Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Frau Müller-Möhl, trotz wissenschaftlicher Studien über die wirtschaftlichen Vorteile einer besseren Frauenvertretung in Unternehmensleitungen sucht man Top-Managerinnen auch in der Schweiz immer noch mit der Lupe. Woran liegt es?
Carolina Müller-Möhl: Zwar verdreifachte sich der Anteil von Frauen in den Leitungen von Schweizer Firmen seit 1991 auf 9,7 Prozent im Jahr 2006. Trotzdem haben Frauen, die in der Schweiz eine Führungsposition anstreben, noch immer mit starken Vorurteilen zu kämpfen. Dies erfordert ein Umdenken, denn nicht nur gibt es immer mehr hochqualifizierte Frauen für solche Positionen, sondern die Wirtschaft braucht diese Frauen auch.
In der Schweiz dürften zurzeit über 2 Millionen Frauen erwerbstätig sein. Die Gleichberechtigung ist gesetzlich abgestützt. Die Mehrheit der Stimmberechtigten ist weiblich, und wir haben drei Frauen in der Landesregierung. Wieso schaffen es die Frauen nicht, sich selbst zum Beispiel mit Tagesschulen, Blockzeiten, Mittagstischen oder Kinderkrippen bessere Voraussetzungen für Karrierechancen zu schaffen?
Ein struktureller Wandel kann sich nur langsam vollziehen. Frauen sind nicht nur in Unternehmensleitungen, sondern auch in der Politik unterrepräsentiert. Im Nationalrat beträgt der Frauenanteil einen Drittel (29%), im Ständerat nur einen Fünftel (22%). Zudem gibt es immer noch zu wenige Unternehmen, die auf familienfreundliche Anstellungsbedingungen setzen. Es wird noch einen langen Atem brauchen, politische Verbesserungen durchzusetzen.
«Gemischte Führungsteams sind wirtschaftlich erfolgreicher. Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in Kaderpositionen können laut McKinsey&Company eine bessere Performance vorweisen als reine Männerteams.» Carolina Müller-Möhl, Präsidentin der Müller-Möhl Group
Die Norweger erzwingen per Gesetz seit dem 01. Januar 2008 eine 40-prozentige Frauenquote in den Aufsichtsräten. Die Statistiken in Norwegen und Deutschland belegen klar: Absichten und Verhandlungen bringen nichts, nur der klare Gesetzesdruck verhilft den Frauen zu Führungspositionen. Brauchen wir in der Schweiz also ebenfalls eine gesetzliche Quote für Frauen in den Führungsgremien?
Ich bin kein Fan von Quoten. Es ist wichtig, dass Frauen nicht bloss gefördert werden, weil sie Frauen sind. Vielmehr muss es darum gehen, das brachliegende Potential der Frauen für die Wirtschaft zu nutzen. Da es, laut einer amerikanischen Studie von 2006, aber mindestens drei Frauen in Führungsgremien braucht, damit sich ein positiver Effekt bei Unternehmensführung und Performance einstellen kann, könnten freiwillige Quoten auf Unternehmensebene dazu beitragen, den Prozess zu beschleunigen.
Für die gleiche Arbeit verdienen Frauen in der Schweiz im Durchschnitt 20% weniger als Männer. Woher kommt Ihrer Ansicht nach dieser Unterschied und wie lässt er sich beseitigen?
Bei rund einem Drittel dieser 20 Prozent im Lohnunterschied ist es tatsächlich eine Diskriminierung der Lohnempfängerin. Nicht der gesamte Lohnunterschied lässt sich auf eine Lohndiskriminierung zurückführen. Zirka zwei Drittel sind durch Faktoren wie der Ausbildungsgrad oder die Berufserfahrung erklärbar. In der Schweiz arbeiten mehr Frauen Teilzeit als im europäischen Vergleich. Die Gründe dafür sind bekannt. Im Gegensatz zu Ländern wie Portugal oder Spanien ziehen sich Frauen in der Schweiz auch länger zurück, wenn sie Kinder kriegen.
Zudem existieren nach wie vor branchenspezifische Unterschiede. In der Finanz- oder Informatikbranche beispielsweise besteht ein hoher Lohnunterschied. Diese Unternehmen sollten daher schlicht mehr Frauen fördern. Hingegen werden typische «Frauenberufe» wie Pflegeberufe etwa schlechter entlohnt, weil diese Arbeit tiefer bewertet wird. Dahinter steht unter anderem noch die traditionelle Rollenaufteilung. Doch in den wenigsten Fällen ist den Arbeitsgebern der Lohnunterschied bewusst. Hier besteht also ein klarer Handlungsbedarf.
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Sie selbst sind als Unternehmerin (Präsidentin der Müller-Möhl Group, Verwaltungsrätin bei Nestlé und der Kühne Holding) eine der wenigen Schweizer Frauen in wirtschaftlichen Spitzenpositionen. Sie geben sich aber über das eigene Unternehmen höchst bedeckt. Wäre hier eine grössere Transparenz für Ihre Vorbildrolle als Unternehmerin nicht hilfreich?
Transparenz von Unternehmen gegenüber Aktionären beziehungsweise potentiellen Aktionären ist wichtig. Die Müller-Möhl Group ist hingegen ein reines Familienunternehmen, ohne externe Investoren/Aktionäre. Trotzdem habe ich kürzlich im Interview mit der Handelszeitung ausführlich über die künftige Strategie der Müller-Möhl Group gesprochen. Darüber hinaus nehme ich meine gesellschaftspolitische Verantwortung ernst und engagiere mich öffentlich stark für Verbesserungen auch in der Gleichstellungsfrage. Das ist die Vorbildrolle, die ich wahrnehmen kann.
«Würden wir das momentane Tempo der Gleichstellung beibehalten, würde es laut der International Labour Organisation (ILO) weitere 962 Jahre dauern, bis Männer und Frauen in den Führungspositionen gleichberechtigt sind.»
Wer als Frau sowohl Karriere als auch Familie haben möchte, muss beides sehr genau planen. Oft scheinen aber Frauen eine sehr unklare Vorstellung von einer konkreten Karriereplanung zu haben. Was empfehlen Sie einer Frau, die sowohl als Mutter als auch als Führungskraft erfolgreich sein will, wie soll sie die Planung angehen?
Junge Frauen sollen ihre Karriere, wie das die männlichen Kollegen auch tun, schon während der Ausbildungszeit in Angriff nehmen und sich zusätzlich einen geeigneten Mentor suchen. Sie sollten früh mit ihren Vorgesetzten das Thema Familiengründung ansprechen und abklären, welche flexiblen Anstellungsbedingungen das Unternehmen bietet. Vielleicht ist es auch ratsam, bei der Partnerwahl abzuklären, wie der Mann gegenüber Frauenkarrieren und Familienplanung eingestellt ist.
In der Schweiz versucht man seit geraumer Zeit, vermehrt auch Frauen für den Beruf der Informatikerin zu begeistern. Dieser Beruf bietet interessante Zukunftsperspektiven (zunehmender Bedarf), er lässt grösstmögliche Freiräume (Arbeit von zu Hause, freie Zeiteinteilung, überdurchschnittliche Bezahlung). Weshalb fällt es so schwer, für diesen Beruf Frauen zu begeistern?
Natürlich ist es schade, dass sich nicht mehr Frauen für die Informatik entscheiden. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass technische Berufe oftmals als Männerdomäne wahrgenommen werden. Bemühungen, dies zu ändern, zielen deshalb vermehrt darauf ab, Mädchen schon im Schulalter für die Informatik zu interessieren und zu sensibilisieren. Das scheint mir der richtige Weg zu sein.
Das Bildungswesen wird zunehmend weiblich. Lehrerinnen sind zuständig für die Grundausbildung, Mädchen schneiden bei den Noten besser ab, und an den Hochschulen kippt das Geschlechterverhältnis bei den Studierenden ebenfalls langsam zugunsten der Frauen. Wie kann man das Potenzial der weiblichen Hochschulabgänger im Arbeitsmarkt besser nutzen?
Wenn man Ihnen die gleichen Chancen gibt wie den männlichen Bewerbern. Weiter braucht es die Bereitschaft der Unternehmensleitung, diese hochqualifizierten Frauen stetig zu fördern. Unternehmen müssen versuchen, den Frauenanteil in ihren Talentpools gezielt zu erhöhen. Karrierefrauen, die Kinder und Beruf langfristig unter einen Hut bringen möchten, könnten dieses Ziel dank familienergänzenden Angeboten sowie flexiblen Arbeitsmodelle eher erreichen. An dieser Stelle muss allerdings auch erwähnt sein, dass es alleine aus Zeitgründen sehr anspruchsvoll ist, als Frau eine Top-Karriere in globaltätigen Unternehmen zu machen und sich zugleich den Kinderwunsch zu erfüllen – ohnehin solange es nicht genügend Männer gibt, die ihre beruflichen Wünsche zurückstecken. Ausnahmen bestätigen hier aber nicht die Regel.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Frauen für den Arbeitsmarkt und als Käufergruppe ist evident. Die demografischen Fakten sprechen für sich (Frauen werden älter, gebildeter, einflussreicher). Der Durchbruch der Frauen in wirtschaftliche Führungspositionen wird daher unaufhaltsam sein. Die Frauen könnten doch gelassen zurücklehnen und den Dingen in Ruhe ihren Lauf lassen?
Würden wir das momentane Tempo der Gleichstellung beibehalten, würde es laut der International Labour Organisation (ILO) weitere 962 Jahre dauern, bis Männer und Frauen in den Führungspositionen gleichberechtigt sind. Damit sich Frauen bereits heute beruflich verwirklichen können, ist es nötig, dass wir nicht länger warten, sondern handeln.
Eigentlich haben die Männer schon bewiesen, dass sie nicht gleichzeitig gut als Väter, Ehemänner und Manager funktionieren können. Irgendwo blieb immer mindestens eine der Rollen auf der Strecke. Weshalb glauben Sie, dass der Spagat zwischen verschiedensten Rollen den Frauen besser gelingen soll als den Männern?
Solche Rollenbilder konnten sich über Jahrzehnte zementieren. Mir persönlich geht es nicht darum, dass Frauen zwingend eine bessere Work-Life-Balance hinkriegen und dass sie eine Art «bessere Männer» werden sollen. Ich setze mich ganz einfach für die gleichen Chancen von Frauen und Männer und gemischten Entscheidungsgremien ein.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Forderungen an die Frauen selbst, an die Politik und an die Unternehmen, um Frauen vermehrt an Führungfunktionen teilhaben zu lassen?
Auch hier gilt, einfache Lösungen gibt es nicht. In erster Linie braucht es auf allen Seiten den Willen, an diesem Ziel zu arbeiten. Eine Frau muss sich beruflich verwirklichen wollen! Die Unternehmensleitung muss gewillt sein, Frauen ihren Qualifikationen entsprechend zu fördern und zu befördern. Zweitens müssen Unternehmen Modelle schaffen, die den Frauen einen effizienteren Wiedereinstieg ermöglichen. Und schliesslich müssen Frauen auch in der Politik stärker vertreten sein, damit wir die strukturellen Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern können. Dazu zähle ich die steuerliche Entlastung von Familien mit doppeltem Einkommen, die Schaffung zusätzlicher Kinderbetreuungsplätze und Ganztagesschulen und einen nationalen Ansatz zur Koordination der Frauenförderung.
Welches werden die grössten Auswirkungen sein, wenn mehr Frauen in wirtschaftlichen Führungspositionen arbeiten können?
Gemischte Führungsteams sind wirtschaftlich erfolgreicher. Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in Kaderpositionen können laut McKinsey&Company eine bessere Performance vorweisen als reine Männerteams. Eine US-Studie zeigt wiederum, dass Frauen die Qualität der Unternehmensführung stärken. Ein anderer Aspekt trifft die Bildungsausgaben. Ein Hochschulstudium kostet zwischen 100’000 und 300’000 Franken. Diese Investitionen bringen nur dann einen volkswirtschaftlichen Nutzen, wenn es uns gelingt, die weiblichen Absolventinnen angemessen und langfristig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die Gesprächspartnerin:
Carolina Müller-Möhl wurde 1968 in Zürich geboren. Seit 2000 ist die Unternehmerin Präsidentin der Müller-Möhl Group. Sie hat nach dem Abitur an der internationalen Internat-Schule Schloss Salem in Deutschland, an der Carl-Rupprecht Universität Heidelberg und am Otto-Suhr Institut der Freien Universität Berlin Politik, Geschichte und Recht studiert und als Politologin abgeschlossen. Sie hat Weiterbildungen an der London School of Economics und am Europa-Institut der Universität Basel besucht.
Carolina Müller-Möhl ist Verwaltungsrätin von Nestlé S.A. und der Kühne Holding AG. Die Mutter eines Sohnes ist Präsidentin des Swiss Economic Awards und gehört mehreren Stiftungen an.
Das Unternehmen:
Die Müller-Möhl Group wurde im Sommer 2000 von Carolina Müller-Möhl gegründet. Ausgewiesene, erfahrene Spezialisten betreuen im Rahmen dieses Unternehmens das Beteiligungs-Portefeuille der Erbengemeinschaft Müller-Möhl. Die Müller-Möhl Group ist im 100-prozentigen Besitz der Erbengemeinschaft Müller-Möhl.
Das Gespräch fand im Rahmen einer Veranstaltung des Verbands Schweizer Unternehmerinnen (VCHU) statt. |