Benno E. Oertig, VR-Präsident Intrum Justitia: «Manche Unternehmen fürchten, sie könnten Ihre Kunden verärgern»
Moneycab: Herr Oertig, gemäss einer Umfrage von Intrum Justitia bei 2600 Unternehmen in der Schweiz übederen Verhalten im Bereich Zahlungsausstände verkommt die Schweiz zum «Schuldnerparadies». Wieso warten Schweizer Gläubiger so lange, bis sie ihre Mahnungen veschicken?
Benno E. Oertig: Viele Unternehmen haben die falsche Befürchtung, dass sie ihre Kunden verärgern, wenn sie zu rasch mahnen. Interessant ist jedoch, dass Kunden eine rasche Mahnung als positiv einschätzen, wenn die der Rechnung zu Grunde liegende Lieferung oder Dienstleistung pünktlich und in einwandfreier Qualität ausgeführt wurde. Die Kunden sehen den Lieferanten in sämtlichen geschäftlichen Belangen als kompetent an.
Erstaunt Sie die lange Wartezeit bis zu einer Mahnung nicht, gerade in Anbetracht der wirtschaftlich
schwierigen Situation, in der sich vor allem auch KMU befinden?Doch, insbesondere in Anbetracht der vorgenannten Kundenreaktion. Aber auch aus einem anderen Blickwinkel: Unsere Untersuchung, welche wir in insgesamt 17 Länder Europas durchgeführt haben, hat gezeigt, dass Unternehmen nach der Formel ?2-2-2-plus? am erfolgreichsten zu ihrem Geld kommen. Die Formel steht für: erste Mahnung innert zwei Wochen nach dem Verfalltermin, nicht mehr als zwei Mahnungen in nicht längeren Zeiträumen als zwei Wochen zu versenden. Das Plus steht für eine Bonitätsprüfung vor der Lieferung auf Rechnung sowie für eine Belastung von Verzugszinsen und Mahnkosten. Wer von dieser Regel abweicht, weist höhere Verluste und längere Zahlungsfristen auf. Dies hat sich in sämtlichen Ländern gezeigt.
«Manche Unternehmen fürchten, sie könnten ihre Kunden verärgern. Dabei bestrafen sie die guten Kunden und verwöhnen die schlechten Risiken.»
Benno E. Oertig, VR-Präsident Intrum Justita AG
Intrum Justitia beurteilt die Situation so, dass die vielen offenen Rechnungen zur Zeitbombe für KMU werden. Was raten Sie diesen Unternehmen für konkrete Schritte an?
Das Hauptproblem der KMU ist, dass sie in der ganzen Finanzierungskette Eigentümer-Banken-Lieferanten die höchsten Risiken tragen und gleichzeitig oftmals auf eine wirkungsvolle Kreditwürdigkeitsprüfung verzichten. Hier ist sicherlich in einem ersten Schritt der Hebel anzusetzen. In einem zweiten Schritt sind laufend die lang überfälligen Forderungen anzusehen. Bei Kunden, die mehr als zwei Mal gemahnt werden, müssen die Alarmglocken klingeln: Hier ist zumeist Vorsicht geboten. Auch gilt es, die Ausstände der einzelnen Kunden im Auge zu behalten. Wenn sich die Forderungen eines Kunden plötzlich und ohne ersichtlichen Grund anhäufen, ist ebenfalls äusserste Vorsicht geboten. Zumeist ist dies ein Zeichen, dass andere Finanzierungsquellen gekürzt oder eingestellt wurden.
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Haben Sie eine Erklärung dafür, dass 50 Prozent der Unternehmen keine Mahngebühren erheben und ebenfalls
50 Prozent keine Verzugszinsen erheben?Hier gilt das Gleiche wie bei der Mahndauer. Manche Unternehmen fürchten, sie könnten ihre Kunden verärgern. Dabei bestrafen sie die guten Kunden und verwöhnen die schlechten Risiken. Selbstverständlich kann es Teil der Preisgestaltung sein, manchen Kunden mit vorteilhaften Zahlungskonditionen entgegen zu kommen. Dies sollte jedoch im gegenseitigen Einverständnis erfolgen und zwar vor dem Verkauf. Werden die Verzugskosten jedoch nicht verursachergerecht belastet, so zahlen die rechtzeitig zahlenden Kunden die Kosten, und gleichzeitig wird den schlechten Risiken ein Anreiz gegeben, sich via Lieferantenkredite zu refinanzieren anstatt via Bankkredite.
Wie steht die Schweiz im internationalen Vergleich da?
In der Schweiz wird ? auch im internationalen Vergleich ? zu spät, zu oft und in zu langen Abständen gemahnt. Auch hinsichtlich des ?Plus? in der Best-practice-Formel ?2-2-2-plus? steht die Schweiz im hinteren Teil: In den Ländern der Europäischen Union etwa schuldet ein säumiger Kunde von Gesetzes wegen ab dem ersten Verzugstag Verzugszinsen, welche 8% p.a. über dem Referenzzinssatz der Europäischen Zentralbank liegen ? selbstverständlich ohne jegliche zusätzliche Massnahme des Gläubigers. Gleich verhält es sich mit den Schuldnerkosten. Auch diese können von Gesetzes wegen in vollem Umfang überwälzt werden.
Auch in der Wertung des Zahlungsrisikos ? also dem Verzug der Schuldner bei der Bezahlung offener
Rechnungen ? gehört die Schweiz laut einer Intrum-Justitia-Umfrage zu den Verlierern. Wieso ist das Risiko in den meisten europäischen Ländern rückläufig, in der Schweiz aber nicht?Die Gründe sind vielschichtig. Als Ursache ist die wirtschaftlich schwierige Zeit während den vergangenen Jahren zu nennen, ein Anstieg der Anforderungen bei Bankfinanzierungen, aber auch eine Veränderung der allgemeinen Wertehaltungen gehört dazu.
Wie lange dauert es denn durchschnittlich, bis Privat- und Firmenkunden sowie der Bund die ausstehenden
Rechnungen begleichen?Am schnellsten bezahlen die Privatkunden, im Durchschnitt nach 42.5 Tagen, also mit rund zwei Wochen Verspätung. Am längsten lässt sich die Öffentliche Hand Zeit beim Bezahlen. Sie bezahlt im Durchschnitt nach etwas über 48 Tagen, d.h. mit fast 17 Tagen Verspätung. Die Firmenkunden schliesslich bezahlen mit einer zweiwöchigen Verspätung nach rund 45 Tagen. Aus unserer Sicht beeindruckende Zahlen, schliesslich bedeutet ein Verzug von zwei Wochen für ein KMU mit CHF 25 Mio Umsatz, dass eine Million Franken Kapital zu viel durch unbezahlte Rechnungen gebunden ist ? unverzinstes Risikokapital notabene.
Es wird zu spät gemahnt, Gebühren werden nicht erhoben ? Schuldner verzögern die Zahlungen. Haben Sie ein
Rezept, wie die Zahlungsmoral verbessert werden kann?Die Zahlungsmoral als Gesamtes hat sich über eine längere Zeitdauer hin kontinuierlich verschlechtert und wird ? leider ? kaum von heute auf morgen nachhaltig verbessert werden können. Auf der anderen Seite lassen sich die Auswirkungen mit einer massgeschneiderten Strategie, die auf dem Prinzip der Verhinderung und der Verminderung von Zahlungsrisiken aufbaut, in Grenzen halten.
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Sie sind seit 30 Jahren bei Intrum Justitia, der Branchenleaderin im Bereich Forderungsmanagement und Kreditschutz. Wie haben sich Mahnungswesen und Zahlungsmoral in dieser Zeit entwickelt?
Die Schweiz war ein Musterschüler bezüglich Zahlungsmoral. Eine Betreibung hatte noch ihre Wirkung und bedeutete eine krasse Kreditunwürdigkeit. Eine Inkassomahnung bewirkte fast immer eine Zahlung.
«Wo wären wir heute mit der Zahlungsmoral,
wenn es uns nicht gäbe?»
Benno E Oertig, VR-Präsident Intrum Justitia AG
Für Gläubiger gibt es als Alternativen zu Mahnungen und Betreibungen, um an ihr Geld zu kommen. Was bietet
Ihr Unternehmen in diesem Bereich für Dienstleistungen an?Heute ist unsere Position die eines Vermittlers. Deshalb sind Gespräche mit dem Schuldner notwendig, um klar zu machen, dass tatsächlich eine Schuld besteht und dass eine nichtbezahlte Schuld Konsequenzen im Consumerverhalten und bei neuen Krediten haben wird. Deshalb steht in unserer Botschaft klar und deutlich die Prävention. Bei jeden auf Kredit gelieferten Waren und Dienstleistungen muss zuerst die Bonität des Kunden angefragt werden, um keine unnötigen Debitorenverluste einzufahren. Dem Kreditgeber stehen heute unsere Datenbanken im Firmen- und Konsumentensegment on-line zur Verfügung, um in Sekundenschnelle einen treffsicheren Kreditentscheid machen zu können. Würden alle Kreditgeber unsere Datenbanken konsultieren, wäre ein grosses Verlustrisiko eliminiert und die Verluste auf ein Minimum begrenzt.
In Anbetracht der Missstände müssen Ihre Dienstleistungen sehr gefragt sein. Sind Sie zufrieden mit dem
letztjährigen Geschäftsverlauf?Das Verhältnis zum Markt hat sich stark gewandelt, von der Anonymität hin zur Autorität. Die Bonitätsabfrage wie auch das Inkasso ist von volkswirtschaftlichem Nutzen. Wo wären wir heute mit der Zahlungsmoral, wenn es uns nicht gäbe? Natürlich sind wir je länger je mehr gefragt, weil unsere Kernkompetenzen immer mehr zum Outsourcing führen werden. Unsere Dienstleistungen unterliegen den Veränderungen des Konsumentenverhaltens, und die sind bekanntlich sehr schnell. Deshalb wenden sich heute alle Branchen an uns, ob im Banken-, Versicherungs-, KMU- ja sogar im Gesundheitswesen. Als Branchenleader mit fast 2/3 Marktanteil sind wir im 2005 mit 10 Prozent im Inkasso und 25 Prozent in der Bonitätsvergabe gewachsen.
Wie schätzen Sie die langfristige Entwicklung ein?
Langfristig sind unsere Dienstleistungen nicht mehr wegzudenken. Wie gesagt, ein Kredit ohne vorhergehende Kreditprüfung entspricht nicht mehr einer kaufmännischen Sorgfaltspflicht. Seit die Verwaltungsräte immer mehr die gesellschaftliche Verantwortung tragen, ist unser Dienstleistung sowohl im Kreditverhinderungs- wie auch im Kreditvermindungsbereich ein Muss. (scc/pg)
Zur Person
Zum Unternehmen
Intrum Justitia AG, mit Hauptsitz in Schwerzenbach ZH, ist das führende Unternehmen für Finanzdienstleistungen im Bereich Kreditentscheid und Inkasso in der Schweiz. Über 6000 Kunden werden von 180 Mitarbeitern von den Standorten Schwerzenbach ZH und Lausanne aus betreut. Intrum Justitia ist seit über 30 Jahren in der Schweiz vertreten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen und gerichtlichen Usanzen aller Kantone sind Intrum vertraut. Intrum Justitia um verfügt über die umfassendsten Bonitätsdatenbanken der Schweiz. Intrum Justitia ist in der Schweiz die Nummer 1 für Finanzdienstleistungen im Bereich Kreditentscheid und Inkasso. Mit 22 europäischen Intrum Justitia Ländergesellschaften sowie mehr als 120 Vertragspartnern auf allen Kontinenten ist Intrum Justitia auch für Firmen im Exportgeschäft ein wichtiger Parnter.