von Patrick Gunti
Herr Bechtold, die Schweiz ist die wettbewerbsfähigste Nation der Welt, wie der Global Competitiveness Report 2009-2010 zeigt. Was sind die Gründe dafür, dass die Schweiz die USA von Platz 1 verdrängen konnte?
Die Schweiz hat im Gegensatz zu den USA keine Wettbewerbsfähigkeit eingebüsst, denn sie konnte im Vergleich zum letzten Jahr ihre Position halten. Die USA hingegen verloren aufgrund der Schwächung ihres Finanzsektors und der damit verbundenen abnehmenden makroökonomischen Stabilität ihren Spitzenplatz.
Wirtschaften mit einem starken Fokus auf Finanzdienstleistungen wie die USA, Grossbritannien oder Island haben Positionen eingebüsst. Wieso ist dies mit der Schweiz nicht geschehen?
Der Global Competitiveness Index ist auf zwölf Säulen aufgebaut. Dabei ist der Finanzmarkt nur eines der abgefragten Gebiete. Untersucht werden noch weitere Indikatoren, die ebenfalls ins Gewicht fallen, wie beispielsweise die staatlichen Institutionen, die Ausbildung, die Infrastruktur oder das Gesundheitswesen. Die Schweiz hat in einigen dieser Bereiche hervorragende Resultate erzielt. Zudem besteht die Schweizer Wirtschaft nicht nur aus dem Finanzplatz, sondern ist über mehrere Branchen breit abgestützt.
Wo liegen neben den Problemen im Finanzwesen die grössten Defizite des Wirtschaftsstandortes USA?
Die Schwächen der USA hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit offenbaren sich in der öffentlichen Wahrnehmung über die Verwendung – bzw. Verschwendung – der Ressourcen sowie in Bedenken bezüglich der Gleichbehandlung im privaten Sektor durch die Regierung.
«In standortökonomischer Hinsicht kann ein solches Spitzenresultat durchaus entsprechende Signale aussenden – insbesondere bei internationalen Firmen, welche gerade daran sind, den Standort ihres Europasitzes oder ihrer F&E-Abteilung zu evaluieren.»
Wie präsentiert sich im Gegenzug das Stärkenprofil des Standortes Schweiz?
Die Schweiz glänzt mit einer hohen Innovationskraft (Patente pro Kopf) sowie dem starken Schutz dieser Patentrechte. Dazu zeichnet sich der Standort Schweiz durch die ausgezeichneten Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen aus. Ebenfalls gute Noten erhalten die hochentwickelte Unternehmenskultur sowie die hervorragende Infrastruktur (Eisenbahn, Telefon).&
Worin zeigt sich die überdurchschnittliche Effizienz des Werksplatzes Schweiz?
Diese hohe Effizienz spiegelt sich unter anderem in der ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wider. Der enge Austausch der Universitäten mit den Unternehmen sorgt für effiziente Prozesse und garantiert die Praxisumsetzung von neu entwickelten, qualitativ hochstehenden Produkten. Indirekt tragen zudem die öffentlichen Institutionen mit der unabhängigen Justiz, der ausgeprägten Rechtsstaatlichkeit sowie der hohen Transparenz (keine Korruption und Willkür) zu effizienten Abläufen bei Bewilligungs- und Amtsverfahren bei.
Welche Aussagekraft besitzt das Ranking und welchen Nutzen kann die Schweiz aus der Top-Qualifizierung für Vorteile ziehen?
In standortökonomischer Hinsicht kann ein solches Spitzenresultat durchaus entsprechende Signale aussenden – insbesondere bei internationalen Firmen, welche gerade daran sind, den Standort ihres Europasitzes oder ihrer F&E-Abteilung zu evaluieren. Die Empirie bestätigt auch, dass die Schweiz als Standort für regionale Hauptquartiere internationaler Firmen gefragt ist: Weltweit tätige Unternehmen wie IBM, Google, Nissan, General Motors, Kraft Foods oder Mc Donald?s haben bereits heute schon wichtige Standbeine in der Schweiz.
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Was muss die Schweiz tun, um auch im kommenden Jahr an der Spitze zu stehen?
Die guten Standortqualitäten müssen gepflegt werden! Die hervorragenden Rahmenbedingungen sollen nicht verschlechtert oder aufgegeben werden. Weder Regulierungen noch Vorschriften dürfen Überhand nehmen. Die Politik muss dafür sorgen, dass die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen weiterhin eine hohe Konkurrenzfähigkeit im internationalen Standortwettbewerb garantieren. Zwei praktische Beispiele, die diesbezüglich positive gesamtökonomische Auswirkungen haben dürften: Eine nachhaltige Lösung im Flughafendossier sowie die Beilegung des Steuerstreits mit der EU (inkl. Regelung der Holdingbesteuerung).&
Bei aller Freude über das Resultat ? es besteht doch in verschiedenen Bereichen auch Verbesserungspotenzial. Welches sind die «Ausreisser» gegen unten?
Gemäss der Analyse der Genfer Autoren hat die Schweiz einen Nachholbedarf bei der (tiefen) Quote der Universitätsabgänger. Aus meiner Sicht greift diese Ansicht jedoch zu kurz. Gerade das duale Berufssystem mit der praxisbezogenen Ausbildung hat viel zur qualitativ hochstehenden Arbeit, die auf dem Werkplatzes Schweiz verrichtet wird, beigetragen. Hingegen schneiden wir bei den Ausgaben für die Agrarpolitik, den Staatsschulden, den Handelshemmnissen und dem Zeitaufwand für eine Unternehmensgründung relativ schlecht ab.
Welche anderen Länder haben in den letzten 12 Monaten starke Positionsverschiebungen oder spezielle Entwicklungen erlebt?
Relativ gesehen haben Uganda (+20), Aserbeidschan (+18) und Algerien (+16) die meisten Plätze gut gemacht. Den grössten Abstieg im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit müssen Mongolei (-17), Philippinen (-16) und Syrien (-16) verantworten.
Auffallend ist der Verlust von 12 Positionen von Russland. Was hat dazu geführt?
Unter den BRIC-Staaten ist Russland das einzige Land, das im Vergleich zum Vorjahr eine schlechtere Performance erzielt hat. Strukturelle Schwächen hat Russland insbesondere bei den staatlichen Institutionen (Schwerfälligkeit) und der Justiz (Unabhängigkeit). Ebenfalls werden die fehlenden Eigentumsrechte sowie die mangelhafte Unternehmenskultur moniert und in der Funktionsfähigkeit weisen sowohl der Güter- als auch der Finanzmarkt eklatante Schwächen auf.
Was war die Aufgabe der Executive School der Universität St. Gallen bei der Erstellung des World Competitiveness Reports?
In jedem Land wurde ein Partnerinstitut bestimmt, welches die primäre Aufgabe hatte, die Datenbeschaffung zu organisieren. Die Auswahl der befragten Unternehmensführern (GL- und VR- Mitglieder) erfolgte nach der Unternehmensgrösse, der Branchenzugehörigkeit sowie des geographischen Standortes. Ein guter Mix dieser Indikatoren gewährleistet eine breite Abstützung und ermöglicht es, relevante wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen zu ziehen.
Herr Bechtold, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Beat Bechtold, lic.rer.publ.HSG, arbeitet an der ES-HSG, wo er als Programmverantwortlicher einen Zertifikatskurs in der Weiterbildung betreut. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Standortökonomie und der Wirtschaftspolitik, worüber er zur Zeit auch eine Dissertation verfasst.&
Zur ES-HSG:
Die Executive School of Management, Technology and Law (ES-HSG) an der Universität St. Gallen wurde im Jahr 2005 gegründet. Sie bietet unter ihrem Dach eine Vielzahl von Veranstaltungen und Ausbildungslehrgängen an, die von Instituten und Lehrstühlen der Universität St. Gallen entwickelt und durchgeführt werden.