Anne Schwöbel, Geschäftsführerin Transparency International Schweiz: «Transparenz und die Einhaltung der demokratischen Grundprinzipien gehören zu den Schlüsselfaktoren nachhaltiger Korruptionsbekämpfung»

von Patrick Gunti


Frau Schwöbel, im neusten Korruptionswahrnehmungsindex CPI von Transparency International belegt die Schweiz Platz 7 und gehört damit zu den Ländern mit der niedrigsten Korruption überhaupt. Was genau sagt der Korruptionswahrnehmungsindex aus?

Der Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von Transparency International konzentriert sich auf den öffentlichen Sektor. Er listet Länder nach dem Grad der bei Amtsträgern und Politikern wahrgenommenen Korruption auf. Der diesjährige CPI umfasst insgesamt 180 Länder, so viele wie noch nie zuvor.
 
Und worauf stützen sich die Angaben?

Es ist ein zusammengesetzter Index, der sich auf verschiedene Umfragen und Analysen stützt, welche von einer Reihe unabhängiger und namhafter Institutionen durchgeführt werden. Der CPI gibt auf der ganzen Welt gesammelte Meinungen von Experten wider und beruht ausschliesslich auf der Wahrnehmung. Der Grund dafür ist, dass sich das gesamte Ausmass der Korruption nur schwer anhand von objektiven empirischen Daten ermitteln lässt, beispielsweise indem man die Summe der gezahlten Bestechungsgelder oder die Anzahl von Ermittlungsverfahren und Gerichtsurteilen vergleichen würde. Letzteres spiegelt in länderübergreifenden Untersuchungen nicht das tatsächliche Ausmass der Korruption wider, sondern belegt vielmehr die Kompetenz der Strafverfolgungsbehörden, Gerichte und/oder der Medien, Korruption zu untersuchen und aufzudecken. Daher die Methode, die Erfahrung und Wahrnehmung derer heranzuziehen, die mit der Realität der Korruption am unmittelbarsten konfrontiert sind.
 
Auf den ersten Positionen liegen mit den nordeuropäischen Staaten sowie Neuseeland, Singapur, Holland und der Schweiz ausschliesslich kleine Nationen. Ist die Korruptionsbekämpfung für kleinere Länder einfacher als für grosse?

Erfolgreiche Korruptionsbekämpfung hängt nicht von der Grösse des Landes ab. Bei den genannten Beispielen handelt es sich ausnahmslos um Länder, die über einen langen Zeitraum politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität zurückblicken können. Andere, in jüngster Zeit neuformierte, europäische Staaten gleicher Grössenordung wie beispielsweise die baltischen Staaten (Litauen, Lettland, Estland) oder die Balkanländer erhalten im CPI schlechte Noten unter 5 Punkten. Dies sind Transitionsländer, in denen sich der Rechtsstaat erst im Bau befindet und sich die politischen/demokratische Strukturen noch festigen müssen.


Ausschlaggebend ist also vielmehr das herrschende politische System eines Landes. Hängen politische Prozesse unter Missachtung des öffentlichen Interesses ausschliesslich von der Willkür einzelner Entscheidungsträger ab, erhält Korruption eine systemische Dimension, welche der Entwicklung eines demokratischen Staates diametral entgegensteht. Es mag sein, dass in kleinen Ländern demokratische Grundprinzipien einfacher durchsetzbar und daher leichter kontrollierbar sind als in grösseren Länder. Entscheidend ist jedoch immer noch der politische Wille eines Staates zu guter Regierungsführung. Transparenz und die Einhaltung der demokratischen Grundprinzipien gehören dabei zu den Schlüsselfaktoren nachhaltiger Korruptionsbekämpfung.


«Management wie Vorstand müssen vorleben, was sie predigen.» (Anne Schwöbel, Geschäftsführerin Transparency Schweiz)


Platz 7 von 180 Ländern im CPI, gar Platz 1 im letztjährigen Bribe Payers Index, in dem aufgezeigt wird, ob Unternehmen aus führenden Exportnationen bereit sind, im Ausland Bestechungsgelder zu bezahlen  – ist Korruption in der Schweiz kein Thema?

Doch, natürlich ist Korruption auch in der Schweiz ein Thema. Die Schweiz hat sich mittels internationaler Abkommen verpflichtet, Korruption national wie auch grenzüberschreitend zu bekämpfen. Das gute Resultat des Bribe Payers Index darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier um eine Bestplatzierung ohne Bestnote handelt. Von maximal 10 Punkten hat die Schweiz nur 7.8 erreicht. D.h. dass bei Unternehmen in der Schweiz sehr wohl die Bereitschaft besteht im Ausland zu bestechen.


Fälle wie Siemens in Deutschland (Platz 16) zeigen, dass Korruption auch in gut klassierten Ländern immer wieder vorkommt. Welche Erwartungen haben Sie gegenüber einem verantwortungsbewussten Management? Was muss dieses tun, um im Zusammenhang mit der Korruptions-Thematik glaubwürdig auftreten zu können?
 
Management wie Vorstand müssen vorleben, was sie predigen. Wenn bei Siemens oder VW selbst die obersten Stufen in korrupte Machenschaften involviert sind, dann mangelt es an der Glaubwürdigkeit. Korruptionsbekämpfung funktioniert nur von oben nach unten.


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Was entgegnen Sie der oft angeführten kulturellen Interpretation, dass Korruption in afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen an der Tagesordnung ist und ohne Geschäfte gar nicht möglich sind?

Der soziokulturelle Hintergrund wird oft als Ausrede vorgeschoben, nichts an der bestehenden Situation zu ändern. Wie der Bribe Payer Index aufzeigt, tragen auch die reichen Exportnationen ihren Teil bei, den Teufelskreis von Korruption und Bestechung in ärmeren Ländern immer weiter und in höhere Beträge zu treiben. Korruptionsbekämpfung erfordert den Willen und Einsatz aller involvierten Akteure, derjenigen, die bestechen sowie derjenigen, die die Bestechungsgelder annehmen. Dabei liegt es insbesondere in der Verantwortung der Exportnationen sich an ihre Korruptionsverbote auch im Ausland zu halten und diese konsequent durchsetzen.
 
Welche Rolle kann die Schweiz auf politischer Ebene im Kampf gegen die Korruption spielen?

Die Schweiz hat sich mit der Unterzeichnung internationaler Konventionen und dem Erlass von entsprechenden Gesetzen, welche Bestechung unter Strafe stellen, zur Korruptionsbekämpfung verpflichtet. Damit diese Verpflichtung nicht zum Lippenbekenntnis verkommt, muss sie als Exportnation den Fokus auf die präventive Massnahmen setzen, gleichzeitig aber die Umsetzung der Gesetzgebung konsequent verfolgen. Die relativ geringe Zahl der aufgedeckten Korruptionsfälle in der Schweiz zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
 
Gefordert ist vor allem auch der Finanzplatz Schweiz – welche Bedeutung kommt diesem zu?

Obwohl die Schweiz eine der strengsten Geldwäschereigesetzgebungen hat, gelangen immer wieder korrupte Gelder in die Schweiz. Dies ist durch gewisse Schlupflöcher in der Gesetzgebung möglich. So kann z.B. ein Finanzintermediär Gelder aus Privatbestechung annehmen ohne sich der Geldwäscherei strafbar zu machen. Selbst wenn er solche Gelder den Behörden melden wollte, dürfte er dies bei der geltenden Gesetzeslage – wegen des Bankgeheimnisses – nicht tun. Es gilt daher die Schweizer Gesetzeslage zu verbessern um solche Handlungen zu unterbinden aber auch damit sich der Finanzplatz Schweiz weltweit als Wirtschaftsstandort mit fairen Spielregeln präsentieren kann.


«Korruptionsbekämpfung erfordert den Willen und Einsatz aller involvierten Akteure, derjenigen, die bestechen sowie derjenigen, die die Bestechungsgelder annehmen.» (Anne Schwöbel)


Nach dem Ständerat hat 2007 auch der Nationalrat einem besseren gesetzlichen Schutz von Informanten, sogenannten «Whistleblower» zugestimmt. Welche Bedeutung kommt diesen zu und welche Verbesserungen sind im vom Bundesrat vorzulegenden Gesetzesentwurf zu erwarten?

Die Dunkelziffer der Korruptionsfälle wird von Experten auf ca. 97% geschätzt. Die relativ geringe Aufdeckungsrate erklärt sich dadurch, dass keine der an der Tat beteiligten Personen an der Aufklärung interessiert ist. In der Regel werden Korruptionsfälle nur dann aufgedeckt, wenn Insider ihre Kenntnisse an Vorgesetzte oder an die Strafverfolgungsbehörden weiterleiten. Bei der Korruptionsbekämpfung ist man folglich auf die Zusammenarbeit mit Whistleblowern angewiesen.


Oftmals werden diese aber nicht aktiv, weil sie leider zu recht befürchten müssen entlassen, gemobbt oder in einer anderen Form diskriminiert zu werden. Daher ist der gesetzliche Schutz von Whistleblowern von zentraler Bedeutung. Was in den angelsächsischen Staaten schon längst Gang und Gebe ist, sollte auch in der Schweizer Gesetzgebung verankert werden, nämlich einen Schutz für Hinweisgeber gegen Entlassung oder anderen Formen der Diskriminierung sowie eine angemessene Schadenersatzforderung bei missbräuchlicher Kündigung.  Dieser Schutz sollte auch für Hinweisgeber aus dem öffentlichen Bereich gelten.
 
Transparency International hat mit der Integritätsklausel ein Instrument entwickelt, um Missbräuche im Beschaffungsprozess zu verhindern. Was sagt diese Klausel aus?

Die Integritätsklausel ist präventiver Art und verpflichtet beispielsweise in einem Beschaffungsprozess alle Beteiligten weder Bestechungsgelder anzunehmen, noch zu gewähren. Sie ist nicht nur ein reines Bestechungsverbot, sondern verlangt von allen Teilnehmern ethisch korrektes Verhalten. Sinn und Zweck der Integritätsklausel ist es beide Seiten (Auftraggeberin sowie alle Anbieter) zu verpflichten, sich fair und lauter im Beschaffungsverfahren und auch nach der Auftragsvergabe zu verhalten.
 
Frau Schwöbel, wir bedanken uns für das Interview.





 
Zur Person:
Anne Schwöbel ist seit 2004 Geschäftsführerin Transparency International Schweiz. Sie studierte an der Universität Genf Rechtswissenschaften und absolvierte einen MBA in Media and Communication an der Universität St. Gallen. Erfahrungen auf dem Gebiet der Geldwäscherei und anderer Wirtschaftsdelikte sammelte sie am kantonalen Untersuchungsrichteramt Bern, Abteilung Wirtschaftskriminalität sowie im Team des kantonalen Staatsanwaltes im Prozess gegen Werner K.Rey. Praxiserfahrung im PR im Bereich Investor Relations.
 
Zu Transparency International:
In zahlreichen Ländern ist die Korruption das grösste Hindernis für die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Nach einer Einschätzung der Weltbank werden jährlich 1’000 Mia Dollar Bestechungsgelder bezahlt, das entspricht ca. dem Dreifachen des Bruttoinlandproduktes der Schweiz. Bei der Bekämpfung sind alle gefordert – zu diesem Zweck wurde 1993 Transparency International gegründet. Sie ist in kürzester Zeit zu einer Bewegung herangewachsen, die sich in bald über 100 Ländern im Kampf gegen die Korruption engagiert.
 
Zu Transparency International Schweiz:
Die Schweizer Sektion von Transparency International widmet sich ausschliesslich und mit ausgewiesenem Fachwissen dem Thema Korruption in der Schweiz. Im Vordergrund ihrer Arbeit stehen die Sensibilisierung der öffentlichen Meinung, die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der Zivilgesellschaft sowie der Dialog mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft. Transparency International Schweiz wurde 1995 als unabhängiger, parteipolitisch neutraler Verein gegründet und finanziert sich durch Mitgliederbeiträge, Spenden und Zuwendungen der öffentlichen Hand.


 

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