US-Schluss: Heftige Verluste – Powell facht Zinsangst an
New York – Die von der Notenbank der Vereinigten Staaten angekündigten weiteren Leitzinsanhebungen haben die US-Börsen am Freitag heftig unter Druck gesetzt. Der Leitindex Dow Jones Industrial weitete seine Verluste im Handelsverlauf sukzessive aus und schloss 3,03 Prozent im Minus bei 32’283,40 Punkten. Damit pulverisierte er nicht nur die Erholung der letzten zwei Handelstage – angesichts der vorangegangenen Kursabschläge verbuchte er ein Wochenminus von 4,2 Prozent.
Der marktbreite S&P 500 büsste am Freitag 3,37 Prozent auf 4057,66 Punkte ein. Der technologielastige Nasdaq 100 sackte letztlich um 4,10 Prozent auf 12’605,17 Zähler ab. Das bedeutete für die beiden Indizes jeweils den grössten Tagesverlust seit über neun Jahren. Viele Technologiefirmen sind zur Finanzierung ihrer Wachstums stärker von Krediten abhängig als Unternehmen aus traditionelleren Branchen und entsprechend verwundbar bei steigenden Zinsen.
«Die Wiederherstellung der Preisstabilität wird wahrscheinlich die Fortsetzung einer restriktiven Geldpolitik für einige Zeit notwendig machen», sagte Fed-Chef Jerome Powell im Rahmen der Notenbankkonferenz von Jackson Hole. Zudem spreche die historische Erfahrung dagegen, die Geldpolitik zu früh zu lockern.
Powell gab jedoch noch keine klaren Signale für die nächste Zusammenkunft. «Unsere Entscheidung auf der September-Sitzung wird von der Gesamtheit der eingehenden Daten und den sich entwickelnden Aussichten abhängen», sagte der Notenbanker. Es könnte jedoch ein erneut «aussergewöhnlich grosser» Zinsschritt notwendig werden. An den Märkten wird spekuliert, ob die Währungshüter den Leitzins um 0,50 oder 0,75 Prozentpunkte anheben werden.
Aktuelle Daten zeigten, dass die Konsumausgaben und die privaten Einkommen der US-Bürger im Juli kaum noch gestiegen sind. Ausserdem legte ein auf den Konsumausgaben basierender Preisindex im Jahresvergleich weniger stark zu als im Vormonat. Die US-Notenbank Fed orientiert sich bei ihrer Geldpolitik am Preisindikator PCE, der im Juli niedriger war als die allgemeine Inflationsrate. Derweil hellte sich die Stimmung der US-Verbraucher im August stärker als erwartet auf, wie das von der Universität Michigan erhobene Konsumklima belegt.
Unternehmensseitig sorgte eine Vielzahl von Nachrichten für Kursausschläge. Die Aktien von Electronic Arts blieben mit einem Plus von letztlich gut dreieinhalb Prozent deutlich hinter ihrer vorbörslichen Entwicklung zurück, wenngleich das immer noch für den Spitzenplatz im Nasdaq 100 reichte. Zunächst hatten US-Medien über ein milliardenschweres Kaufgebot von Amazon berichtet. Doch dann hiess es beim Fernsehsender «CNBC», dass der Handelskonzern wohl doch kein Interesse an dem Online-Spieleentwickler habe. Bei Amazon fiel das Kursminus mit 4,8 Prozent noch etwas deutlicher als die allgemeine Technologiewerte-Schwäche aus.
Derweil sind die Verhandlungen zur Übernahme des Krebsmedikamentenherstellers Seagen durch den US-Pharmakonzern Merck & Co laut Insidern ins Stocken geraten. Grund seien die unterschiedlichen Preisvorstellungen auf beiden Seiten, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf mit der Sache vertraute Personen. Die Seagan-Papiere sackten um 5,7 Prozent ab, während die Merck-Titel mit einem Minus von über einem Prozent immer noch zu den besten Dow-Werten zählten.
Das Halbleiterunternehmen Marvell Technology gab einen schwachen Ausblick ab, was dessen Titel mit einem Kursverlust von fast neun Prozent und einem der hinteren Plätze im Nasdaq 100 quittierten. Dell-Aktien büssten nach einem ebenfalls negativem Ausblick des PC-Herstellers über 13 Prozent ein.
Die US-Biotechfirma Moderna verklagt den deutschen Rivalen Biontech und dessen Partner Pfizer wegen angeblicher Patentrechtsverletzungen bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen. Die in New York gelisteten Anteilscheine des Mainzer Coronaimpfstoff-Pioniers verloren mit vier Prozent ähnlich stark wie der Nasdaq 100, während sich die Pfizer-Titel mit einem Minus von 2,3 Prozent im sehr schwachen Markt noch besser behaupteten.
Die Gap-Anteilscheine verloren 1,9 Prozent. Die Modekette hatte für das abgelaufene Quartal überraschend einen Gewinn und eine bessere Umsatzentwicklung gemeldet. Der Kosmetikkonzern Ulta Beauty hob seine Ziele an. Mit einem ähnlichen Minus hielten sich dessen Anteilsscheine ebenfalls vergleichsweise gut.
Beim Anbieter Cloud-basierter Unternehmenssoftware Workday sorgte ein überraschend guter Zwischenbericht für ein Kursplus von gut zweieinhalb Prozent. Die Aktien des Branchenkollegen Everbridge sprangen sogar um mehr als 17 Prozent hoch. Insidern zufolge prüft das Unternehmen verschiedene strategische Optionen inklusive eines Verkaufs.
Ansonsten hielten sich an den US-Börsen gelistete Anteilsscheine (ADRs) chinesischer Unternehmen nach den deutlichen Vortagsgewinnen vergleichsweise gut. Die USA und China erzielten laut der US-Börsenaufsicht SEC eine vorläufige Einigung, dass US-Vertreter Rechnungslegungsdokumente von in den USA notierten chinesischen Firmen prüfen können. Das ist ein erster Schritt auf dem Weg zu verhindern, dass um die 200 ins New York gelistete chinesische Firmen ihre dortige Börsennotierung aufgeben müssen.
Der Onlineplattform-Betreiber JD.com, der Suchmaschinen-Riese Baidu und das Technologieunternehmen Netease belegten mit Kursabschlägen von bis zu 2,3 Prozent vordere Plätze im Nasdaq 100. Ausserhalb des Börsenbarometers verloren die Anteilscheine des Amazon-Branchenkollegen Alibaba 1,9 Prozent.
Der Euro büsste am Freitag erneut seine zwischenzeitliche Gewinne ein: Nach einem Anstieg bis auf 1,0090 Dollar notierte die Gemeinschaftswährung zuletzt mit 0,9967 Dollar wieder unter der Parität. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Referenzkurs auf 1,0007 (Donnerstag: 0,9970) Dollar festgesetzt; der Dollar hatte damit 0,9993 (1,0030) Euro gekostet.
US-Staatsanleihen zeugten sich von der Powell Rede und den insgesamt eher schwächer als erwartet ausgefallenen Konjunkturdaten kaum bewegt: Der Terminkontrakt für zehnjährige Treasuries (T-Note-Future) fiel zuletzt um 0,15 Prozent auf 117,61 Punkte und damit ähnlich wie im frühen Handel. Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen stieg im Gegenzug auf 3,03 Prozent. (awp/mc/ps)