Arcandor: Dramatischer Überlebenskampf
Damit rückt eine Insolvenz der Arcandor AG näher. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa aus Regierungskreisen bekommt Arcandor (Karstadt, Quelle) aber eine allerletzte Frist für «einen neuen, substanziell verbesserten Antrag» auf Rettungsbeihilfen. An der Börse stürzte die Arcandor-Aktie um fast 44 Prozent ab.
Neuer Anlauf für Notkredit
Arcandor kündigte umgehend einen neuen Anlauf für den dringend benötigten Notkredit an. Die beantragte Rettungsbeihilfe über 437 Millionen Euro werde nur gewährt, wenn es über die bereits vorhandenen Zusagen weitere Beiträge gebe, teilte die Arcandor AG in Essen mit. Banken, Vermieter und Eigentümer müssten für weitere Zugeständnisse gewonnen werden. Aus diesem Grund werde der Vorstand heute Abend und im Laufe des morgigen Vormittags erneut die Gespräche mit den Beteiligten suchen.
Grossaktionäre zu Kapitalspritze bereit
Die Arcandor-Grossaktionäre Sal. Oppenheim und Madeleine Schickedanz seien zu einer Kapitalerhöhung von 150 Millionen Euro für das von Insolvenz bedrohte Unternehmen bereit. «Wir alle haben das Ziel, zu einer Lösung zu finden, bevor es zu einer Insolvenz kommt», sagte Friedrich Carl Janssen, der zugleich persönlich haftender Gesellschafter des Bankhaues Sal. Oppenheim sowie Aufsichtsratschef von Arcandor ist. Wie aus Kreisen des Finanzministeriums aus Berlin am Abend verlautete, erfüllt dies aber in keiner Weise die vom Bund geforderte verstärkte Beteiligung der Eigentümer.
Arcandor-Aktie stürzt ab
Die bisher engagierten Banken sahen sich den Angaben zufolge nicht in der Lage, selbst bei einer 100-prozentigen Bürgschaftsübernahme Kredite in Höhe von 437 Millionen Euro für die Rettungsphase zu gewähren. Die Vermieter – in erster Linie Highstreet aber auch Oppenheim-Esch – seien nicht zu einer deutlichen Reduzierung der überhöhten Mietbelastungen für die Kaufhäuser bereit gewesen. An der Börse brach die Arcandor-Aktie regelrecht ein. Sie sackte am Abend um fast 44 Prozent auf den historischen Tiefstand von 1,06 Euro ab. Der Konzern beschäftigt rund 80.000 Mitarbeiter.
Arbeitnehmer geschockt
Betriebsräte von Arcandor und Quelle reagierten schockiert auf die Abfuhr aus Berlin. «Ich bin total erschlagen, damit hab ich nicht gerechnet», sagte die Essener Gesamtbetriebsrätin Gabriele Schuster. Karstadt aus einer drohenden Insolvenz heraus zu sanieren, koste deutlich mehr Arbeitsplätze als eine Rettung, sagte sie. «Dafür hab ich kein Verständnis – so viele Existenzen, wie da dranhängen.» Entsetzt hat der Quelle-Betriebsrat auf erste Informationen über eine Ablehnung des Rettungskredites für Arcandor reagiert. «Es ist eine Katastrophe, was da abläuft», sagte der Gesamtbetriebsratschef Ernst Sindel am Montag der Deutschen Presse- Agentur dpa in Nürnberg.
«Erhebliche Zweifel» an Tragfähigkeit des Arcandor-Konzeptes
Zuvor hatte der Lenkungsausschuss des Bundes Staatshilfen aus dem «Wirtschaftsfonds Deutschland» abgelehnt. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bestanden «erhebliche Zweifel» an der Tragfähigkeit des Arcandor-Konzeptes. Zudem seien Kriterien für die Hilfen aus dem «Wirtschaftsfonds» nicht erfüllt. So bestünden erhebliche Zweifel, dass Arcandor erst mit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in Schieflage geraten ist. Arcandor hatte sich eine Staatsbürgschaft in Höhe von 650 Millionen und einen Kredit über 200 Millionen Euro aus dem «Wirtschaftsfonds» erhofft. An diesem Freitag läuft eine Kreditlinie über 650 Millionen Euro aus. Spätestens bis dahin müsste ein Rettungskonzept aller Beteiligten stehen.
Regierung gegen Staatshilfen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zuvor deutlich die Erwartungen des Managements gedämpft und mehr Engagement der Eigentümer und Gläubiger gefordert. Was fehle, sei «die Dringlichkeit», mit der sich beide Seiten um eine Lösung bemühten, kritisierte Merkel. Dem Vernehmen nach will Arcandor die Gläubigerbanken dazu bewegen, auf Forderungen eine Zeit lang zu verzichten. Ob ein solches, womöglich auf sechs Monate befristetes Schuldenmoratorium eine Chance hat, ist bisher aber offen.
Eick: «Kampf um jeden Job»
Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick schwor am Montag vor der Essener Konzern-Zentrale die Belegschaft auf einen Kampf um jeden Job ein. Die Absage aus Berlin bedeute keineswegs die Insolvenz, rief der Manager per Megafon der Belegschaft zu. Karstadt-Chef Stefan Herzberg sieht für Warenhäuser des Arcandor-Konzerns gute Überlebenschancen. Auch die Eigentümer von (ehemals) KarstadtQuelle hätten deutlich gemacht, sie wollten alles tun, um eine Insolvenz zu vermeiden. Bundesweit kam es zu Aktionen von Karstadt-Beschäftigten wie Mahnwachen, es wurden Schaufenster verhüllt und die Beschäftigten fuhren in Autokorsos in die Innenstädte. Bürgermeister aus Städten mit Karstadt-Filialen forderten, Standorte mit den insgesamt mehr als 50 000 KarstadtQuelle-Arbeitsplätzen zu retten.
Thomas Cook betont Unabhängigkeit
Die Arcandor-Touristiktochter Thomas Cook betonte erneut ihre Unabhängigkeit. «Thomas Cook ist ein eigenständiges und profitables Unternehmen, das an der Londoner Börse notiert ist», hiess es in einer Mitteilung der deutschen Thomas Cook AG. Arcandor hält 52,8 Prozent der Thomas-Cook-Anteile. Der Reiseveranstalter gilt als der Gewinnbringer des Arcandor-Konzerns.
Fusionsverhandlungen ohne Ergebnis
Schon am Sonntag war einschliesslich des Warenhaus-Konkurrenten Kaufhof ohne konkretes Ergebnis über eine Warenhausfusion verhandelt worden, mit der etwa zwei Drittel der Karstadt-Häuser weitergeführt werden könnten. Sowohl die Zahl der Standorte als auch der Kaufpreis seien strittig. Der Kaufhof-Mutterkonzern Metro hatte vorgeschlagen, 60 der 90 Karstadt-Häuser weiterzuführen. Ausser 30 Karstadt-Häusern sollten auch 10 Kaufhof-Filialen geschlossen oder umgestellt werden. (awp/mc/ps/13)