Bankgeheimnis: Es geht am G20-Gipfel um mehr
Die Namen der Länder auf der Liste der kooperationsunwilligen Staaten sollen auf einem Dokument stehen, das am Ende des Gipfels am Donnerstag veröffentlicht werden soll. Dies steht zumindest im Entwurf des Schlusscommuniqués, den sich die «Financial Times» am Sonntag beschafft hat.
Der Druck hat nachgelassen
Gegen die aufgeführten Länder sollen nicht näher umschriebene Sanktionen ergriffen werden. Für die Schweiz scheint der Druck indes nachgelassen zu haben. Vor etwas mehr als einer Woche versicherte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft, die Schweiz stehe nicht auf der Schwarzen Liste. In Sachen Bankgeheimnis hätten die Schweiz, Österreich und Liechtenstein die Standards der internationalen Organisation für Wirtschaft und Entwicklung (OECD) voll akzeptiert, sagte der tschechische Premierminister Mirek Topolanek. Das war allerdings, bevor er seinen Rücktritt angekündigt hatte.
Goodwill-Tour in europäische Hauptstädte
Um die EU vom Kooperationswillen der Schweiz zu überzeugen, reiste Bundesrätin Micheline Calmy-Rey nach Paris und nach Rom. Am Mittwoch wird sie ihre diplomatischen Bemühungen um das Schweizer Steuersystem in Berlin fortsetzen. Deutschland zeigte sich gegenüber Bern bisher unnachgiebig.
Es fehlt an Glaubwürdigkeit
Am Gipfel würden die G20-Staaten «mit der Hand auf dem Herz sagen, dass Steuerparadiese ein Skandal» seien, prognostiziert der ehemalige FDP-Nationalrat und Wirtschaftsexperte Peter Tschopp gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Glaubwürdig seien sie damit aber nicht. Den Grossmächten eile es nicht, konkretere Angaben zu den Sanktionen gegenüber Ländern auf der Schwarzen Liste zu machen, doppelt der Wirtschaftswissenschafter Jean-Pierre Lehmann nach. Denn innerhalb ihrer Grenzen gebe es ebenfalls Steuerparadiese.
Schweiz als Sündenbock
Beide Fachleute finden deshalb, dass die Schweiz als Sündenbock herhalten muss. Sie sei eine relativ leichte Beute, weil sie im Unterschied zu anderen Steuerparadiesen im Schoss der EU nicht geschützt sei, sagte Tschopp.
Protektionismus als grössere Gefahr
Das Steuerwesen ist laut Tschopp allerdings nur der kleinste gemeinsame Nenner des G20-Gipfels. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise kämen weit schwerwiegendere Probleme auf die Schweiz zu, warnen er und Lehmann. Eines sei der Protektionismus. Auch wenn die G20-Länder versprochen hätten, solche Schutzmechanismen zu bekämpfen, niste sich eine «Logik des Protektionismus» ein, stellt Lehmann fest. Am ihrem Gipfel in Washington im November hätten sich die G20 zwar noch für die Bekämpfung des Protektionismus stark gemacht.
Dennoch hätten 17 der 20 Staaten der Gruppe Massnahmen ergriffen, die in die umgekehrte Richtung gingen, sagt Lehmann, gestützt auf Zahlen der Weltbank. Für die kleine Schweiz mit zahlreichen vom internationalen Handel abhängigen Unternehmen könne dies schwere Nachteile bringen.
Inflationsgefahr durch Wiederankurbelungs-Programme
Inflationsgefahr geht nach Auffassung von Tschopp von staatlichen Wiederankurbelungs-Programme für die Wirtschaft aus. Die USA und die EU sind sich indessen nicht einig über den Umfang der Konjunkturpakete. Die USA will mehr Finanzhilfen, die EU stellt sich dagegen.
Schweiz steht isoliert da
Und dann gibt es noch ein Problem für die Schweiz: Sie steht in der Krise isoliert da, wie Tschopp und Lehmann festhalten. Kein Schweizer Beobachter werde den G20-Gipfel mitverfolgen. «Die Schweiz könnte am Gipfel zwar nicht viel ausrichten», sagt Tschopp. «Doch sie wäre wenigstes über den Inhalt der Diskussionen informiert. Die Schweiz ist nie da, wo die Information unter den Regierungen zirkuliert.» Aus seiner Sicht genügen die Reisen von Micheline Calmy-Rey nicht. Denn die Aussenministerin treffe nicht die zuständigen Regierungsmitglieder, sondern die Spitzen der Diplomatie.
Juncker greift USA vor G20-Gipfel an
Im Streit um sogenannte Steueroasen hat am Dienstag Luxemburgs Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker erstmals öffentlich die USA angegriffen. «Falls es eine Liste geben sollte, müsste Amerika einen Platz haben», sagte der Vorsitzende der Euro-Finanzminister vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments. «Kein einziger Premierminister ausser mir erwähnt dieses Thema», sagte Juncker mit Blick auf «Steuerparadiese auf (US-) amerikanischem Territorium» unmittelbar vor dem Weltfinanzgipfel. Luxemburg, Österreich und Belgien hatten angekündigt, ihr striktes Bankgeheimnis zu lockern. Juncker erreichte beim vergangenen EU-Gipfel Mitte März, dass keine EU-Länder auf einer möglichen «schwarzen Liste» der G20-Länder für «Steueroasen» erscheinen. (awp/mc/pg/17)