Diskussionen über die künftige Stromversorgung müssen daher den europäischen Kontext einbeziehen. Eine neue Studie von Avenir Suisse analysiert die Auswirkungen unterschiedlicher europäischer Szenarien auf den Schweizer Elektrizitätsmarkt und kommt zum Schluss, dass eine Strategie, die auf die Erneuerung der Kernkraft setzt, klare volkswirtschaftliche Vorteile aufweist.
Starke Integration der Schweiz im europäischen Strommarkt
Mit dem hohen Anteil von Stromimport und Stromtransit im Netz ist die Schweiz bereits heute stark in den europäischen Strommarkt integriert. Strategien für eine künftige Stromversorgung müssen in diesem Kontext betrachtet werden. Als Strategien für die Sicherung der Versorgung werden in der Studie von Avenir Suisse (i) Importe, (ii) neue erneuerbare Energien, (iii) Kernkraftwerke, (iv) Gas- und Dampfturbinenkraftwerke (GuD) sowie (v) Kohlekraftwerke diskutiert und im Kontext europäischer Szenarien beurteilt. Die für die Schweiz relevanten Szenarien können sowohl durch Überkapazitäten als auch durch Produktionsengpässe bestimmt sein. In der Beurteilung werden auch mögliche Kapazitätsengpässe bei grenzüberschreitenden Übertragungsnetzen berücksichtigt, welche zu Engpassgebühren und anhaltenden regionale Preisdifferenzen in Europa führen.
Unattraktive Auslandabhängigkeit
Aufgrund von Unsicherheiten über die internationalen Entwicklungen ist die Strategie «Importe» mit hohen Risiken bezüglich Preisen und Versorgungssicherheit verbunden. Auch wenn in Frankreich oder Deutschland ausreichende Produktionskapazitäten bestehen, drohen bedeutende Preisaufschläge. Weil die Schweiz mit Italien an den Grosshandelsmärkten um den günstigen Strom aus dem Norden konkurriert, kommt es zu Engpässen im Übertragungsnetz an der Grenze zu Deutschland und Frankreich. Die resultierenden Netz-Engpassgebühren bedeuten Preisaufschläge auf den Importen und damit eine Konvergenz an das höhere Preisniveau im italienischen Markt, wo die Preise selbst im Bereich der Grundlast auch in Zukunft durch die Kosten teurer Gaskraftwerke bestimmt werden dürften.
Neue erneuerbare Energien und Gaskraftwerke als teure Strategien
Zukünftige inländische Produktionskapazitäten sind daher sowohl wegen der Versorgungssicherheit als auch wegen der Marktpreise sinnvoll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Schweiz mit der Stilllegung von Kernkraftwerken in erster Linie Kapazitäten für die Produktion von (günstiger) Grundlast fehlen werden. Ob diese durch neue erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Wind ersetzt werden können, ist aus heutiger Sicht sehr unsicher. Sicher ist jedoch, dass eine solche Strategie sehr teuer wäre. Als Alternative bietet sich der Bau neuer Grosskraftwerke an. Relativ rasch gebaut werden können Gaskombikraftwerke (GuD). Diese werden in Europa wegen ihrer hohen Brennstoffkosten meist nur in der Mittel- bzw. Spitzenlast eingesetzt. Deckt die Schweiz ihren Grundlastbedarf mit GuD, hat dies Konsequenzen für das Preisniveau. Ähnlich wie bei einer Importstrategie droht eine Anpassung an die höheren italienischen Preise. Engpässe in den Grenzkapazitäten verhindern bzw. verteuern den Import von günstigerer Grundlast aus Frankreich oder Deutschland, selbst wenn dort ausreichende Kraftwerkskapazitäten vorhanden sind. Diesem Preiseffekt kann durch den Bau neuer Kernkraftwerke entgegengewirkt werden. Auch in diesem Fall kommt es zu einer Angleichung an ausländische Preise. Aufgrund der tiefen Grenzkosten von Kernkraftwerken erfolgt aber eine Anpassung an das deutsch-französische Preisniveau. Und in diesen Märkten werden künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit moderne Kohlekraftwerke die Preise für Grundlast bestimmen. Kohlekraftwerke produzieren aber günstiger als GuD. Daran dürften auch CO2-Kosten nichts ändern, die bei Kohlekraftwerken einen stärkeren Einfluss haben. Mit steigenden Rohstoffpreisen müssten auch CO2-Zertifikate teurer werden, was aus politischen Gründen schwer vorstellbar ist. Bereits heute müsste der Preis einer Tonne CO2 bei über 40 EUR liegen, damit GuD günstiger produzieren als moderne Kohlekraftwerke.
Kohlekraftwerke als Alternative zur Kernkraft?
Die hohe Verfügbarkeit des Brennstoffs Uran sowie die tiefen Grenzkosten der Stromproduktion machen Kernkraftwerke in einem offenen europäischen Markt zu einer vorteilhaften Versorgungsstrategie. Die aus heutiger Sicht einzige ökonomisch sinnvolle Alternative sind Kohlekraftwerke, die sich ebenfalls günstig im Bereich der Grundlast einsetzen lassen. Würde man Schweizer GuD eine vollständige CO2-Kompensation im Ausland erlauben, müsste dies auch für Kohlekraftwerke gelten. Grundsätzlich liessen sich auch in der Schweiz solche bauen. Kohle könnte beispielsweise auf dem Seeweg via Rhein importiert werden.
Market Coupling und neue Eigentümerstrukturen
Die Entwicklungen im europäischen Kontext haben auch Konsequenzen in Bezug auf die Gestaltung des Marktes sowie das Eigentum an Stromversorgungsunternehmen. Um den Handel zu vereinfachen, muss der Schweizer Strommarkt effizienter in Europa integriert werden (Market Coupling). Mit den zunehmenden Risiken an den Strommärkten sowie Unsicherheiten bezüglich technischer Entwicklungen sollte auch über die Privatisierung der Schweizer Verbundunternehmen nachgedacht werden. Gewinnerwirtschaftung unter den Risiken eines liberalisierten Marktes ist nicht Sache der Kantone, sondern privater Investoren.
(Avenir Suisse/mc/hfu)
Publikation: Urs Meister, «Strategien für die Schweizer Elektrizitätsversorgung im europäischen Kontext», Avenir Suisse 2008. Die Studie kann auch auf www.avenir-suisse.ch unter «Publikationen» heruntergeladen werden.