Dies schreibt der «Tages-Anzeiger». Die Hoffnung mit einfachen Lösungen die einstige, inzwischen verloren geglaubte Idylle zurückzuholen sei trügerisch. Die Schweiz zahle dafür einen hohen Preis: «Das Bild eines weltoffenen, toleranten und international engagierten Landes» habe mit der automatischen Ausschaffung ausländischer Straftäter «einen weiteren Riss» bekommen. «Die miese Laune trifft die Ausländer, aber nicht die Reichen», titelt «Der Bund». Das Ja zur SVP-Initiative zeige: «Fragen zur schweizerischen Identität und Kultur, ausgelöst durch den rasanten Wandel und die Migration, beschäftigen die Schweizerinnen und Schweizer wie kaum ein anderes Thema». Das linke Anliegen, bei den «Reichen mehr Geld zu holen», sei dagegen offensichtlich nicht brennend.
Vermeintliche «Gratis-Geste»
Die «Neue Zürcher Zeitung» warnt, dass das Ja zur Ausschaffungsinitative nur vermeintlich eine «Gratis-Geste» gegen kriminelle Ausländer sei, mit der die Bevölkerung ihre Unzufriedenheit kundgetan habe. Die Umsetzung sei «voller sachlichem wie politischem Konfliktpotenzial». Deutlicher wird die «Aargauer Zeitung»: Nach dem Verbot zum Bau von Minaretten sei das Ja zur Ausschaffungsinitiative «der zweite Betriebsunfall unserer direkten Demokratie innert eines Jahres», heisst es im Kommentar.
Schweiz auf dem Weg zur «Volksdiktatur»?
Die «Südostschweiz» sieht die Schweiz auf dem Weg hin zu einer «Volksdiktatur»: «Einmal mehr darf sich die SVP als einzig wahre Volkspartei bezeichnen. Ihr Brachialverständnis von direkter Demokratie, wonach das Volk ohne Ausnahme über alles entscheiden kann, hat sich durchgesetzt.» «Es gibt keine Schranken mehr», konstatiert die Zeitung. Durchwegs positiv wertet das Abstimmungsergebnis dagegen die «Berner Zeitung». Sie macht ein «tiefes und weit verbreitetes Misstrauen gegenüber einem Staat» aus, «dessen Handeln nicht mehr als gerecht und dessen Richter als weltfremd empfunden werden». In dieser «Vertrauenkrise» tue das Parlement gut daran, das Anliegen der Initiative «rasch und ohne Mätzchen umzusetzen».
«Triumph mit Langzeitwirkung»
Einige sind sich die Kommentatoren darin, dass sich die SVP in eine hervorragende Position für das Wahljahr 2011 gebracht habe. Die Partei habe einen «Triumph mit Langzeitwirkung» erzielt, schreibt das «St. Galler Tagblatt». Die Mitteparteien CVP und FDP seien an diesem Wochenende «zerrieben» worden, urteilt die «Basler Zeitung». Die «beiden alten bürgerlichen Parteien» seien «nicht einmal mehr in der Lage, eine Mehrheit für einen Gegenvorschlag zu mobilisieren». Sie beherrschten zusammen mit der BDP zwar den Bundesrat, «aber ohne SP und SVP können sie nichts mehr bewegen.»
«Populismus schlägt die Vernunft bewusstlos»
Auch viele welsche Zeitungen betonen die Machtlosigkeit gegenüber der SVP. «Die SVP schreitet voran, weil sie auf keinerlei Widerstand stösst», schreibt die «Tribune de Genève». «Sie erkennt als erste ein Unwohlsein in der Bevölkerung und ist als erste mit einer Lösung zur Stelle». Die Gegenseite handle bloss reaktiv und ohne Strategie. Die Ängste der Bevölkerung vor den Folgen der Migration seien zwar legitim, sie würden aber von der SVP ausgenutzt, schreibt «Le Temps». Für die anderen Parteien werde es unmöglich, da entgegenzuhalten: «Der Populismus schlägt die Vernunft bewusstlos».
Ausländische Presse sieht EU/Gerichtshof gefordert
Mit «irritierend» und «knallhart» beschreiben deutsche und österreichische Zeitungskommentatoren die Annahme der Ausschaffungsinitiative in der Schweiz. Sie setzen auf den Europäischen Gerichtshof und die EU, um darauf zu reagieren. «Das Signal der Schweizer ruft nach einer Antwort», heisst es etwa im Kommentar der «Süddeutschen Zeitung». Denn die Schweizer glaubten, sich «leichten Herzens über Abkommen mit der EU und internationale Konventionen hinwegsetzen zu können».
«Helvetia ein Fall für die Gerichte»
Die Europäische Gemeinschaft sei auch eine Gemeinschaft des Rechts. «Sie sollte nicht hinnehmen, dass ein Land, dem sie eng verbunden ist, sich so mutwillig ausserhalb dieser Gemeinschaft stellt.» Die Berliner «tageszeitung» setzt auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): «Bleibt zu hoffen, dass der Europäische Gerichtshof die praktische Anwendung der neuen Bestimmungen verhindert.» Die «Märkische Oderzeitung» aus Frankfurt glaubt ebenfalls, dass «Helvetia wohl künftig oft ein Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg» sein wird. Dass das der UNO-Standort Schweiz, der für sich die Geltung der Menschenrechte in Anspruch nimmt, billigend in Kauf nehme, «irritiert». Von einer «fraglichen Mentalität» und einer «gewissen Schizophrenie» ist in der Wiener Zeitung «Die Presse» die Rede. Auf der einen Seite sollten ausländische Mörder, Räuber und Dealer aus der Schweiz geworfen werden.
Scheitert die direkte Demokratie am Fremdenhass?
Anderseits «wurden und werden» Diktatoren, Mafiosi und Geschäftemacher, «deren Geld oft fragwürdiger Herkunft ist, mit einem «Grüezi» aufgenommen». Diese «Rosinen-aus-dem-Kuchen-Picker-Mentalität» lasse die Initiative letztlich unverfroren erscheinen. In der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» bezeichnet es die Kommentatorin als beunruhigend, «dass nach dem Minarettverbot in der Schweiz jetzt schon zum zweiten Mal offen Ausländerfeindliches in Recht und Gesetz eingeht». «Könnte sein, dass hier direkte Demokratie am Fremdenhass scheitert.»
Berlusconi-Presse feiert SVP
In Frankreich und Italien blieben heftige Reaktionen in den Medien aus. Die rechtsgerichtete Zeitung «Il Giornale», die im Besitz der Familie von Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist, stellt fest, die Argumente der SVP hätten das Volk überzeugt und der Sieg der SVP sei ein Sieg der Rechtskonservativen. Der Kommentator des «Giornale» zeigt gegenüber der Initiative Sympathien und regt an, Italien solle die Schweizer Politik gegenüber kriminellen Ausländern nachahmen.
Schlagzeilen bis in die USA
In der spanischen Presse wird vor allem über das Resultat der Abstimmung berichtet: Die linksliberale Zeitung «El País» hob dabei aber die «Kluft» zwischen der Deutschschweiz und der Romandie beim Abstimmungsverhalten hervor. Die mitte-rechts orientierte Zeitung «El Mundo» konstatiert, dass die ländliche Schweiz den Ausschlag für den Abstimmungserfolg der SVP gegeben habe. In den USA haben die beiden grossen Zeitungen, die «New York Times» und die «Washington Post» in ihren Online-Ausgaben das Abstimmungsergebnis kommentiert. Dabei bezogen sich beiden auf die Plakat-Kampagne der SVP mit den schwarzen Schafen und kritisierten die SVP scharf: Die «NYT» bezeichnete die Partei als extrem-rechts und die «Post» verpasste der SVP das Etikett «ultra-nationalistisch».
«Reaktion auf irrationale Ängste»
Die «NYT» verwies zudem auf das Missverhältnis zwischen der Ausschaffungsinitiativen und den Verträgen zwischen der Schweiz und der EU. Auch berichtete die Zeitung über die Proteste in einigen Schweizer Städten gegen das Abstimmungsresultat. Die «Post» wiederum stellt die Abstimmung in den Kontext mit den Erfolgen rechter Parteien in anderen europäischen Ländern. Auf dem Alten Kontinent nehme der gegen die Einwanderung gerichtete Populismus zu. Dies sei eine Reaktion, die auf irrationalen Ängsten beruhe, stellte die Washingtoner Zeitung fest. (awp/mc/ps/05)