CS-Studie: Cassis de Dijon, Likör gegen hohe Preise

Von Petra Huth, CS Economic Research

Ein Vergleich der Preisniveauindizes der Schweiz und der EU macht es deutlich: Obwohl die Indizes in der Schweiz für die meisten Güter- bzw. Dienstleistungskategorien zwischen 1995 und 2005 relativ gesunken sind, liegt das Niveau der Endverbraucherpreise mehrheitlich nach wie vor und zum Teil deutlich über dem EU-Durchschnitt. Einzig bei den Personenwagen sind sogar tiefere Preise als in der EU-15 zu beobachten. Beim Baugewerbe ist der Preisunterschied zur EU während des betrachteten Zeitraums sogar noch grösser geworden. Im Nahrungsmittelbereich ist der beobachtete Rückgang – auf hohem Niveau – minim. Verschiedene regulatorisch sinnvolle Vorstösse für mehr Wettbewerb in den letzten Jahren haben also ihr Ziel noch nicht erreicht.


Die EU setzt die Standards
Die Handelspolitik zwischen der Schweiz und der EU soll deshalb durch ein neues Element ergänzt werden: das Cassis de Dijon-Prinzip. Mit dessen einseitiger Einführung will der Bundesrat sicherstellen, dass Produkte, die in der EU nicht oder nur teilweise harmonisiert sind, auch in der Schweiz frei zirkulieren können. Die Basis bildet eine Revision des Bundesgesetzes über technische Handelshemmnisse. Dieses sieht vor, dass Vorschriften des technischen Rechts in der Schweiz auf die Bestimmungen der wichtigsten Handelspartner – konkret der EU und ihrer Mitgliedländer – ausgerichtet werden. Eine Analyse der Ursachen für das hohe Preisniveau in der Schweiz zeigt, dass beim Warenverkehr die Hindernisse sehr vielfältig sind und jede Schranke einzeln oder in Kombination zu einer Abschottung des schweizerischen Marktes führen kann. Die Beseitigung der Barrieren im technischen Recht ist daher ein wichtiger Baustein, um bestehende Preisunterschiede abzubauen bzw. neue zu verhindern. Sie erzielt aber nur zusammen mit der weiteren Harmonisierung und einer effizienten Überwachung des Wettbewerbs via Binnenmarkt- und Kartellgesetz die gewünschte Wirkung.






Worum geht es bei Cassis de Dijon?
Das Cassis de Dijon-Prinzip wurde ursprünglich durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) im Jahr 1979 formuliert. Auslöser war ein Johannisbeerlikör, der sog. Cassis, den die Handelsgruppe Rewe aus Dijon für den Verkauf nach Deutschland importierte. Die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein verbot der Rewe den weiteren Import und Verkauf, da der Alkoholgehalt von 16 bis 22 Vol.% nicht dem – vom deutschen Branntweinmonopolgesetz geforderten – Alkoholgehalt für Liköre entsprach. Rewe erhob Klage mit der Begründung, dass es sich hier um ein Handelshemmnis handle. Der EuGH stellte in seinem wegweisenden Urteil klar, dass die Bestimmung tatsächlich nicht mit der Warenverkehrsfreiheit aus Artikel 28 des EU-Vertrages vereinbar sei: Fehlen gemeinsame Regeln für den Warenverkehr im Europäischen Wirtschaftsraum, können nationale Regelungen, die den Handel mit einem bestimmten Produkt behindern, nur unter einer Bedingung gelten: Sie müssen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit, zum Schutz von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr oder aus Gründen des Konsumentenschutzes bestehen.

Ergänzung der bisherigen Strategie
Das vornehmliche Ziel des Bundesrates bleibt, die technischen Handelshemmnisse durch eine bestmögliche Harmonisierung der schweizerischen Produktvorschriften mit dem EU-Recht abzubauen. Das Cassis de Dijon-Prinzip wird sowohl in der Europäischen Union als auch in der Schweiz als Ergänzung dieser Strategie gewertet. Am meisten Handelsbehinderungen durch Bestimmungen von Produkteigenschaften bestehen noch im Bereich der Lebensmittel. Nicht zuletzt deswegen ist das Cassis de Dijon-Prinzip in aller Munde. Die einen fordern es als Allheilmittel zur endgültigen Senkung der hohen Preise in der Schweiz, die anderen tun es als Papiertiger ab oder verweisen auf die nicht ausgenutzten Optionen des Freihandelsabkommens mit der EU. Die Mehrheit der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger ist sich jedoch einig, dass die Anwendung von Cassis de Dijon wettbewerbsfördernd ist und das Preisniveau gesenkt werden kann. Eine Studie des Economic Research der Credit Suisse geht auf die Hintergründe des Vorstosses ein, beantwortet die Frage, was hinter dem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes steckt und wie viel mit diesem Regulierungsprinzip erreicht werden kann.


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Drei Optionen stehen zur Auswahl
Im März 2007 wurde die Vernehmlassung über Cassis de Dijon beendet. Es geht grundsätzlich um drei Varianten: Erstens eine vertragliche Regelung mit der EU über die gegenseitige Verpflichtung auf Cassis de Dijon. Damit könnten schweizerische Produkte auf dem EU-Markt von denselben Handelserleichterungen profitieren wie entsprechende Güter aus der Europäischen Union in der Schweiz. Diese optimale Variante lässt sich höchstens längerfristig realisieren, dürfte die EU doch eher auf eine Übernahme ihres «acquis communautaire» (gesamte Rechtsordnung der Europäischen Union) pochen.

Da bietet sich zweitens die autonome Anwendung des Cassis de Dijon-Prinzips durch die Schweiz an, und zwar auch für bereits harmonisierte Güter. Produkte, die nach den geltenden Vorschriften der EU hergestellt und dort rechtmässig in Verkehr gebracht worden sind, könnten auch in der Schweiz ohne zusätzliche Auflagen verkauft werden. Hier würde die Schweiz auf das bei den harmonisierten Gütern im Rahmen der Bilateralen I bereits Erreichte verzichten, und die EU könnte das Interesse an weiteren Abkommen verlieren.


Bleibt drittens die einseitige Öffnung nur für Produkte, bei denen die EU keine oder nicht vollständig harmonisierte Vorschriften erlassen hat und für Güter, bei welchen die Schweiz ihre Vorschriften nicht oder (noch) nicht vollständig an die harmonisierten EU-Bestimmungen angepasst hat. Auch wenn das betroffene Handelsvolumen bei dieser Option am geringsten ist, stellt sie zum aktuellen Zeitpunkt wohl die politisch am ehesten umsetzbare Variante dar.


Wichtige Fragen sind noch offen
Der aktuelle Stand der Dinge ist allerdings nach wie vor durch verschiedene Unklarheiten geprägt – insbesondere was die Ausnahmen betrifft. Dort wo die Vorschriften in der EU aus Sicht der Schweiz als ungenügend erachtet werden, sollen Ausnahmen zum Schutz der Umwelt, Gesundheit und Verbraucher möglich sein. Nachdem zu Beginn der Vernehmlassung von den zuständigen Bundesämtern eine Flut von beantragten Ausnahmen geltend gemacht worden war, ist die entsprechende Liste mittlerweile deutlich kürzer geworden, aber immer noch offen. Einen Zwischenentscheid darüber will der Bundesrat Ende September fällen.


Gleichzeitig besteht das Risiko einer Diskriminierung: Mit der einseitigen Einführung des Cassis de Dijon-Prinzips erhielten Produkte aus einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat Zugang zum schweizerischen Markt. Inländische Hersteller wären überall dort benachteiligt, wo sie sich an strengere schweizerische Produktevorschriften zu halten hätten. Es ist daher wichtig, dass auch rein auf den Inlandmarkt ausgerichteten Herstellern gestattet wird, nach EU-Vorschriften zu produzieren – zumindest wenn Produkte gleicher Art unter Cassis de Dijon importiert werden dürfen. Viele Schweizer Hersteller sind aufgrund des relativ kleinen Absatzmarktes zudem besonders daran interessiert, für den einheimischen Markt nach denselben Vorschriften produzieren zu dürfen wie für den Export. Der Bundesrat will ihnen diese Möglichkeit geben – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Güter in der EU rechtmässig in Verkehr gesetzt wurden.


Die Botschaft des Bundesrates zu Cassis de Dijon ist für Anfang 2008 geplant. Von dieser Massnahme allein dürfen für die Preisentwicklung keine übertriebenen Erwartungen gehegt werden. Nicht zu unterschätzen ist aber die dynamische Wirkung des Prinzips. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Globalisierung und in Kombination mit dem Vorantreiben der Harmonisierungsstrategie sowie der konsequenten Umsetzung anderer, bereits getroffener Reformen (insbesondere Verschärfung Kartellrecht und Binnenmarktgesetz) kann Cassis de Dijon aber durchaus dazu beitragen, dass die Hochpreisinsel Schweiz weiter absinken wird.

Studie des Economic Research der Credit Suisse zu Cassis de Dijon…




Dieser Artikel wurde uns freundlicherweise von Credit Suisse IN FOCUS zu Verfügung gestellt 
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