CS-Studie: Wie lenkt Verkehr die regionale Entwicklung in der Schweiz?

Für die Entwicklung der Wirtschaft gibt der Strukturwandel die Richtung vor, Erreichbarkeit wird erst in diesem Rahmen als Standortfaktor wirksam. Bestimmend für die Bevölkerungsentwicklung sind phasenweise Suburbanisierung, Reurbanisierung und das Aussenwachstum der grossen Wirtschaftsräume. Erst für die konkrete Wohnortwahl im Grünen oder im Zentrum ist dann die Verkehrsanbindung selbst als Kriterium relevant. Für die Planung des zukünftigen Bedarfs an Verkehrsinfrastruktur ist es wichtig, dieses Wirkungsgefüge zu berücksichtigen. Verkehrs- und Raumplanung beeinflussen sich gegenseitig. Eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen beiden dürfte daher für alle Beteiligten vorteilhaft sein. Dies sind die Ergebnisse der jüngsten Studie des Economic Research der Credit Suisse, wie die Grossbank in einer Mitteilung schreibt.


Verkehrsinfrastruktur grundlegend für Wirtschafts- und Lebensräume
Eine gute Erreichbarkeit sollte sich entsprechend in einer günstigen regionalen Entwicklung widerspiegeln. Ist dieser Zusammenhang tatsächlich erkennbar? Die neue Studie der Credit Suisse untersucht diese Frage für die Schweiz als Ganzes. Für den Kanton Aargau wurden die Verkehrssituation und der Zusammenhang von Verkehr und regionaler Entwicklung vertiefend analysiert, da für den Argau aufgrund seiner Lage Verkehr von besonderer Bedeutung ist. Hierfür wurden auch Zeitkosten von Berufspendlern und Veränderungen der Standortqualität für verschiedene Verkehrsszenarien modelliert.


Gute Verkehrsanbindung keine Garantie für Beschäftigungszuwachs
Die Credit Suisse Studie untersucht den Einfluss von Verkehrsinfrastruktur innerhalb von eigens abgegrenzten Grossregionen der Schweiz. Es zeigt sich, dass innerhalb dieser Grossregionen mit höherer Erreichbarkeit die Wirtschaftskraft steigt und die Attraktivität für bestimmte Branchen zunimmt. Für die Schweiz insgesamt gilt dies insbesondere für die Branche der Unternehmensdienstleistungen, im Kanton Aargau für die Spitzenindustrie sowie die Transport- und Verkehrsbranche. In der Schweiz ist mit höherer Erreichbarkeit nicht zwangsläufig die Wirtschaftsentwicklung dynamischer. Zwischen deutlichem Zentrums- und moderatem Aussenwachstum gibt es eine Delle der Beschäftigungsentwicklung im ersten Ring um die Zentren. Wirtschaftlicher Strukturwandel hat hier zu Beschäftigungsstagnation geführt und überlagert den Einfluss von Verkehr auf die regionale Entwicklung.


Bevölkerungsentwicklung zwischen Sub- und Reurbanisierung
Der Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und Erreichbarkeit variiert. Zwischen 1990 und 2000 folgt die Bevölkerung einem Suburbanisierungstrend ? je höher die Erreichbarkeit, desto geringer der Bevölkerungszuwachs. Hohe Preise und Mieten in den Zentren sowie der Wunsch nach Wohnen im Grünen und Wohneigentum waren wichtiger für die Wohnortwahl als eine verkehrsgünstige Lage. Dies spiegelt sich auch in der Verteilung des Einkommens: es ist ausserhalb der Zentren am höchsten. Nach 2000 dreht der Zusammenhang mit der Bevölkerungsdynamik in die Gegenrichtung: je höher die Erreichbarkeit, desto stärker die Bevölkerungsdynamik. Eine Ursache für diese Kehrtwende ist die Zuwanderung der letzten Jahre; Migranten zieht es vor allem in die städtischen Zentren. Wohnbau in der Schweiz orientiert sich dagegen weniger an der neuen Beliebtheit der Zentren, am meisten wird weiterhin ausserhalb gebaut.


Pendelverkehr unausweichlich
Die Verteilung von wirtschaftlicher Aktivität und Wohnen der Bevölkerung zwischen Zentren und Umland ergibt zwangsläufig Pendelverkehr. Da im Aargau die räumliche Trennung zwischen Arbeit und Wohnen besonders ausgeprägt ist, wird hier auch überdurchschnittlich viel gependelt. Die PKW-Nutzung nimmt dabei einen hohen Stellenwert ein ? und dies wie in der übrigen Schweiz auch mit steigender Tendenz. In Zukunft könnte im Aargau neben steigendem Transitverkehr auch anhaltendes Bevölkerungswachstum ein zunehmendes Verkehrsaufkommen bewirken. Für den Kanton Aargau wurden mögliche Auswirkungen einer solchen Entwicklung auf Standortqualität und Zeitkosten der Pendler für den Strassenverkehr modelliert.


Wie und wo wirkt Verkehrsausbau auf die regionale Entwicklung?
Gemäss den Ökonomen der Credit Suisse bewirkt eine bessere Erreichbarkeit eine höhere Wirtschaftsdynamik ? vor allem dort, wo die Erreichbarkeit bereits hoch ist. Die Wirtschaftsentwicklung der Schweiz konzentriert sich auf die Wachstumsräume des Mittellandes und der Genfersee-Region. Innerhalb dieses Rahmens wirkt dann auch ein Ausbau der Erreichbarkeit entwicklungsfördernd. Zudem spiegelt sich die siedlungslenkende Funktion eines Verkehrsausbaus in den Analyseergebnissen, wiederum zeitlich differenziert. Vor dem Jahr 2000 wächst die Bevölkerung praktisch überall überdurchschnittlich, wo der öffentliche Verkehr ausgebaut wird; nach 2000 ist dies bei einem solchen Ausbau dagegen vor allem in den Zentren und deren Umgebung der Fall.


Verkehrswirkung entfaltet sich den Umständen entsprechend
Die Studie hat gezeigt, dass sich regionale Entwicklung nicht durch den einfachen Zusammenhang «höhere Erreichbarkeit = stärkeres Wachstum» erklären lässt. Die Bedeutung von Verkehr und Erreichbarkeit wird von übergeordneten Prozessen wie Strukturwandel und Suburbanisierung überlagert. Nach einer Phase der Stagnation haben Zentren in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. Die angrenzende erste Zielregion der Suburbanisierung hat dagegen als Wohnort und Wirtschaftsstandort leicht an Bedeutung verloren. Die Zentren erleben damit nach dem Strukturwandel eine Renaissance, während jetzt vor allem die angrenzende Agglomeration von Restrukturierung betroffen zu sein scheint. An ihren äusseren Rändern wachsen die grossen Wirtschaftsregionen währenddessen weiter. Innerhalb dieser Entwicklungsströmungen wird dann die verkehrstechnische Erreichbarkeit oder ihr Ausbau als Standortfaktor wirksam.


Verkehrsfragen nicht nur durch Verkehrsplanung beantworten
Die Tatsache, dass viele Schweizer an unterschiedlichen Orten wohnen und arbeiten, erzeugt einen grossen Teil der Verkehrsströme. Um die Probleme dieses strukturell bedingten Verkehrs zu lösen, muss auch an den Strukturen angesetzt werden. Ein Hebel liegt darin, Siedlungs- und Verkehrsplanung aufeinander abzustimmen, insbesondere indem die relevanten Akteure aus Gemeinden, Regionen und Kantonen eng zusammen arbeiten. Eine funktionsfähige regionale und nationale Verkehrsinfrastruktur kommt letztlich allen zugute. Hieraus sollte sich ein gemeinsames Interesse für das übergeordnete Ziel einer bestmöglichen räumlichen Organisation ergeben. Ein Schlüssel für die zukünftige Planung liegt in der Anreizstruktur. Die Aufwertung des einen Verkehrsträgers kann beispielsweise zu Lasten eines anderen gehen oder Siedlungsentwicklung an verkehrsungünstigen Orten fördern. Bei politisch-planerischen Massnahmen sollte entsprechend beachtet werden, wie diese Massnahmen Anreize verschieben und welche zukünftige Entwicklung dies erwarten lässt. (cs/mc/ps)

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