Carsten Schloter, CEO Swisscom

Von Helmuth Fuchs


Herr Schloter, die Analysten waren mit dem Ergebnis der ersten neun Monate zufrieden, die Kurserwartungen wurden mehrheitlich nach oben angepasst. Wie beurteilen Sie den Zustand der Swisscom, wo gibt es Handlungsbedarf und welche Ziele setzen Sie für das kommende Jahr?


Wir müssen dies differenziert betrachten. Operativ haben wir ein sehr solides und erfreuliches Ergebnis vorgelegt. Wir konnten sowohl bei den Mobilfunk- und DSL Anschlüssen als auch mit Swisscom TV im digitalen Fernsehmarkt klar zulegen und Marktanteile gewinnen. Auf der anderen Seite können wir in der Schweiz die anhaltende Preiserosion als Folge von Wettbewerb und Regulierung von jährlich rund CHF 400 Mio. nicht mehr vollständig kompensieren. Unser Kundenzuwachs und neue Angebote reichen hierfür nicht mehr aus. Wir müssen also insbesondere mit Fastweb in Italien wachsen, um auch in Zukunft den Umsatzrückgang in der Schweiz ausgleichen zu können.



«Die Weko hat im November 2009 festgestellt, dass wir bis 2007 marktbeherrschend waren und büsst uns nachträglich. Das wäre, als wenn heute die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen von 120 auf 100 Stundenkilometer gesenkt würde und nachträglich alle Autofahrer gebüsst werden, die in den vergangenen Jahren schneller als 100 gefahren sind. Das ist doch einfach undenkbar.» Carsten Schloter, CEO Swisscom


Bluewin TV wird bis Ende Jahr zu Swisscom TV. Während Cablecom etwa 360’000 Kunden für das digitale TV Angebot (1.5 Millionen für analoges und digitales Fernsehen) ausweist, sind es bei Bluewin TV nach drei Jahren 200’000 Kunden. Welche Ziele haben Sie im TV Segment für die kommenden zwei Jahre und was bedeutet der Verlust der TV-Kunden für die Zukunft von Bluewin?


Der Kundenzuwachs bei Swisscom TV ist sehr erfreulich. Als alternativer Anbieter im Fernsehmarkt haben wir es im dritten Quartal geschafft, vier von fünf neuen Digital-TV Kunden für unser Produkt zu begeistern. Und das gegen etablierte Unternehmen wie eine Cablecom. Dieses Wachstum wollen wir natürlich auch im kommenden Jahr weiter vorantreiben. Mit der Umbenennung von Bluewin TV in Swisscom TV stärken wir unsere Dachmarke. Unser Ziel ist, in Zukunft noch klarer gegenüber den Kunden zu kommunizieren und attraktive Produkte aus einer Hand und unter einer Marke anzubieten.



«Was wir heute bei diesen Apps sehen, sind Insellösungen für einzelne Geräte wie das iPhone. Das erschwert die Nutzung? Dienste wie Skype werden die Mobiltelefoniepreise in den nächsten Jahren massiv unter Druck setzen.»


Die italienische Tochter Fastweb hat in den letzten neun Monaten einen schönen Anteil an Umsatz (2.06 von 8.92 Milliarden CHF) und EBITDA (0.61 von 3.58 Milliarden CHF) geliefert. Welchen zusätzlichen Nutzen im Bereich neuer Produkte, Angebote oder Businessmodelle erzielt die Swisscom durch Fastweb?


Der italienische Markt unterscheidet sich deutlich vom Schweizer Markt. Fastweb muss daher in vielen Bereichen eine andere Strategie verfolgen als Swisscom. Es gibt aber einen wertvollen Wissensaustausch, beispielsweise beim Glasfaserausbau. Fastweb ist ja Pionier bei dieser Technologie. Zudem leistet Fastweb einen sehr wichtigen Beitrag zu unserem Ergebnis und zum Erfolg der gesamten Swisscom-Gruppe.


Während Skype durch Gratistelefonie für das Geschäft der Mobiltelefon-Anbieter zum Schreckgespenst wird, sorgen raffinierte Anwendungen (Apps) auf dem iPhone für kostenlosen Ersatz von MMS und SMS. Wie sehen Sie in Zukunft das Geschäft in der Mobiltelefonie, wie können Sie den drohenden Einnahmen-Ausfall kompensieren?


Es ist ja nicht neu, dass SMS und MMS im Wettbewerb stehen mit anderen Diensten wie E-Mail oder Instant Messaging. Aber auch diese Dienste brauchen ein funktionierendes Mobilfunknetz und der Aufbau und Betrieb dieses Netzes ist unsere Kernkompetenz. Viel wichtiger für den Kunden sind jedoch die einfache Nutzung und die Verfügbarkeit der Dienste. Was wir heute bei diesen Apps sehen, sind Insellösungen für einzelne Geräte wie das iPhone. Das erschwert die Nutzung. Bei den breit verfügbaren Diensten Telefonie, SMS und MMS können wir den Kunden einfachere und bessere Lösungen bieten. Nichts desto trotz werden Dienste wie Skype die Mobiltelefoniepreise in den nächsten Jahren massiv unter Druck setzen.


Der Zusammenschluss von Orange und Sunrise limitiert den Wettbewerb in der Schweiz auf zwei Anbieter. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen auf die Kunden?


Unsere Konkurrenz wird mit der Fusion gestärkt und die Preise im Mobilfunkmarkt werden weiter unter Druck kommen, egal ob wir zwei oder drei Anbieter im Schweizer Markt haben. Denn wesentlich für den Preisrückgang ist der technologische Fortschritt. Die Preise werden sich deswegen nicht gerade halbieren, aber jährlich zwischen 7 und 10 Prozent sinken. Der Grund dafür ist, dass im Mobilfunk immer mehr Dienste wie Telefonie oder SMS über das Internet genutzt werden. Im Festnetz führte die gleiche Entwicklung in den letzten Jahren dazu, dass die Preise in der Schweiz auch im Vergleich zum Ausland sehr tief sind.



«Es wäre sicherlich legitim, zu erwarten, dass sich ein Anbieter mit 40 Prozent Marktanteil an dieser Zukunftsinvestition für die Schweiz beteiligt.»


Erwarten Sie durch den Zusammenschluss eine grössere Bereitschaft des einzigen namhaften Konkurrenten, sich an er Erstellung der Infrastruktur, zum Beispiel bei der Erschliessung durch Glasfasernetze, noch stärker zu beteiligen?


Das bleibt abzuwarten. Dank dem Schweizer Mehrfasermodell können sich jedoch mehrere Unternehmen an einem gemeinsamen Ausbau des Glasfasernetzes beteiligen, selbst wenn sie heute keine eigenen Schächte besitzen. Es wäre sicherlich legitim, zu erwarten, dass sich ein Anbieter mit 40 Prozent Marktanteil an dieser Zukunftsinvestition für die Schweiz beteiligt.


Die Swisscom stoppt in den Städten die zuvor forcierte Breitband-Internet Erschliessung mit VDSL und setzt dafür vermehrt auf den Ausbau der Glasfasernetze. Bis 2015 sollen 1 Million Haushalte über Glasfaserkabel erschlossen sein, die Swisscom will dazu 2-3 Milliarden Franken investieren. Über welchen Zeitraum und durch welche Angebote soll sich diese Investition amortisieren, da die meisten Privatkunden mit der heutigen Leistung sehr gut bedient sind dürften und kaum mehr bezahlen werden für Leistung, die sie nicht benötigen?


Bereits heute können über 80 Prozent unserer Kunden über einen schnellen VDSL-Zugang ins Internet gehen. Und wir erschliessen jährlich rund 300 weitere Gemeinden mit VDSL. Richtig ist, dass wir derzeit in den grossen Zentren wie Zürich, St. Gallen, Basel, Genf oder auch in Freiburg nur noch Glasfaser verlegen. Dieser Ausbau ist ein Generationenprojekt, das sich kurzfristig nicht rechnet. Wir tragen damit ein hohes Investitionsrisiko. Unsere Mitbewerber, die nicht investieren wollen oder können, verlassen sich darauf, unser Glasfasernetz nutzen zu können. Klar muss aber sein, dass wir für dieses hohe Risiko entsprechend entschädigt werden.


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Bei der Erschliessung der Haushalte mit dem Glasfasernetz stehen Sie vermehrt in Konkurrenz zu den lokalen Elektrizitätswerken (EW). Wie sehen Sie diese Entwicklung mittelfristig, wenn die EW keine Kommunikationsdienste auf dem Netz anbieten, in welcher Form werden die Kunden von dieser Situation profitieren können?


In der Vergangenheit haben die Kunden stark von dem Wettbewerb der Netze zwischen Swisscom und den Kabelnetzbetreibern profitiert. Wir haben heute in der Schweiz eine der besten Breitbandabdeckungen weltweit. Durch die Investitionen der EWs in ein eigenes Glasfasernetz wird dieser Wettbewerb noch intensiver. Ich bin überzeugt, dass Kunden auch in Zukunft Angebote in  hoher Qualität und zu günstigen Preisen erhalten.



«Swisscom wird nie ein Gerätehersteller sein. Unsere Aufgabe ist, für den Kunden eine Plattform zu schaffen, die ihm den einfachen Zugang zu Inhalten ermöglicht. Statt alles alleine zu produzieren, werden wir in Zukunft vermehrt Kooperationen mit Herstellern sehen.»


Die Wettbewerbskommission (Weko) will die Swisscom wegen Wettbewerbsbehinderung im ADSL-Verfahren mit 220 Millionen Franken büssen, da die Swisscom mit ihrer Tochter Bluewin sowohl als ADSL-Anbieterin im Markt agiere als auch für alle anderen Marktteilnehmer die zu teuer angesetzte Vorleistung für den Breitband-Internetzugang liefere. Welche Argumente führen Sie gegen den Entscheid ins Feld und zeichnet sich mit der Glasfaser-Erschliessung nicht genau dieselbe Konstellation wieder ab?


Den Vorwurf der Marktbeherrschung und die angedrohten Sanktionen halten wir für falsch und ungerechtfertigt. Zum einen können 80 Prozent aller Kunden zwischen DSL und Kabelinternet wählen. Das ist laut OECD die vierthöchste Abdeckung weltweit. Zum anderen haben wir der Weko gezeigt, dass wir unser DSL-Endkundengeschäft profitabel betreiben können. Da auch unsere Mitbewerber, die unser Netz nutzen, die Vorleistungen zu identischen Preisen beziehen, kann von einer zu kleinen Marge für Wiederverkäufer keine Rede sein. Was aber noch viel erstaunlicher ist: Die Weko hat im November 2009 festgestellt, dass wir bis 2007 marktbeherrschend waren und büsst uns nachträglich. Das wäre, als wenn heute die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Autobahnen von 120 auf 100 Stundenkilometer gesenkt würde und nachträglich alle Autofahrer gebüsst werden, die in den vergangenen Jahren schneller als 100 gefahren sind. Das ist doch einfach undenkbar.


Der Weko-Entscheid zeigt eine schizophrene Situation. Auf der einen Seite büsst eine staatliche Behörde das Verhalten der Swisscom, welche demselben Staat jährlich Milliardengewinne abliefert. Die eine Hand bestraft, was die andere lobt. Was wäre für Sie die beste Option, eine völlige Verstaatlichung, der Rückzug des Staates als Mehrheitsaktionär oder der Status quo?


Die Frage, ob der Bundesanteil unter 50% gesenkt werden soll, ist ein politischer Entscheid. Wichtig für Swisscom als Unternehmen mit rund 20’000 Mitarbeitenden ist eine langfristig ausgerichtete Wachstumsstrategie mit genügendem unternehmerischem Freiraum. Ein Mehrheitsaktionär, der diese Strategie mitträgt, muss auch bereit sein, entsprechende unternehmerische Risiken einzugehen. Wir sehen uns aber aufgrund der heutigen Mehrheitsverhältnisse nicht in unserer Handlungsfreiheit eingeschränkt.


Swisscom hat am Innovationstag neue Ideen zum Fernsehkonsum von morgen präsentiert. Wie wird sich das künftige Konsumverhalten entwickeln und mit welchen Angeboten und Produkten wartet Swisscom auf?


Beim Fernsehen haben wir sicherlich zwei grosse Trends. Einerseits wird das Fernsehgerät immer stärker zu einer Kommunikations- und Unterhaltungszentrale. Fernsehen wird bald nicht mehr der reine Konsum von Inhalten sein. Zuschauer können dann direkt mit ihren Freunden interagieren. Andererseits werden neue Angebote möglich, wie zum Beispiel, Videospiele online über das Internet zu spielen. Kunden benötigen dafür heute teure Spielkonsolen. Diese fallen in Zukunft weg und unser Kunde mietet sich einfach dann ein Spiel, wann er möchte.



«Die Preiserosion beträgt alleine bei Swisscom  jährlich rund CHF 400 bis 500 Mio. Die Preise in der Schweiz sinken also massiv.»


Mit dem «Kindle» hat Amazon in den USA einen riesigen Erfolg. 2010 will Swisscom in der Schweiz einen eigenen E-Reader auf den Markt bringen. Soll es eine vollständige Eigenentwicklung sein oder die Adaption eines bestehenden Gerätes und welche Angebote wollen Sie auf dem Gerät zur Verfügung stellen?


Swisscom wird nie ein Gerätehersteller sein. Unsere Aufgabe ist, für den Kunden eine Plattform zu schaffen, die ihm den einfachen Zugang zu Inhalten ermöglicht. Statt alles alleine zu produzieren, werden wir in Zukunft vermehrt Kooperationen mit Herstellern sehen. Swisscom wird die Ansätze verschiedener Anbieter zusammenfügen, um den Kunden ein optimales Nutzungserlebnis zu ermöglichen. So schaffen wir einen Mehrwert für den Kunden.


Auch nach der Marktöffnung, die für eine grössere Konkurrenz und tiefere Preise sorgen sollte, hat sich die Swisscom als absoluter Platzhirsch bestätigt und die Schweizer Kunden haben weiterhin vergleichsweise hohe Kommunikationskosten. Wird sich das Ihrer Meinung nach überhaupt irgendwann ändern und welche Voraussetzungen bräuchte es dafür? 


Die Preiserosion beträgt alleine bei Swisscom  jährlich rund CHF 400 bis 500 Mio. Die Preise in der Schweiz sinken also massiv. Generell von hohen Preisen zu sprechen, ist zudem sicherlich nicht richtig. Bei der Festnetztelefonie und im Breitbandbereich liegen wir in Europa momentan im unteren Mittelfeld, im Mobilbereich sind die Schweizer Preise höher, wenn man die Währungen direkt umrechnet. Gemäss einer aktuellen OECD-Studie liegen die Handytarife kaufkraftbereinigt sogar unter dem europäischen Mittel. Und man darf nicht vergessen, dass bei uns der Mobilfunkmarkt rund sieben bis acht Jahre später liberalisiert wurde als in Europa. In der Schweiz hat die Preisdegression also mit grosser Verspätung gegenüber dem Ausland eingesetzt.






Der Gesprächspartner:
Carsten Schloter, CEO Swisscom
geb. 1963, deutscher Staatsbürger
Diplom-Betriebswirt


Berufliche Stationen:
Abteilungsleiter der Händler- und Büro-Automatisation/Organisation Mercedes Benz France,
Debitel France,
Leiter Kundenbetreuung, Risk Management, IT und Qualitätsmanagement Debitel Deutschland,
Leiter von Swisscom Mobile.


Weitere Mandate:
Verwaltungsratspräsident von Fastweb S.p.A. Milano, Italien.


Das Unternehmen:
Mit 5,5 Millionen Mobilfunkkunden, rund 1,8 Millionen Breitband-Anschlüssen ist Swisscom das führende Telekom-Unternehmen in der Schweiz. 19’704 Mitarbeitende (Vollzeitstellen) erarbeiteten in den ersten neun Monaten des Jahres 2009 einen Umsatz von CHF 8,9 Milliarden. Rund 830 junge Leute absolvieren bei Swisscom ihre Lehre als Informatiker, Telematiker, Mediamatiker, Detailhandelsangestellter und KV.


Swisscom ist schweizweit präsent mit allen Dienstleistungen und Produkten für die mobile, die netzgebundene und die IP-basierte Sprach- und Datenkommunikation. Massive Investitionen in die Netzinfrastruktur stellen sicher, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Seit der Lancierung von Bluewin TV wird die Entwicklung in Richtung Multimedia-Unternehmen auch für Kundinnen und Kunden immer mehr erlebbar. Mit dem italienischen Provider Fastweb ist Swisscom in einem der attraktivsten Breitbandmärkte Europas präsent. Zusätzlich aktiv ist Swisscom im IT-Infrastruktur-Outsourcing und im Management von Kommunikationsinfrastrukturen.


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