von Patrick Gunti
Herr Ammann, das World Economic Forum hat zusammen mit Booz Allen Hamilton und anderen Partnern den Global Travel & Tourism Competiveness Report 2008 vorgestellt. Welches sind die wichtigsten Resultate der Studie?
Unser Jahresbericht listet in einem Index die 130 untersuchten Staaten nach ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Reise- und Tourismussektor auf. Erneut konnten sich Schweiz, Österreich und Deutschland als weltweit attraktivste Reise- und Tourismusstandorte qualifizieren. Dabei bestimmen der Faktor Umweltschutz sowie eine moderne Verkehrsinfrastruktur in zunehmendem Mass den Wettbewerb im Tourismus- und Reisemarkt. Die deutschsprachigen Länder haben dabei eine Vorbildfunktion. So konnten Nationen, die den Tourismus stärker in nachhaltige Gesamtkonzepte einbinden, im diesjährigen Ranking ihre Position ausbauen. Das ist eines der zentralen Ergebnisse.
Nach welchen Kriterien wurden die 130 Länder bewertet?
Die 130 untersuchten Staaten wurden unter Zuhilfenahme von mehr als 60 Variablen untersucht. Diese berücksichtigten unter anderem gesetzliche Regulierungen, Sicherheit und Gesundheit, Infrastruktur, das lokale Preisniveau sowie kulturelle Aspekte. Um dem wachsenden Einfluss des Faktors Umweltschutz auf Tourismus und Reiseverkehr gerecht zu werden, wurde der Index um die Analyse-Punkte «Ökologie und Nachhaltigkeit» erweitert.
Die Schweiz ist gemäss der Studie wie schon im Vorjahr vor Österreich und Deutschland der weltweit attraktivste Tourismusstandort. Was macht die Schweiz besser als ihre Mitbewerber?
Aufgrund der hervorragenden Anbindung an internationale Touristikströme, einer der weltweit fortschrittlichsten Strassen- und Schieneninfrastruktur sowie nachhaltiger Umweltregelungen und hohen Sicherheitsstandards belegt die Schweiz zum zweiten Mal den Spitzenplatz im Ranking. Dazu beigetragen haben auch vermehrte und innovative Anstrengungen Schweizer Entscheidungsträger etwa im Bereich des «Qualitätstourismus» und der Nachhaltigkeit.
Welchen Stellenwert haben denn die Themen Umwelt und Nachhaltigkeit im Schweizer Tourismus?
Die Implementierung von nachhaltigen Umweltstrategien ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren, die den Ausgleich zwischen kurzfristigen ökonomischen Erfolgen und langfristigen ökologischen Zielen herstellt. Kunden fragen verstärkt «grüne» touristische Dienstleistungen nach. Die Schweizer Entscheidungsträger stellen sich der Aufgabe, diese Nachfrage zu befriedigen. So will beispielsweise Schweiz Tourismus den Ökotourismus fördern und nachhaltige Angebote besser vermarkten. Die nationale Vermarktungsorganisation hat dazu eine Taskforce gegründet, die am Projekt «Naturreisen/nachhaltiger Tourismus» arbeitet. Ziel ist eine Übersicht über die bestehenden Angebote der Ökohotels und umweltfreundlichen Reisen sowie eine gemeinsame Vermarktung. Des weiteren will die Schweiz etwa die wirtschaftlich schwachen Randregionen nachhaltig fördern. Der Nationalrat hat dazu im vergangenen Herbst ein vor allem auf exportorientierte Wertschöpfung und Strukturwandel im Tourismus ausgerichtetes Programm zur neuen Regionalpolitik genehmigt und dafür 230 Millionen Franken für die Jahre 2008 bis 2015 bewilligt.
«Neben traditionellen Faktoren des typischen Ski- und Wandertourismus hat die Schweiz eine breitere Strategie in Bezug auf langfristiges Wachstum angegangen.» (Carlos Ammann, Geschäftsführer Booz Allen Hamilton Schweiz)
Mit der UEFA EURO 2008 steht in der Schweiz in diesem Jahr ein weiteres Highlight für den Tourismus an. Welchen Nutzen kann die Schweiz daraus neben zusätzlichen Besucherströmen längerfristig ziehen?
Die international ausgerichtete Image-Werbung für die Schweiz zur UEFA EURO 2008 bietet den grossen zusätzlichen Nutzen, die Schweiz in aller Welt als attraktive Destination zu präsentieren, zum Beispiel auch im Städtetourismus. Die Werbung und der Image-Transfer für die Austragungsorte sind zwar schwer quantifizierbar, aber dennoch nicht zu unterschätzen. Die UEFA EURO 2008 wird auch in vielen Bereichen zur Motivation und Service-Verbesserung beitragen. Beispielsweise werden gemäss Schweiz Tourismus zur Vorbereitung auf die UEFA EURO 2008 rund 50’000 Schweizer speziell geschult, darunter Bus- und Taxifahrer, Grenzbeamte, Hotelangestellte, Servicepersonal und Polizisten.
Die Studie hält fest, dass die Schweiz dem Reise- und Touristiksektor weit mehr Bedeutung zumisst als Österreich oder Deutschland. Wie lautet die Erklärung dafür?
Der Fremdenverkehr spielt in der Schweiz als Wirtschaftsfaktor tatsächlich eine grosse Rolle. Neben traditionellen Faktoren des typischen Ski- und Wandertourismus hat die Schweiz eine breitere Strategie in Bezug auf langfristiges Wachstum angegangen. Durch verstärkten «Qualitätstourismus» werden die zusätzlichen Ansprüche an Kultur, Gesundheitsbewusstsein und Nachhaltigkeit innovativ miteinander verbunden.
Desweiteren zeigt der TTCR, dass die Schweiz im weltweiten Vergleich infolge hoher Qualitätsansprüche in Bezug auf die Ausbildung der Touristikfachkräfte insbesondere im Beherbergungs- und Gaststättengewerbe ganz vorne liegt – diese machen immerhin fast 50% der gesamten touristischen Wertschöpfung aus. Insbesondere Hotels der gehobenen Kategorie profitieren davon – ca. zwei Drittel der in der obersten Preisklasse erzielten Logiernächte stammen von ausländischen Gästen.
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Nicht nur punkto Qualität ist die Schweiz spitze – spitze sind auch die Preise. Beim Preisniveau belegt die Schweiz unter den 130 Nationen nur Platz 118. Wo bestehen weitere Verbesserungspotenziale?
Die Schweiz kann ihr Potenzial im internationalen Reise- und Touristikmarkt in der Tat noch weiter ausbauen. Das hohe Preisniveau birgt sicherlich eines dieser Verbesserungspotentiale im internationalen Wettbewerb. Darüber hinaus gilt es, das touristische Potenzial in Bezug auf neue Kundensegmente etwa aus dem asiatischen Raum sowie den neuen osteuropäischen Ländern verstärkt auszuschöpfen. Die anhaltend rasche wirtschaftliche Expansion in aufstrebenden Ländern wie China und Indien sowie die robuste konjunkturelle Lage in den europäischen Volkswirtschaften erweisen sich als kräftige Zugpferde für die Weltkonjunktur und damit auch für den Tourismus- und Reisesektor der Schweiz.
Misst das Tourismusland Schweiz den Kundensegmenten aus den aufstrebenden Märkten in Osteuropa oder Asien genügend Aufmerksamkeit bei?
Die Branche ist sich über das grosse Potenzial dieser Kundensegmente bewusst und ist aktiv, um die bestehenden Chancen zu nutzen. In den letzten Jahren wurden bereits mit Erfolg Kampagnen in China und Russland durchgeführt. Darüber hinaus ist aktuell der indische Reisemarkt von besonderem Interesse. Die Anzahl der Logiernächte von Indern in der Schweiz hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht, und für die Zukunft wird mit einer jährlichen Zunahme von 15 % gerechnet. Erst kürzlich haben der Verband der Schweizer Hoteliers und Schweiz Tourismus bekannt gegeben, dass sie die Erschliessung dieses Marktes optimieren wollen.
«Infolge fortschrittlicher Infrastruktur, gesicherter gesetzlicher Rahmenbedingungen sowie eines hohen Ausbildungsstandards schneiden die Industrienationen im Ranking erneut besser ab.» (Carlos Ammann)
In den Top Ten befinden sich neben den deutschsprachigen Ländern mit Spanien, Grossbritannien, Schweden und Frankreich vier weitere europäische Länder. Wo sehen Sie die Gründe für das starke Abschneiden der europäischen Länder?
Infolge fortschrittlicher Infrastruktur, gesicherter gesetzlicher Rahmenbedingungen sowie eines hohen Ausbildungsstandards schneiden die Industrienationen im Ranking erneut besser ab. Darüber hinaus haben Empfehlungen aus dem letzten Report bei den Tourismus- und Reiseverkehrsverantwortlichen Anklang gefunden, teilweise in Form von konkreten Veränderungen, die sich auch im Ranking bemerkbar machen. Unser Jahres-Report zeigt grundsätzlich, dass Länder, die verstärkt auf Nachhaltigkeit setzen, im Ranking besonders gut abschneiden. Einen grossen Sprung um neun Plätze im Ranking nach oben verzeichnet Schweden, u.a. wegen der verstärkten Umweltanstrengungen.
Zu den Ländern, die zu den grössten Aufsteigern gehören, zählen China, Brasilien oder auch Bulgarien. Wo haben diese Länder die grössten Fortschritte erzielt?
Diese Nationen haben durch eine förderliche Gesetzgebung ihre entsprechende Wettbewerbsfähigkeit massgeblich gesteigert. Markante Verbesserungen im Ranking gelangen China, das in diesem Jahr die Olympischen Spiele veranstaltet, durch regulatorische Anpassungen. Auch Südafrika, der erste Ausrichter der Fussballweltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent im Jahr 2010, konnte Plätze gut machen. Bulgarien beispielsweise hat Konzepte entwickelt, um Alternativen zum Pauschaltourismus an der Schwarzmeerküste zu bieten.
Herr Ammann, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Carlos Ammann
Lic. oec. HSG. Geschäftsführer Schweiz von Booz Allen Hamilton, einer der weltweit führenden Strategie- und Technologieberatungen. Er ist führendes Mitglied der globalen Practices Financial Services und Health. In seinen über 20 Jahren als Berater hat er Projekte auf 5 Kontinenten durchgeführt. Heute konzentriert er sich auf grosse Strategie- und Transformationsprojekte so wie Post Merger Integration und betreut führende internationale Unternehmen.
Zu Booz Allen Hamilton
Booz Allen Hamilton ist mit mehr als 19’000 Mitarbeitenden und Büros auf sechs Kontinenten die weltweit führende Strategie- und Technologieberatung. Das Unternehmen befindet sich im Besitz seiner rund 300 aktiven Partner. Sieben Büros sind im deutschsprachigen Raum: Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, München, Stuttgart, Wien und Zürich. Der Umsatz beläuft sich weltweit auf 4 Mrd. USD, im deutschsprachigen Raum auf 229 Mio. Euro.
In der Schweiz ist Booz Allen Hamilton seit über 20 Jahren für Klienten tätig. Die zunehmende Nachfrage nach Beratungsdienstleistungen und vertiefte Kundenbeziehungen führten zur Gründung der Booz Allen Hamilton AG in der Schweiz und der Eröffnung des Zürcher Büros im Dezember 1997. Seither konnte das Geschäft im Schweizer Markt kontinuierlich ausgebaut werden und das Büro befindet sich auf anhaltendem Expansionskurs.