von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Juen, die Schweizer Hotellerie hat ein sehr erfreuliches Jahr hinter sich. 36,4 Mio. Logiernächte – ein Plus von 4,4 % – waren zu verzeichnen. Welches waren die wesentlichen Gründe für die positive Entwicklung?
Christoph Juen: Die Schweizer Hotellerie erhielt im Jahr 2007 durch den starken Euro und den konjunkturellen Aufschwung Rückenwind. Schweiz Tourismus erklärt das tolle Jahr deshalb mit den 4 W-Erfolgsfaktoren Währung, Wirtschaft, Wetter und Werbung. Ich möchte hier noch ein fünftes W anfügen – die verstärkte Wettbewerbsfähigkeit der Branche. Die Hotellerie ist wieder marktorientierter, innovativer und damit mutiger geworden.
Für eine langfristig florierende Hotellerie sind weiterhin grosse Anstrengungen, das heisst Investitionen und Innovationen innerhalb der Branche, nötig. Es wäre fatal, wenn man sich nun auf den Lorbeeren ausruhen würde – schliesslich sind Währung, Wirtschaftslage und Wetter keine verlässlichen Grössen. Langfristig führt einzig die Wettbewerbsfähigkeit zum Erfolg. Und diese ist wiederum auf unternehmensfreundliche politische Rahmenbedingungen angewiesen.
Wie im Vorjahr war erneut das Geschäft mit den ausländischen Gästen der Wachstumstreiber (+ 6,5 %). Wer sind die treusten ausländischen Gäste der Schweizer Hotellerie?
Das sind ganz klar die deutschen Touristen mit knapp 6,1 Millionen Logiernächten. In der Rangliste der treuesten ausländischen Gäste folgen dann die Briten. Sie haben knapp 2,3 Millionen Logiernächte generiert. USA mit 1,7 Millionen, Frankreich mit 1,4 Millionen und Italien mit 1,1 Millionen Logiernächten belegen die weiteren Top-Plätze.
Wie verläuft die Entwicklung mit Gästen aus den wirtschaftlich stark aufstrebenden Märkten Russland, China und Indien?
Die Entwicklung in diesen Märkten ist sehr erfreulich. Russland verzeichnet ein Plus von 21,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr, aus Indien konnten 18,5 Prozent und aus China 12,1 Prozent mehr Logiernächte generiert werden. In Zahlen ausgedrückt heisst das: Die Russen erzielen knapp 400’000 Übernachtungen, die Inder 337’000 und die Chinesen rund 230’000.
«Für eine langfristig florierende Hotellerie sind weiterhin grosse Anstrengungen, das heisst Investitionen und Innovationen innerhalb der Branche, nötig» (Christoph Juen, CEO hotelleriesuisse)
Welches Potenzial haben diese Märkte?
Aufgrund der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik in diesen neuen Quellmärkten dürfen wir von einem Potenzial in der Grössenordnung von einer Million Logiernächte ausgehen – wenn keine anderweitigen (z.B. politischen) Erschütterungen die geopolitische Weltlage heimsuchen.
Einen Rückgang gab es bei den Übernachtungen von Besucherinnen und Besuchern aus Japan zu verzeichnen. Wo sehen Sie die Gründe?
Das Bundesamt für Statistik weist bei den von Japanern generierten Logiernächten einen Rückgang von 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Das ist zwar unbefriedigend, aber keineswegs so dramatisch. Erklärungen für den Rückgang sind zum einen die neuen asiatischen Reisedestinationen (China) und das veränderte Reiseverhalten seit 9/11, zum anderen die mässige wirtschaftliche Konjunkturlage in Japan selbst, welche die Kaufkraftentwicklung dämpft.
Das Hotellerie-Jahr 2008 wird von der UEFA EURO 2008 geprägt sein. Wie viele zusätzliche Übernachtungen wird dieser Grossanlass generieren?
BAK Basel Economics prognostiziert in Zusammenhang mit der Euro 08 ein zusätzliches Nachfragevolumen von mindestens einer halben Million Hotelübernachtungen. Wir gehen davon aus, dass diese Zahl eher höher zu liegen kommt.
Welche Forderungen stellen Sie im Zusammenhang mit der zusätzlichen Besucherwelle an die Ihrer Organisation angeschlossenen Beherbungsbetriebe?
Die Euro 08 ist eine erstklassige Plattform, um das Image der Schweiz europaweit zu stärken und – auch gegenüber Österreich – klar zu positionieren. Die Branche muss diese einmalige Chance geschickt nutzen und die Fans von der Schweizer Gastfreundschaft, den professionellen Dienstleistungen und dem Qualitätsbewusstsein überzeugen. Wer die Euro 08 hautnah in einer der Schweizer Host Cities – oder irgendwo vor dem Fernseher – verfolgt, soll die trendigen Schweizer Städte, die intakte Natur, aber auch typische Werte wie Sauberkeit und Sicherheit kennen und schätzen lernen. Wenn wir es schaffen, dass die Fussball-Fans zu echten Schweiz-Fans werden, haben wir unser auf Nachhaltigkeit und längere Sicht ausgerichtetes Ziel mehr als erreicht.
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Wie schätzen Sie die Aussichten für die Schweizer Hotellerie über das EURO-Jahr 2008 hinaus ein – wo liegt das grösste Potenzial, wo orten Sie die grössten Risiken?
Auch mittelfristig sind die Wachstums-Perspektiven für den Schweizer Tourismus durchaus vorteilhaft. Die aktuellen Planungen für neue Hotelkomplexe und Ferienresorts zeigen, dass das touristische Potential in der Schweiz intakt ist und es durchaus Wachstumschancen gibt. Auf der anderen Seite gehen die Strukturanpassungen weiter. Insbesondere mittlere und kleinere Destinationen mit nur schwach ausgeprägter Angebotsprofilierung müssen mittelfristig mit Nachfrageeinbussen rechnen. Mit dem sich abzeichnenden Klimawandel könnte jedoch mittel- bis langfristig das Sommergeschäft dem Schweizer Tourismus auch in alpinen und voralpinen Regionen zusätzlichen Aufschwung bescheren.
Insgesamt stehen in der Schweiz verteilt auf 5635 Hotels knapp 142’000 Zimmer zu Verfügung, davon sind ungefähr 94’000 von hotelleriesuisse klassiert. Diese Zahlen haben sich in den letzten Jahren nicht sehr stark verändert. Welche Entwicklung sehen Sie bezüglich Quantität des Angebots?
Auf betrieblicher Ebene stellen wir seit einigen Jahren eine Strukturbereinigung fest. Zum einen kommt es zu vermehrten Marktaustritten von kleinen Betrieben und zum anderen gibt es viele Neubauten von grösseren Einheiten sowie Zusammenschlüsse. Die Bettenanzahl ist seit rund 30 Jahren ziemlich konstant und liegt bei rund 270 000 Betten. Die Anzahl Betriebe nimmt aber seit Jahren ab. Konkret bedeutet dies, dass die Beherbergungsbetriebe immer grösser werden. Das zeigt der langjährige Vergleich deutlich: Seit 1948 hat sich die durchschnittliche Bettenkapazität pro Betrieb verdoppelt! Dies hängt vor allem mit der besseren Rentabilität von grösseren Unternehmen zusammen. Wir gehen deshalb davon aus, dass dieser Trend auch in Zukunft andauern wird.
«Insbesondere mittlere und kleinere Destinationen mit nur schwach ausgeprägter Angebotsprofilierung müssen mittelfristig mit Nachfrageeinbussen rechnen.» (Christoph Juen)
Zuletzt haben Hotel-Grossbauten- oder Projekte wie das Dolder Grand Hotel in Zürich oder die Tourismus-Anlage in Andermatt für Schlagzeilen gesorgt. Wie sieht es mit Investitionen in die 3 oder 4-Stern-Hotellerie aus, in der mehr als die Hälfte der Übernachtungen realisiert werden?
Im Luxus- und im Budget-Segment arbeitet die Schweizer Hotellerie sehr erfolgreich und ist absolut konkurrenzfähig. Gerade für die 3-Sterne-Betriebe ist die Situation häufig schwierig – schliesslich braucht es für Investitionen auch die nötigen finanziellen Mittel. Aus diesem Grund sind diese Betriebe auch vom Strukturwandel besonders betroffen. Sie müssen in Zukunft noch vermehrt Nischen definieren und konsequent besetzen und eine noch individuellere Gästebetreuung anbieten. Auf die Chancen und Herausforderungen, mit welchen diese Betreibe in Zukunft konfrontiert werden, geht übrigens die Studie «Die Zukunft der Schweizer Hotellerie» des Gottlieb Duttweiler Instituts, die wir anlässlich unseres Verbandsjubiläums publiziert haben, ausführlich ein.
Graubünden ist die grösste Tourismusregion der Schweiz und verzeichnet beinahe sechs Millionen Übernachtungen. Wie verläuft die Entwicklung in den Städten?
Die Städte arbeiten hervorragend – sie sind die Motoren des Tourismus-Wachstums der letzten Jahre. So verbucht Genf bei den Übernachtungen ein Plus von 9,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, die Logiernächte in Zürich haben um 8,2 Prozent, in Luzern um 9,7 und in Basel um 6,7 Prozent zugenommen. Zürich und Genf generieren zusammen über 4,6 Millionen Logiernächte! Die Top-Städte ziehen Geschäftsleute ebenso an wie Kongressbesucher oder Feriengäste. Sie sind dank bester Erreichbarkeit und Verkehrsanbindung, dank einem vielfältigen Hotelangebot und umfassenden Packages attraktive Reiseziele.
Herr Juen, wir bedanken uns für das Interview.
Zur Person:
Christoph Juen (*1953), Dr. oec HSG, ist CEO des Branchenverbandes hotelleriesuisse. Studium der Volkswirtschaft in Lausanne und St. Gallen, sowie SEP Stanford Business School. Über Stationen beim Bundesamt für Aussenwirtschaft (heute seco), wo er als Experte für Wirtschafts-, Währungs- und Finanzfragen tätig war, und dem Schweizerischen Handels- und Industrieverein Vorort (heute economiesuisse) wurde er Ende 1999 an die Spitze von hotelleriesuisse berufen. Dr. Christoph Juen ist auch in ausgewählten Stiftungs- und Verwaltungsräten vertreten, unter anderem in der Hotelfachschule Lausanne und bei der Reisekasse reka.
Zur Organisation:
hotelleriesuisse, der Unternehmerverband für Hotellerie und Beherbergung in der Schweiz, zählt 3’142 Mitglieder. Die 2’300 von hotelleriesuisse klassierten Hotels in der Schweiz generieren über 76 Prozent aller Logiernächte (Stand: Dezember 2007). An den Standorten Bern (Hauptsitz), Lausanne sowie Bellinzona sind 94 Mitarbeitende für hotelleriesuisse tätig. Zwei Verbandsschulen (Ecole hôtelière Lausanne, Hotelfachschule Thun), drei Vertragsschulen (Les Roches, Bluche, Marbella und Adelaide), neun Partnerschulen (Hotelhandelsschulen) und sechs Berufsfachschulen (Schulhotels) gehören ebenfalls zu hotelleriesuisse.
Wie hotelleriesuisse ihre Kernkompetenzen definiert:
- Offizielle Schweizer Hotelklassifikation mit dem grössten Schweizer Web-Hotelführer (www.swisshotels.com)
- Politische Interessenvertretung und Lobbying auf nationaler Ebene
- Sozialpartnerschaft in Hotellerie und Restauration
- Angebote rund um Beruf und Bildung in Hotellerie und Restauration
- Beratungs- und Informationsservice, einschliesslich eines Beraternetzwerkes und Erhebung von ERFA-Benchmarks
- Herausgabe der unabhängigen Schweizer Fachzeitung für Tourismus htr hotel revue
- Preferred Partners: Attraktive Leistungen für Mitglieder
- HOTELA: Sozialversicherungen + Personaladministration aus einer Hand