Selbst Micheline Calmy-Rey, die sich bei ihrem Besuch in Brüssel am Mittwochabend nichts zu «Taktik und Verhandlungen» entlocken liess, erklärte, dass der Entscheid in Abstimmung mit der Mediation der Europäischen Union (EU) erfolge. Mehrmals hatten EU-Diplomaten und -Minister in den letzten Wochen durchblicken lassen, dass die Vermittlungen nach einem «bestimmten Plan» erfolgten. Dazu gehörte zum Beispiel die Ausreise des Schweizer Geschäftsmannes, Rachid Hamdani, der fast zwei Jahre in Tripolis festgehalten worden war.
Zeichen gesetzt
Nun hat die Schweiz also ein Zeichen gesetzt, auch wenn – wohl absichtlich – offen bleibt, ob bereits erste Namen gestrichen wurden. Dass in Brüssel bereits am Mittwochmittag und damit Stunden vor dem Communiqué aus Bern die Rede davon war, dass die «Schweizer Regierung etwas entscheidet, das die Verhandlungen erleichtern wird», ist kein Zufall, sondern zeigt, wo die Fäden zusammenlaufen. Die EU-Kommission hatte in den letzten beiden Wochen den Druck auf die Schweiz, teils auch auf Libyen, ständig erhöht. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström telefonierte mit Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf und forderte «eine Geste». Damit war die Streichung einiger Namen auf der schwarzen Liste der über 150 «unerwünschten Libyer» gemeint.
Ton verschärft
Neben Italien und Malta, die schon länger die Schweizer Position kritisieren, verschärften auch der Schweiz sonst freundlich gesinnte Länder wie Österreich und Belgien anfangs Woche den Ton. Dazu gesellte sich EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton, die von beiden Seiten «sofort ein Zeichen» des guten Willens forderte. Die Britin lobte nach dem Treffen mit Calmy-Rey «die Bereitschaft der Schweiz, die schwarze Liste libyscher Offizieller zurückzuziehen». Gleichzeitig forderte sie Libyen auf, nun «ähnlich positiv zu reagieren» und sein Visaverbot gegen Bürger der EU-, beziehungsweise Schengenländer aufzuheben.
EU drängt auf rasche Lösung
Die EU drängt auf eine rasche Lösung in dem Konflikt, da sie fürchtet, dass die gesamte Schengenkohärenz in Gefahr gerät. Dabei und letztlich auch beim Entscheid der Schweiz spielt das Inkrafttreten des neuen Visakodex auf den 5. April eine wichtige Rolle. Der neue Kodex wird es den Schengenstaaten erlauben, das Nein aus Bern zu umgehen. Artikel 25 sieht vor, dass in Ausnahmefällen «ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit» erteilt werden kann. Die Gültigkeit kann in Ausnahmefällen auf andere Schengenländer ausgedehnt werden, sofern diese zustimmen.
Drohender 5. April
Italien und Malta wollen den neuen Visakodex für ihre Zwecke und gegen die Schweiz nutzen. Beim Treffen der EU-Aussenminister anfangs Woche fanden sie dafür offenbar mehr Unterstützung, als der EU-Kommission lieb war. Die bröckelnde Solidarität und der drohende 5. April musste nicht nur der EU, sondern auch der Schweiz zu denken geben. Will der Bundesrat mit Hilfe der EU den zweiten Schweizer Geschäftsmann Max Göldi frei bekommen, drängt die Zeit. Denn nach dem 5. April – das heisst es auch in Kreisen des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) – verliert das Schweizer Druckmittel der Visarestriktion viel von seiner Wirkung. (awp/mc/ps/14)