Der Bundesrat will mit seinen Beschlüssen zum Bankgeheimnis dafür sorgen, dass sie daraus gestrichen wird. Der Bundesrat habe beschlossen, den Standard der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei der Amtshilfe in Steuerfragen zu übernehmen, sagte Finanzminister Hans-Rudolf Merz am Freitag vor den Medien. Damit entfalle in den Beziehungen mit dem Ausland die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung. In der Schweiz ändere sich für die hier ansässigen Bankkundinnen und -kunden nichts, betonte Merz. Er bleibe ein «feuriger» Befürworter des Bankgeheimnisses: «Wenn wir unsere Angelegenheiten in Ordnung halten, hat der Staat in unseren Bankbüchlein nichts zu suchen.» Die Privatsphäre der Kundschaft werde weiterhin gewahrt.
70 Doppelbesteuerungsabkommen betroffen
Die Übernahme des OECD-Musterabkommens bedinge im Verhältnis zum Ausland den Rückzug eines von der Schweiz angebrachten Vorbehaltes, sagte Merz. Dafür müssten rund 70 bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen revidiert werden. Eine Länderprioritätenliste bestehe noch nicht.
Rückzug des Vorbehaltes
Der Rückzug des Vorbehaltes erlaube es, die Amtshilfe mit anderen Ländern auszubauen – allerdings nur im Einzelfall auf konkrete Anfrage und bei begründetem Verdacht auf Steuerdelikte, betonte Merz. Der erweiterte Informationsaustausch werde erst nach Aushandlung der Doppelbesteuerungsabkommen Wirkung entfalten.
Verhältnis zur EU
Zudem müsse im Verhältnis zur EU über das Zinsbesteuerungsabkommen verhandelt werden, sagte Merz. Im Weiteren seien für die Schweiz eine Verbesserung des Marktzutritts für grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen und gleich lange Spiesse bei der Informationsbereitschaft von zentraler Bedeutung. Für den Bundesrat sind folgende Elemente für seine künftige Amtshilfepolitik in Steuersachen unverzichtbar: Wahrung des Verfahrensschutzes, faire Übergangslösungen und die Begrenzung der Amtshilfe auf den Einzelfall. Die Übernahme des OECD-Standards werde die Rechtssicherheit für die Bankkundschaft erhöhen. Das werde dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit und die internationale Bedeutung des Finanzplatzes zu erhöhen. Das stärke auch den Werkplatz und sichere Arbeitsplätze. Er werde am Samstag in London am Treffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit seinen Kollegen sprechen, sagte der Finanzminister.
Zum Wohle des Landes
Merz verneinte, dass es sich um eine mit Luxemburg, Österreich und Luxemburg konzertierte Aktion handle. Aber natürlich stehe er mit den ausländischen Finanzministern in Kontakt. Er rechne im übrigen nicht damit, dass nun eine Flut von Amtshilfegesuchen die Schweiz überschwemme. Die revidierten Doppelbesteuerungsabkommen müssen vom Parlament genehmigt werden. Sie können dem Referendum unterstellt werden. So bleibe das letzte Wort beim Volk, sagte Merz. Verhandlungstermine mit den 70 Partnerländern seien noch nicht ausgemacht. Die direkte Demokratie brauche ihre Zeit: «Aber wir werden nicht trödeln».
Verzicht auf die Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung
Der Verzicht auf die Unterscheidung von Steuerbetrug und Steuerhinterziehung bei ausländischen Konten werde die Ausgangslage für die Banken ändern, sagte Merz. Der Finanzplatz habe aber viele andere Trümpfe. Der Bundesrat habe sich in eine internationale Dynamik eingereiht und «zum Wohle des Landes» entschieden.
Der Druck war zu gross geworden: Der Bundesrat gibt klein bei und lockert gleichzeitig mit Luxemburg und Österreich das Bankgeheimnis für Steuerdelikte. Er übernimmt die entsprechenden OECD-Standards und bricht mit dem Tabu Steuerhinterziehung. Mit der Übernahme der Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird künftig die Rechtshilfe nicht nur bei Steuerbetrug, sondern auch bei Steuerhinterziehung möglich, wie Finanzminister Hans-Rudolf Merz am Freitag vor den Medien in Bern erläuterte. Die Schweiz reiht sich damit in die Liste jener Länder ein, die unter dem immensen Druck ihr Bankgeheimnis gelockert haben. Am Freitag erklärten auch Luxemburg und Österreich, die OECD-Standards übernehmen zu wollen. Liechtenstein, Andorra und Belgien hatten am Donnerstag ähnliche Massnahmen beschlossen.
Rechtshilfe soll lediglich bei Einzelfällen, bei konkreten Anfragen und bei begründetem Verdacht möglich sein
Einen automatischen Informationsaustausch lehnt Merz jedoch entschieden ab. Die Rechtshilfe soll lediglich bei Einzelfällen, bei konkreten Anfragen und bei begründetem Verdacht möglich sein, sagte er. Im Hinterkopf hat der Bundesrat dabei – wie auch Luxemburg, Österreich oder Liechtenstein – den OECD-Entwurf einer «Schwarzen Liste» jener Länder, die in Steuerangelegenheiten nicht kooperieren. Die Landesregierung will erreichen, dass die Schweiz von dieser Liste gestrichen wird. Einen weiteren Schritt in diese Richtung will Merz am Samstag in London unternehmen. Dort nimmt er an einem Treffen des Internationalen Währungsfonds teil und sucht das Gespräch mit ausländischen Amtskollegen.
70 bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen neu aushandeln
Umsetzen will der Bundesrat seinen Beschluss, indem er rund 70 bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen neu aushandelt. Auf gesamteuropäischer Ebene will Merz das Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU neu aushandeln. Gegen die neu ausgehandelten Abkommen kann das Referendum ergriffen werden.
Lob aus dem Ausland
Lob erntete der Bundesrat mit seinem Beschluss im Ausland: Die EU und die OECD zeigten sich erfreut über den Entscheid der Landesregierung. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy erklärte, Steuerparadiesen müsse nun endgültig der Garaus gemacht werden. Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse zeigte sich ebenfalls zufrieden. Er lehnt jedoch wie Merz einen automatischen Informationsaustausch ab. Weiter forderte er, dass auch andere Staaten sich künftig an die OECD-Standards halten müssten. Auch die Schweizerische Bankiervereinigung und die Vereinigung Schweizerischer Privatbanquiers (VSPB) können mit dem Entscheid leben.
Tadel aus den Parteien
Anders dagegen die Parteien: SP, SVP, FDP, CVP und Grüne sind sich für einmal einig, dass dem Bundesrat eine klare Strategie im Umgang mit dem Bankgeheimnis fehle. Diesen Standpunkt teilen auch Experten: Mark Pieth, Basler Strafrechtler und Experte für Wirtschaftsdelikte, wirft dem Bundesrat vor, sich in der Vergangenheit totgestellt zu haben, statt eine Vorwärtsstragie zu wählen. Eine Meinung, die auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund teilt. Er sorgt sich auch um das Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU. Wenn man dieses nun neu aushandeln müsse, dann sei dies «extrem schwierig». Denn daran hänge indirekt der gesamte Steuerstreit mit der EU. Die SVP kündigte ihrerseits an, sie wolle neue Doppelbesteuerungsabkommen mit Referenden bekämpfen. Der Bundesrat habe mit der Lockerung des Bankgeheimnisses die Bürger und Bankkunden verraten. ( awp/ang/mc/gh)