Bundesanwalt Valentin Roschacher: «Ich überschätze meine Wichtigkeit nicht»


Teil 2 des Interviews, in dem der in die Kritik geratene Bundesanwalt Stellung nimmt zu den Vorwürfen und interessante Einblicke gibt in seine Ideen, Pläne und was ihm nebst der Arbeit wichtig ist.

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Für Ermittlungen in Geldwäschereifällen, welche die Grenzen eines Kantones oder des Landes überschreiten, sind Sie zuständig. Die Kantone haben ihre eigenen Organisationen und Mittel redimensioniert. Sind Sie in der Lage, die an Sie gestellten Anforderungen mit Ihren Mitteln überhaupt zu erfüllen?

Bundesanwalt Valentin Roschacher: Nach meinem Wissen haben die Kantone nicht redimensioniert. Das wäre nach meinem Dafürhalten auch falsch, denn das erste Ziel der Effizienzvorlage war, in der Verfolgung der internationalen Schwerstkriminalität mehr zu tun, als bisher getan wurde. Eine intensivere Bearbeitung der Deliktsfelder der organisierten Kriminalität, der Korruption und der sich daraus ergebenden Geldwäscherei sowie eine Entlastung vor allem der kleinen und der mittelgrossen Kantone, welche selber nicht über spezialisierte Einheiten und die notwendigen Kontakte ins Ausland verfügen, das sind die Ziele der Effizienzvorlage; und letztlich auch der Wunsch der Kantone. Diesem Auftrag wollen die Strafverfolgungsbehörden des Bundes nachkommen.
Um es etwas bildhafter auszudrücken: Vor der Effizienzvorlage hatte ein Kanton z.B. 100 grosse Fälle; davon konnte er 70 mit seinen Mitteln erledigen, 30 blieben mangels Ressourcen unbearbeitet liegen. Mit der Effizienzvorlage nimmt jetzt der Bund vom Stapel der 30 unterledigten Fälle 20 weg und erledigt diese. Dies ist eine Verbesserung der Strafverfolgung der Schweiz, auch wenn der Kanton weiterhin über beide Ohren ausgelastet ist, und auch wenn immer noch 10 Fälle unbearbeitet liegen bleiben. Mit den zusätzlichen Einsparungen bei den Bundesfinanzen erhalten wir für den ursprünglich geplanten Aufbau in den nächsten Jahren weniger Mittel und werden dadurch weniger Fälle als vorgesehen bearbeiten können. Die Verbrecher werden vermutlich keine Rücksicht auf unsere Finanzsituation nehmen, also werden wir auf die Fallentwicklung in diesem Bereich keinen Einfluss haben. Wir müssen mit den Mitteln, die wir bekommen, das tun, was nötig und möglich ist. Und das tun wir auch.


Sie sind angetreten, um die BA zur Erfüllung neuer und Übernahme koordinativer Aufgaben substantiell auszubauen. Dieses Projekt ist offensichtlich ins Stocken geraten. Sparen statt Aufbauen ist das Thema der Stunde. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung der BA bezüglich Aufgabenbereiche und den Ihnen zu Verfügung stehenden Mittel?

Mit den Einsparungen bei den Bundesfinanzen, insbesondere mit dem Entlastungsprogramm 03 erhalten die Strafverfolgungsbehörden des Bundes in den nächsten Jahren, wie gesagt, weniger Mittel. Der ursprünglich geplante Aufbau kann nicht wie vorgesehen vorangetrieben werden, der Auf- und Ausbau von BA und Bundeskriminalpolizei ist im Sinne eines „Marschhalts“ für die nächste Zeit gestoppt worden. Mit diesem Marschhalt müssen wir als Strafverfolgungsbehörden für eine begrenzte Zeit leben. Nicht gut und nicht gemütlich, aber wir müssen damit leben und wir nutzen diese Phase des Marschhalts zur Konsolidierung der aufgebauten Strukturen und zur Verbesserung der Arbeitsabläufe in der Zusammenarbeit von BA, Bundeskriminalpolizei sowie den Staatsanwaltschaften und Polizeikorps der Kantone. BA und Bundeskriminalpolizei arbeiten ja seit Frühjahr und Sommer dieses Jahres nicht allein von Bern aus, sondern haben Zweigstellen mit Mitarbeitenden in Lausanne, Lugano und Zürich eingerichtet. Dass aufgrund des „Marschhalts“ Verfahren priorisiert und andere zurückgestellt werden müssen und dass wir im Bereich der Strafverfolgung weniger mit weniger Mitteln in Angriff nehmen können – beispielsweise die von den Kantonen gewünschte häufigere Übernahme von Wirtschaftskriminalitätsfällen -, haben wir von Anfang an offen deklariert, und zwar ohne zu jammern. Diese Situation führt aber auch dazu, dass beim Bund wie in den Kantonen infolge der stetig ansteigenden Geschäftslast Pendenzen entstehen werden. Wir werden nach Kräften dazu beitragen, dass dabei unter dem Aspekt der Strafverfolgung kein Schaden an der Sicherheit der Schweiz entsteht.


Seit Beginn dieses Jahres haben Sie mit Bundesrat Blocher einen neuen Vorgesetzten mit neuer Führungskultur und anderen Ideen bezüglich Staatsaufgaben und Staatsausgaben als seine Vorgängerin Ruth Metzler. Was bedeutet das für Sie und Ihre Mitarbeiter?

Die BA arbeitet in ihren strafrechtlichen Verfahren unter Aufsicht der Beschwerdekammer des neuen Bundesstrafgerichts in Bellinzona und ist dem Justiz- und Polizeidepartement seit 1.1.2002 nur mehr administrativ zugeordnet. Wenn in den Medien die unterschiedlichen Standpunkte zwischen dem Bundesanwalt und dem EJPD-Vorsteher thematisiert werden, kann dies dazu dienen, um grundsätzliche Positionsunterschiede zwischen Strafverfolgung einerseits und Politik und Verwaltung andererseits abzubilden. Ich habe aber verschiedentlich klargestellt, und tue dies gerne hier nochmals, dass es zwischen mir und dem EJPD-Vorsteher keinerlei Differenzen gibt, welche nicht im unterschiedlichen Auftrag der BA als Strafverfolgungsbehörde und dem Auftrag des EJPD als Verwaltungsbehörde begründet wären. Diese in der Gewaltentrennung begründeten Differenzen werden in gegenseitigem Respekt und in konstruktiver Auseinandersetzung ausgetragen. Es hat sich mittlerweile auch in den Medien herumgesprochen, dass das persönliche Verhältnis zwischen mir und Bundesrat Christoph Blocher frei von persönlichen Spannungen ist.


Wenn Sie freie Hand und unbeschränkte Mittel hätten, wie würde die BA aussehen? Welche Aufgaben würde sie idealerweise selbst erfüllen, welche den Kantonen überlassen?

Lassen Sie mich vorausschickend festhalten, dass mir als Staatsbürger unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die Idee eines Bundesanwalts mit freier Hand und einer BA mit unbeschränkten Mitteln kein sonderlich behagliches Gefühl vermittelt, selbst wenn ich mich als Strafverfolger selbstverständlich dafür einsetze, dass wir die Mittel erhalten, die wir für unsere Arbeit benötigen. Ich bin als Bundesanwalt mit dem expliziten Auftrag zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden und internationalen Schwerstkriminalität der Meinung, dass die Übertragung der Verfahrenskompetenzen im internationalen Deliktsbereich an die BA der richtige Entscheid war – und ich denke, dass wir im Verlauf der strafrechtlichen Terrorismusermittlungen nach dem 11. September 2001 nachträglich die Qualität dieses Entscheids mit den Resultaten unserer Arbeit auch unter Beweis haben stellen können. In den Terrorismusermittlungen war nicht zuletzt zur Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit eine zentralisierte Verfahrensleitung auf Bundesebene sehr viel zweckdienlicher, als es eine reine Koordination von verschiedenen, kantonal geführten Verfahren hätte sein können. Auf der anderen Seite nimmt die BA nicht in Anspruch, sie hätte das Pulver in der Strafverfolgung erfunden. Die kantonalen Behörden leisten in ihren Kompetenzbereichen und in den von ihnen bearbeiteten Fällen bekanntlich hervorragende Arbeit. Es gibt Kriminalitätsformen, die schneller und besser von den Kantonen und in den Kantonen bekämpft werden können, und es gibt Kriminalitätsformen, namentlich in der grenzüberschreitenden und internationalen Schwerstkriminalität, die zentral geführt werden müssen, in denen die Strafverfolgung des Bundes auch künftig eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat. Im Bereiche der internationalen Delikte braucht es Leute, welche die Fähigkeiten, die Möglichkeiten, die Zeit und auch die Freude haben, mehr als nur eine oder zwei Sprachen zu sprechen, andere Rechtssysteme mindestens in Grundzügen zu kennen, Kontakte zu ausländischen Partnern auf- und auszubauen und permanent zu unterhalten. Das alles spricht bei einzelnen, grenzüberschreitenden Deliktsarten für eine zentrale Ermittlungsbehörde, genauso, wie es beim übrigen, grösseren Teil der Deliktstypen weiterhin einzig Sinn macht, dass die Kantone diese Verfahren führen. Ich muss davon ausgehen, dass in der Kriminalitätsbekämpfung auch künftig weder den Kantonen noch dem Bund die Arbeit ausgehen wird.


Der Druck auf Sie ist in letzter Zeit grösser geworden und die einige der laufenden Verfahren scheinen sehr komplex. Wie erholen Sie sich von der Arbeit und wo tanken Sie neue Energie?

Indem ich meine eigene Wichtigkeit nicht überschätze, indem ich den schönen Dingen des Lebens im privaten Rahmen gerne ihren Lauf lasse, indem ich mich von der grenzenlosen Freiheit des Ausdrucks in Malerei und Musik inspirieren lasse und indem ich es schätze, wenn mich Freunde und Familie nicht nur als Bundesanwalt oder Strafverfolger wahrnehmen und mit ihrem Input meinen Horizont ständig erweitern.


Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, wie würden diese lauten?

Dass ein Tag länger als 24 Stunden dauert und dass die Strafverfolgungsbehörden der verschiedenen Kantone und der verschiedenen Länder über Nacht zur dringend nötigen Erkenntnis gelangen, wonach das „Gärtchendenken“ in unserer Branche keine Zukunft mehr hat, sondern dass die Bereitschaft und der Wille zur kantons- und länderüberschreitenden Zusammenarbeit das A und O unserer Arbeit darstellt und über den Erfolg unserer Bemühungen entscheidet.


Lebenslauf 
Geboren
1960


1981-1986/87
Jura-Studium an der Universität Zürich

1986/87
Lizentiat der Rechtswissenschaft

1988-1991
Doktorat an der Universität Zürich

1993
Erlangung des zürcherischen Rechtsanwaltspatents

1992-1995
Bezirksanwalt an der Bezirksanwaltschaft Zürich

1995
Eintritt im BAP; Chef der Zentralstellen zur Bekämpfung des Drogenhandels und der Falschmünzerei

1996 bis 2000
Stellvertretender Chef der Kriminalpolizeilichen Zentralstellen

Seit 1. März 2000
Bundesanwalt

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