 70 Milliarden Euro). Am Vortag hatte die Summe bei 15 Billionen Yen gelegen. Damit hatten die Währungshüter so viel kurzfristige Mittel wie noch nie an einem Tag zur Verfügung gestellt. (awp/mc/ps)

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