von Tanja Hess
Man nennt Haarlem auch das Florenz des Nordens. Das liegt daran, dass die zu Beginn des 17. Jahrhunderts überdurchschnittlich viele Maler, Bildhauer und Kunsthandwerker in der Gilde eingetragen waren. Im diesem Bild hier von Jansz Saenredam ist die «Grote Kerk», die gösste Kirche Haarlems dargestellt. Doch das Bild weist weit über sich hinaus und lässt die Weltanschauungen der Zeit mitschwingen.
«jamais le néant n’a été si sûr»
Verdichtete Leere und die Schönheit des Nichts
Saenredam hat nur ein kleines Lebenswerk von 46 Bildern hinterlassen. Das Bild der Sammlung Bührle gehört in einen Zyklus von 12 Bildern, die sich alle der Darstellung des Innenraums der Kirche widmen.
Vielleicht könnte man sagen, dass mit diesem Bild der Maler Grosses vollbracht hat, weil er den Raum an sich malerisch aufgelöst hat. Roland Barthes schrieb: «jamais le néant n’a été si sûr» und damit hat der Philosoph wohl mehr als recht.
Doch wenden wir den Blick mehr auf die Details des Bildes. Gezeigt wird as Innere von Sankt-Bavo, doch wir sehen keinen Altar, keine Kanzel und auch keine Orgel. Das Blickfeld zeigt nur Raum, so als wäre der Raum das Wichtigste und der Schmuck des Raums ist das Licht, welches ein herrlich freies und luftiges Spiel auf den Flächen inszeniert. Es ist wohl kein Zufall, dass diese Blickwahl mit der resolut-calvinistischen Absicht der Leere den inhaltlichen Dialog aufnimmt. Das Abbild wird hier eher abgelehnt, das Bild hingegen gefeiert.
Flüsternd machte man die Geschäfte in der Kirche
Es war damals noch nicht üblich die Kirchen mit Stuhlreihen zu besetzen. Es sollte ein Ort der Begegnung sein. Somit lässt sich die Leere mindestens auf der Ebene des Mobiliars erklären. Doch die Kirche wurde damals auch anders gebraucht. Man ging hin, um flüsternd Geschäfte zu erledigen oder um sich etwas Ruhe zu gönnen und sich eine Auszeit zu nehmen.
Vielleicht mag das Bild etwas zu konstruiert erscheinen, doch die Eleganz der Farbe und Malweise weist weit über die detaillierte Skizze und Komposition hinaus. Die grosse Leistung ist die Beschränkung der Mittel. Die grosse Weite des Raumes breitet sich weit über den Bildrand aus – wohl gerade darum, weil das Bild auf die penible Abbildung von liturgischem Inventar verzichtet. Das Bild zeigt mehr die Kirche an sich, als dass sie die Kirche zeigt, so wie sie aussieht. Beinahe virtuell möchte man den Raum durchwandern, die Staffelungen der gotischen Bogen erleben und das kristalline Licht, welches solche Klarheit schafft, erleben. Der Maler macht eigentlich dasselbe – jedoch mit umgekehrten Vorzeichen – wie die Maler des Barock, er steigert Wirkung und Pracht gegenseitig. Einen besonderen Blick verdient das Grafitti am rechten Bildrand. Die erstaunende Leichtigkeit der Kritzelei -vielleicht von Kinderhand – lässt für einen Moment ironische Leichtigkeit zu. Der Künstler hat hier seine Signierung eingeflochten, ein geistvoll-ironischer Hinweis auf den Bezug von grosser Malerei und ungeschultem Zeichnen.
Die konzentrierte Gedankenwelt der architektonischen Konzeption kontrastiert in der Figurengruppe im linken Vordergrund. Nahe liegt die inhaltliche Anlehnung der Gruppe an Maria mit Jesuskind und einer Begleitperson. Dieser Kontrapunkt intuitiver Ursprünglichkeit, repräsentiert durch die Figuren, lässt den immensen architektonischen Raum des Lichts erklingen.
Das Beste aus der Sammlung Bührle
Stiftung Sammlung E. G. Bührle
Zollikerstrasse 172
CH-8008 Zürich
Offen: Di, Mi, Fr, So 14 – 17 Uhr