Artur P. Schmidt: Freak Waves ? Die Rache der Kybernetik

Von Artur P. Schmidt
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Wellenbewegungen im Wasser
Bei Wellen im Wasser handelt es sich im weitesten Sinne um Oberflächenwellen an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft. Wasserwellen sind gekennzeichnet durch ausladende Täler und spitze Kämme. Während bei Wellenlängen von weniger als zwei Zentimeter die Oberflächenspannung des Wassers die Eigenschaften der Kapillarwellen bestimmt, sind bei grösseren Wellenlängen die Massenträgheit, die Erdanziehungskraft sowie die dadurch bedingten Druck- und Bewegungsänderungen bestimmend für die Eigenschaften der Welle. Die dominierende Anregungskraft stellt der Wind dar, der verantwortlich ist für den Seegang auf den Meeren. Hierbei erfolgt die Wellenbildung wegen des grossen Dichteunterschieds von Wasser und Luft unsymmetrisch. Doch nicht immer ist der Wind oder ein Sturm die massgebliche Ursache für die Entstehung grosser Wellen. Diese können auch durch die nichtlineare Überlagerung unterschiedlicher Wellensysteme entstehen. Der Quotient aus Wellenhöhe (Amplitude) und Wellenlänge ist ein wichtiges Kennzeichen für die Beurteilung der Stabilität der Wellen und wird als Wellensteilheit S bezeichnet. Auf dem freien Ozean herrschen normalerweise Wellensteilheiten zwischen 1 / 100 < S < 1 / 50 vor.



Abb. 1: Lineare Welle mit Wellenhöhe und Wellenlänge
Quelle: http://www.old.uni-bayreuth.de/departments/didaktikchemie/umat/beugung_interferenz/interferenz_beugung.htm


34-Meter-Brecher im Nordpazifik
Während lineare Wellen spätestens im Bereich von einer maximalen Wellensteilheit S = 0,141 (z.B. 30m/212m) brechen, scheinen nichtlineare Wellen andere Eigenschaften zu haben, wobei durchaus auch höhere Steilheiten (White Wall) auftreten können. Nur 10% aller weltweit auftretenden Wellen weisen eine Wellenhöhe grösser als 6 m auf. Ab einer Wellenhöhe von etwa 10 m und wenn eine gemessene Wellenhöhe grösser als die doppelte signifikante Wellenhöhe ist, werden Wellen als Freak Waves bezeichnet. Diese entstehen aus der räumlichen und zeitlichen Überlagerung von Einzelwellen, die in Wellenspektren zwangsläufig vorhanden sind. Eine der jemals grössten aufgezeichneten Freak Waves wurde von Whitemarsh fundiert beschrieben. Im Februar 1933 kreuzte die «USS Ramapo» während eines schweren Sturms durch den Nordpazifik. Es konnten hierbei Freak Waves mit Wellenhöhen von mehr als 34 m gemessen werden. Eine Freak Wave kommt dann zustande, wenn sich diese Komponenten phasengleich überlagern, d.h. superpositionieren. Sie ist jedoch nur eine vorübergehende Erscheinung, da sie nur für einen kurzen Moment lokal existiert. Da es sich beim Entstehen einer Freak Wave um ein nichtlinear gekoppeltes Ereignis handelt, müssen derartige Wellen als mehrdimensionale Interaktionen angesehen werden, die mit der heute vorherrschenden linearen Theorie nicht hinreichend beschrieben werden können.



Abb.2: Entstehung einer Freak-Welle durch Überlagerung
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Interferenz_%28Physik%29


Die perfekte Welle
Fast jeden Tag versinkt ein Schiff in den Weltmeeren. Grund für diese Untergänge sind so genannte Monsterwellen, die sich aufgrund von Überlagerungen bilden. Als 1980 vor Japan der fast 300 Meter lange britische Ozeanfrachter «Derbyshire» in schwerer See sank, konnte sich niemand erklären, wie eines der sichersten Schiffe sinken konnte. Da es im Gebiet, wo die «Derbyshire» unterging, keine Unterwasserhindernisse gab und die Wassertiefe mehrere tausend Meter beträgt, kann eine Kollision ausgeschlossen werden. Es kommt also nur eine Riesenwelle als Ursache in Betracht. Dies gilt auch für das Schicksal des damals hoch modernen Frachtschiffs «MS München». Der 261 Meter lange Ozeanriese galt nach menschlichem Ermessen als unsinkbar, verschwand jedoch am 12. Dezember 1978 im Atlantik. Die wahrscheinlichste Ursache für deren Untergang ist ebenfalls eine Monsterwelle.


Öl-Plattform «Ocean Ranger» gekentert
So wurde auch das Kreuzfahrtschiff «Queen Elizabeth II» im Februar 1995 während eines Hurrikans im Nordatlantik von einem 29-Meter-Brecher erwischt. Kapitän Ronald Warwick berichtete anschliessend von einer «riesigen Wasserwand», die gewirkt habe wie die weissen Klippen von Dover. Auch an Neujahr 1995 wurde eine 26 Meter hohe Einzelwelle auf der norwegischen Öl-Plattform «Draupner» gemessen. Die Öl-Plattform «Ocean Ranger» wurde vor der Küste Neufundlands 1982 sogar Opfer einer solchen Riesenwelle: Sie kenterte, und alle 84 Besatzungsmitglieder ertranken. Diese Monsterwellen werden auch Freak Waves, Mammutwellen, Mörderwellen, Killerwellen oder Kaventsmänner genannt.



Abb. 3: The Perfect Storm; Kinofilm
Quelle: http://perfectstorm.warnerbros.com/cmp/splash-fr.html


Drei Typen von Monsterwellen
Für derartige Freak Waves sind mehrere Meeresgebiete besonders verdächtig, darunter das Bermudadreieck, der Agulhasstrom an der Ostküste Südafrikas, aber auch die Nordsee. Freak Waves entstehen quasi aus dem nichts durch Überlagerung unterschiedlicher Wellensysteme. Bei bestimmten Frequenzen der Welle kann es zu gigantischen Riesenwellen kommen, denen nur noch die grössten Schiffe entkommen können. Ozeanographen unterscheiden drei Typen von Monsterwellen:
– Unregelmässig geformte Einzelwellen (Kaventsmänner),
– Wellengruppen mit drei sehr hohen Kämmen (Three Sisters) , sowie
– Steile, fast senkrecht aufragende Wellenfronten (White Wall).


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Killerwelle an den Finanzmärkten
Auch in der Wirtschaft gibt es zwei Arten von Wellen: die linearen und die nichtlinearen Wellen. Während erstere keine besonderen Krisen hervorrufen, können sich nichtlineare Wellen zu extremen Finanzkrisen aufschaukeln. Killerwellen an den Finanzmärkten ? wie diejenigen von 1929 bis 1932 und diejenige von 2007 bis wahrscheinlich 2010 ? sind das Resultat einer falschen Notenbankpolitik, die zu Blasen an den Finanzmärkten führt, die nichts anderes sind als nichtlineare Überlagerungen der Entwicklungen in einzelnen Bereichen wie z.B. dem Häusermarkt, dem Hypothekenmarkt oder zu niedriger Zinsen. Von einer Riesenwelle an den Finanzmärkten kann immer dann gesprochen werden, wenn die Kursschwankungen nach oben oder unten die 40-Prozent-Marke überschreiten. Gemeinsam bei allen Freak Waves an den Finanzmärkten ist, dass die Kurse nach einer Aufschaukelung tiefer fallen können als vor der Aufschaukelung. Dies war insbesondere auch beim NASDAQ-Crash von 2000 zu beobachten, als die Kurse tiefer fielen als das Aufschaukelungsniveau von etwa 1500 Punkten. Das Phänomen, welches zu einer derartigen Aufschaukelung an den Finanzmärkten führt, heisst Interferenz. Bei einer Interferenz werden zwei oder mehr Wellen nach dem Superpositionsprinzip durch Addition der Amplituden überlagert. Löschen sich die Wellen dabei gegenseitig aus, so spricht man von destruktiver Interferenz. Verstärken sich die Amplituden, so spricht man von konstruktiver Interferenz. Hierbei handelt es sich um nichts anderes als eine nichtlineare Aufschaukelung.


White Wall im Anzug  
Eine so genannte White Wall kommt gerade auch auf die Weltwirtschaft zu. Die Überlagerung unterschiedlicher Entwicklung wie zu niedriger Zinsen, zu hohes Schuldenmachen, zu hohe Anleihenpreise, niedriges Gewinnwachstum, zu starke Kursanstiege, zu hohe Rohstoffpreise und der Verfall des Dollars verlaufen ebenfalls in Wellenformationen und können bei entsprechenden Überlagerungen zu einer Freak Wave an den Finanzmärkten wie im Herbst 2008 führen. Doch dies könnte erst der Vorgeschmack einer Weissen Wand sein, die noch viel grösser ist als alles andere, was bisher über die Finanzmärkte hereingebrochen ist. Der perfekte Finanzsturm.



Abb. 4. Nichtlineare Killerwelle des NASDAQ im Jahr 2000.
Quelle: http://stockcharts.com/index.html
 
Die Kunst der Kybernetik
Das zentrale Steuerungsinstrument des kybernetischen Kapitalismus ist nicht der Computer, sondern das Netzwerk aller Computer, die nichtlinear gekoppelt sind. Wer die Finanzmärkte verstehen will, kommt deshalb nicht umhin, sich mit der nichtlinearen Überlagerung von Wellen zu beschäftigen. Die Wissenschaft, die dies ermöglicht, ist die Kybernetik. Wer sich nicht mit ihr befasst, bekommt ihre Rache in Form von Kursstürzen zu spüren. Die Kybernetik ist somit die notwendige Kunst, um an den Finanzmärkten zu überleben und grosse Kursabschwünge, die riesige Vermögen auslöschen können, zu vermeiden. Damit versucht die Kybernetik gleichzeitig die Position und das Verhalten einer Anlageform zu bestimmen und diese in den grösseren Zusammenhang der Entwicklungsprozesse einzuordnen. Die Kybernetik beschäftigt sich mit der Ökonomie nicht aus Sicht des Ökonomen, sondern aus einer Meta-Perspektive heraus, bei der unterschiedlichste Einflussfaktoren untersucht werden. Hierbei geht es jedoch nicht um die Vorhersage der Zukunft, sondern das Sicherstellen des Überlebens in der Gegenwart durch das Verständnis der nichtlinearen Rückkopplungen in komplexen Systemen wie der Finanzmärkte. Dies ist das insbesondere das Anliegen der Webseite www.wallstreetcockpit.com .


Kreative Zerstörung ? kreative Erneuerung
In den letzten Jahrzehnten hat sich das Verhältnis der Kybernetik zum Kapitalismus gewandelt. Während in der Zeit nach 1929 der Kapitalismus als Wirtschaftsform den Siegeszug der Kybernetik ermöglichte, der im Internet seinen bisherigen Höhepunkt fand, ist seit 2009 eine neue Phase eingeleitet worden, in der die Kybernetik als Organisationsform den bisherigen Kapitalismus in einen durch Cockpits gelenkte Ökonomie mit einem neuartigen Risk-Management transformieren kann. Damit wird die Kybernetik zum Dreh- und Angelpunkt eines neuen kybernetischen Kapitalismus, der sich durch negative Rückkopplungen dekonstruiert und durch positive Rückkopplungen neue konstruiert. Wichtig dabei ist, dass beiden Formen, also sowohl die der kreativen Zerstörung als auch jene der kreativen Erneuerung zugelassen werden und das Alte nicht künstlich bewahrt wird, wie dies immer wieder angesichts von Finanz- und Wirtschaftskrisen geschieht. Hierbei gilt es zu beachten, dass in einer Ökonomie, die immer mehr auf Echtzeit basiert, der kybernetische Kapitalismus dazu tendiert, die Zeit selbst abzuschaffen, was zu immer grösseren Kursschwankungen in immer kürzeren Zeitabständen führt. Damit tendiert der Kybernetik-Kapitalismus eindeutig hin zu Freak Waves, wie wir sie heute auch in den Weltmeeren antreffen. Deshalb kann der kybernetische Kapitalismus auch nicht mehr anhand von Statistiken und Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden, sondern nur noch anhand der Krisen, die er durch die ihm innewohnende Instabilität selbst erzeugt. Wer in diesem System überleben will, muss die Kybernetik des auf Weltpaniken ausgelegten Kapitalismus, der zu Freak Waves neigt, verstehen. Nachfolgende Abbildung zeigt die Freak Waves der Bond-Märkte.



Abb. 5: Wellen-Kybernetik der Bondmärkte an Hand des TBT-ETFs;
Quelle: www.wallstreetcockpit.com





Artur P. Schmidt
Der Wirtschaftskybernetiker Dr.-Ing. Artur P. Schmidt wurde in Stuttgart geboren. Er besuchte im Stadtteil Zuffenhausen das Ferdinand-Porsche-Gymnasium und machte dort das Abitur. Das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik in Stuttgart und Berlin schloss er im Alter von 27 Jahren mit  der Bestnote im Fachgebiet Raketentechnik ab, so dass ihm von Prof. H.H. Koelle die Promotion angetragen wurde. Im Alter von 30 Jahren erhielt Artur P. Schmidt den Doktortitel für ein kybernetisches Marktanalyse-Verfahren am Beispiel der Strategischen Planung von Airbus Industries. Nach einer Beratungstätigkeit bei Anderson Consulting sowie als Leiter der Strategischen Analyse der Ruhrgas AG war Dr. Schmidt Stipendiant der Stiftung zur Förderung der systemorientierten Managementlehre und letzter Schüler von Prof. Hans Ulrich, dem Begründer des St. Galler Management-Ansatzes. Während dieser Zeit begann Dr. Schmidt seine publizistische Laufbahn, aus denen Bestseller wie «Endo-Management» und «Der Wissensnavigator» sowie Wirtschaftsbücher wie «Wohlstand_fuer_alle.com» oder «Crashonomics» hervorgingen. Sein neuestes Buch, welches im EWK-Verlag (www.ewk-verlag.de ) erschienen ist, heisst  «Unter Bankstern».

Heute ist Artur P. Schmidt Herausgeber des Online-News-Portals www.wissensnavigator.com sowie der Finanz-Portale www.bankingcockpit.com , www.wallstreetcockpit.com , www.futurescockpit.com und www.optioncockpit.com sowie Geschäftsführer der Tradercockpit GmbH (www.cockpit.li ). Dr. Schmidt ist ein gefragter Keynote-Speaker sowie Kolumnist für zahlreiche Finanzpublikationen.

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