Wenn man sich mit der Krise der internationalen Finanzmärkte beschäftigt, dann kommt man nicht umhin, die Schweiz als Ganzes unter die Lupe zu nehmen. Diese Betrachtung zeigt Abgründe, in die das Land geführt wurde. Dass Manager von Grossbanken die Schweiz trotz begrenzter Ressourcen auf die Grösse der USA hebeln (leveragen) wollten zeigt sich, wenn man sich die Bilanzsumme der grössten schweizerischen Bank im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt des Landes anschaut. Damit ist die Schieflage der UBS schon seit Ausbruch der Krise kein ausschliessliches Problem der Wirtschaft, sondern eines der Schweiz. Wenn eine Bank eine Bilanz hat, die das Bruttosozialprodukt eines Landes um das Mehrfache übersteigt, so müsste auch das Risiko-Management der Aufsichtsbehörden auf dem neusten Stand der Technik sein.
Im Oktober 2008 stand das schweizerische Bankensystem so nahe am Abgrund wie noch nie zuvor. Dass der Staat deshalb für Stabilität sorgt, ist ein notwendiges Übel. Über die Methoden, was zu tun ist, sollte man jedoch streiten dürfen. Es wäre wohl wesentlich sinnvoller gewesen, eine Kredit-Luftbrücke für Unternehmen einzurichten (ähnlich wie es jetzt Deutschland mit einem Unternehmer-Fonds plant) und Privatpersonen, die bei der UBS angelegt hatten, zu entschädigen, anstatt Geld in Banken zu pumpen.
Franken-Kredite als Zeitbombe
Die Schweiz ist als Exportnation viel stärker von der aktuellen Krise betroffen, als man es sich eingestehen will. Der Sturm hat die Schweiz bereits erfasst und man darf sich nicht wundern, wenn das Wirtschaftswachstum 2009 möglicherweise viel mehr fallen sollte, als bisher angenommen. Dies führt alleine zwar noch nicht in den Bankrott, jedoch legt es zusammen mit den nicht zurückzahlbaren Krediten osteuropäischer Kreditnehmer in der Schweiz die Basis für ein finanzielles «Armageddon». Der Geldverkehr in Schweizer Franken mit osteuropäischen Ländern hat nämlich eine riesige Zeitbombe kreiert; so wurden nicht nur Hypotheken im Osten in hoher Zahl in Schweizer Franken aufgenommen, sondern es wurden auch Niedrigzins-Kredite gewährt. Die Kreditsumme hierfür soll sich auf mehr als 600 Milliarden CHF belaufen, was deutlich mehr wäre als unser Bruttosozialprodukt. Sollte die Finanzkrise zu weiteren massiven Zahlungsausfällen, ja sogar Staatsbankrotten von osteuropäischen Staaten führen, dann würden diese Schulden alleine ausreichen, und hierbei sind die möglichen Kreditausfälle der UBS und der Credit Suisse noch nicht eingerechnet, den schweizerischen Staat durch das immense Gegenparteirisiko in den Bankrott zu führen. Dies hätte niemals so weit kommen dürfen, wenn man die Institutionen besser kontrolliert hätte.
Homöopathische Dosen
Da es sich bei der aktuellen «Finanzkrise» auch um eine Krise der Kapitalismus handelt, ist die Schweiz von der Schrumpfung des Finanzsektors besonders hart betroffen. Der Finanzbereich hat hier in den letzten 150 Jahren derart an Bedeutung gewonnen, dass er geradezu von strategischer Bedeutung für den Wohlstand des Landes geworden ist. Klarheit über das wahre Ausmass der Krise wird, wenn überhaupt, nur scheibchenweise – so-zusagen in homöopathischen Dosen – verabreicht. Etwa deshalb, weil man in den Führungsetagen der Notenbank und der führenden Banken weiss, dass der schweizerische Staat eine Schieflage dieser Grössenordung alleine nicht schultern kann? Die Schweiz als Bastion der sicheren Geldanlage hat wohl ausgedient, da die UBS im relativen Vergleich zur isländischen Kaupthing Bank wesentlich höher in Bezug zum Bruttosozialprodukt verschuldet ist. Treten die Ausfallrisiken von bis zu 30 bis 50?% der Anlagen bei ihr ein, ist eine Währungskrise für den Schweizer Franken geradezu vorprogrammiert. Während jedoch mittlerweile der Euro als «Too big to fail» eingestuft werden kann, insbesondere aufgrund eines US-Dollars, der durch Inflationierung immer weiter abgewertet werden dürfte, ist der Schweizer Franken möglicherweise «Too small to survive».
Der Mega-Leverage
Banken haben die tatsächlichen Risiken, um noch höhere Renditen erzielen zu können, aus den Bilanzen genommen. Dass dies weder von den Aufsichtsbehörden, noch von den Wirtschaftsprüfern und Rating-Agenturen berücksichtigt wurde, erlaubte ein Spiel mit immer grösseren Hebeln. Je mehr Geld durch die Krise von den Konten der hoch gehebelten Banken abgehoben wird, desto kritischer wird die Situation für diese, da jedes abfliessende Kapital die Bilanzschrumpfung um mindestens den Faktor 10, bei höheren Hebeln sogar um den Faktor 20 bis 30 forcieren wird. Die Einschüsse der Zentralbanken und Regierungen in die Banken werden schneller aufgebraucht sein, als die Banken sich sanieren können, wenn es nicht gelingt, die Deflationsspirale zu durchbrechen. Die durch die Bailouts absehbaren massiven Haushaltsdefizite, die durch Anleihen finanziert werden müssen, erzeugen dabei den letzten grossen Super-Bubble, den so genannten Bond-Bubble – bevor schliesslich auch dieser platzt.
Zukünftige Problemvermeidung
Bezüglich der Eigenkapitalrisikos in Bezug zur Grösse eines Landes liesse sich eine einfache Regel aufstellen: Das Eigenkapital einer internationalen Grossbank sollte immer mindestens 10?% betragen. Übersteigt die Bilanzsumme einer Bank das Bruttosozialprodukt eines Landes, so sollte das Minimum Eigenkapital-Verhältnis derart berechnet werden, dass die 10?% mit dem Faktor aus Bilanzsumme/Bruttosozialprodukt zu multiplizieren sind. Diese Grösse der Bilanzrisiken einer Bank bezogen zur Landesgrösse muss künftig der kritische Faktor sein, ob man sich für einen Bailout entscheidet. Die Weltwirtschaft hat sich grundlegend verändert und das Risikoprofil hat sich auch für die Schweiz hin zu einer zunehmenden Abhängigkeit von den grossen Industrienationen und den Schwellenländern entwickelt. Doch es gibt auch Hoffnung. In Phasen der grossen Krisen besteht die Chance, dass sich die Menschen wieder auf ihre Wurzeln, ihre Werte und ihre Stärken besinnen. Wem es gelingt, die eigenen Kräfte zu nutzen, geht gestärkt aus der Krise hervor. Doch hierzu muss der Teufel, der sich im System eingenistet hat, nicht mit tiefen, sondern mit hohen Zinsen bekämpft werden. Diese Opfer fordernde Vorgehensweise des ehemaligen amerikanischen Notenbankpräsidenten Paul Volcker ist die einzige Medizin, die hilft, «Fiat-Ökonomien» zu sanieren.
Zur Person:
Der Wirtschaftskybernetiker Dr.-Ing. Artur P. Schmidt wurde in Stuttgart geboren. Er besuchte im Stadtteil Zuffenhausen das Ferdinand-Porsche-Gymnasium und machte dort das Abitur. Das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart und Berlin schloss er im Alter von 27 Jahren mit der Bestnote im Fachgebiet Raketentechnik ab, so dass ihm von Prof. H.H. Koelle die Promotion angetragen wurde. Im Alter von 30 Jahren erhielt Artur P. Schmidt den Doktortitel für ein kybernetisches Marktanalyse-Verfahren am Beispiel der Strategischen Planung von Airbus Industries. Nach einer Beratungstätigkeit bei Anderson Consulting sowie als Leiter der Strategischen Analyse der Ruhrgas AG war Dr. Schmidt Stipendiant der Stiftung zur Förderung der systemorientierten Managementlehre und letzter Schüler von Prof. Hans Ulrich, dem Begründer des St. Galler Management-Ansatzes. Während dieser Zeit begann Dr. Schmidt seine publizistische Laufbahn, aus denen Bestseller wie «Endo-Management» und «Der Wissensnavigator» sowie Wirtschaftsbücher wie «Wohlstand_fuer_alle.com» oder «Crashonomics» hervorgingen. Sein neuestes Buch, welches im Februar 2008 beim EWK-Verlag (www.ewk-verlag.de) herauskommt, heisst «Unter Bankstern».
Heute ist Dr.-Ing. Schmidt Herausgeber des Online-News-Portals www.wissensnavigator.com sowie der Finanz-Portale www.bankingcockpit.com , www.wallstreetcockpit.com , www.futurescockpit.com und www.optioncockpit.com sowie Geschäftsführer der Tradercockpit GmbH (www.cockpit.li ). Dr. Schmidt ist ein gefragter Keynote-Speaker sowie Kolumnist für zahlreiche Finanzpublikationen.