Das entzauberte Bankgeheimnis
Um den Erfolg der Schweizer Banken ranken sich zahlreiche Mythen. Eine besondere Stellung nimmt dabei das Bankgeheimnis ein. In unzähligen Büchern und Filmen wird es als finanzielles Schlupfloch für Gangster und Betrüger dargestellt.
Von Marcus Balogh, Redaktion emagazine und
René Buholzer, Head Public Affairs, Credit Suisse Group
Vorurteil 1:
Das Bankgeheimnis dient vor allem der Geldwäscherei.
Die Schweiz besitzt nicht nur eines der modernsten Geldwäschereigesetze derWelt, sie ist auch eines der Gründungsmitglieder der internationalen Antwort auf die Geldwäscherei: der Financial Action Task Force on Money Laundering. Die 40 Empfehlungen dieserTask Force hat die Schweiz vollständig umgesetzt. Ausserdem verfügt die Schweiz über ein dichtes Netz von Gesetzen und Regulierungen, die verhindern sollen, dass illegal erworbene Gelder in unser Land fliessen. Die gleichen Gesetze ermöglichen Strafuntersuchungen mit vollständiger Auskunftspflicht der Banken. Fakt ist jedoch leider auch, dass der äusserst medienwirksame Vorwurf der Geldwäscherei – obwohl meist klar und eindeutig unberechtigt – immer wieder als politisches Druckmittel eingesetzt wird.
Vorurteil 2:
Das Bankgeheimnis deckt Fluchtgelder von Diktatoren aus der Dritten Welt.
Das Schweizer Bankgeheimnis schützt in erster Linie die Privatsphäre des Kunden. Besteht jedoch ein begründeter Verdacht auf eine kriminelle Herkunft eines Vermögens, wird das Bankgeheimnis zur Verbrechensbekämpfung aufgehoben, und zwar sowohl für die inländischen wie auch für die ausländischen Strafverfolgungsbehörden. Gelder krimineller Herkunft – sei es Kapital des organisierten Verbrechens oder durch Amtspersonen illegal beiseite geschafftes Vermögen – werden blockiert und in enger Zusammenarbeit mit dem Herkunftsstaat rückerstattet.
Vorurteil 3:
Nummernkonten bringen die Schweiz international in Misskredit.
Anonyme Konten sind eine Erfindung von James Bond und Hollywood – in Tat und Wahrheit hat es sie nie gegeben. Ganz im Gegenteil: In kaum einem Land wissen die Banken so viel über ihre Kunden wie in der Schweiz (Know-your-customer-Prinzip). Gerade deshalb werden gewisse Konten – zum Beispiel von politisch exponierten Kunden – für den internen Gebrauch mit Nummern versehen. Damit ist die Identität des Kontoinhabers nur einem kleinen Kreis von Leuten innerhalb der Bank bekannt. Anonym sind diese Konten trotzdem nicht. Alle relevanten Daten sind der Bank zu jedem Zeitpunkt bekannt. Und im Rahmen von Strafuntersuchungen und Rechtshilfeverfahren sowie in Konkurs- und zivilrechtlichen Verfahren sind die Daten den Behörden ebenfalls zugänglich.
Vorurteil 4:
Das Bankgeheimnis bietet den Mächtigen und Reichen die Chance, etwas zu vertuschen.
Das Bankgeheimnis eignet sich nicht zum Schutz krimineller Handlungen. Was es schützt, sind persönliche und finanzielle Daten des Bankkunden – ähnlich wie das Arztgeheimnis sensitive Informationen über den Patienten schützt. Das Recht auf Wahrung der Privatsphäre ist denn auch ein Grundrecht, das sowohl durch die Schweizerische Bundesverfassung als auch durch die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert wird. Und selbstverständlich macht das Bankgeheimnis keinen Unterschied zwischen Arm und Reich.
Vorurteil 5:
Durch das Bankgeheimnis gehen dem Schweizer Staat Milliarden an Steuergeldern verloren.
Unser Steuersystem hat seine Wurzeln im Schweizer Staatsverständnis. Es sieht Bürger und Staat als Partner, die einen Vertrag geschlossen haben: Der Bürger liefert seine Steuern ab, um im Gegenzug Leistungen zu beziehen. Es widerspricht dieser Vorstellung, dass der eine Partner – der Staat – ohne die Zustimmung des anderen Partners – des Bürgers – uneingeschränkt detaillierte Informationen über dessen finanzielle Verhältnisse einholen kann. Das Steuersystem gründet deshalb auf der Selbstdeklaration – einem System, das ausgezeichnet funktioniert. Beispielsweise ist die Steuerehrlichkeit in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr hoch. Das ist einerseits das Resultat eines intakten Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Staat, andererseits eine Folge der Verrechnungssteuer und der drakonischen verwaltungsrechtlichen Massnahmen bei einem Missbrauch. Der aktivste Verfechter des Schweizer Steuersystems ist übrigens die eidgenössische Steuerverwaltung. Und das wäre gewiss nicht so, wenn der Fiskus zu kurz käme.
Vorurteil 6:
Die Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug ist ein billiger juristischer Trick.
Der Unterschied zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug fusst im Konzept der Selbstdeklaration und dient dem Schutz der Bürger. Macht er bei der Selbstdeklaration von Einkommen und Vermögen Fehler, vergisst er zum Beispiel etwas anzugeben, lässt sich das als Steuerhinterziehung klassifizieren. Im Gegensatz zu anderen Staaten ist das in der Schweiz kein strafrechtliches Delikt. Das heisst nicht, dass Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt ist; tatsächlich ahnden die Behörden Steuerhinterziehung mit Bussen bis zu einem Mehrfachen des hinterzogenen Betrages. Noch einen Schritt weiter gehen die Massnahmen beim Steuerbetrug. Denn hier wird ja absichtlich etwas vertuscht, zum Beispiel durch ein gefälschtes Dokument. Steuerbetrug ist ein strafrechtlich relevantes Delikt und wird mit einem Strafverfahren verfolgt.
Vorurteil 7:
Mit Hilfe der Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug verstecken Schweizer Banken die Gelder ausländischer Steuerbetrüger.
Die Schweizer Banken sind bei Strafverfahren gegen ihre Kunden zur Auskunft verpflichtet, unabhängig davon, ob eine Straftat im In- oder Ausland verübt wurde und ob der Kunde Schweizer oder Ausländer ist. Die zuständigen Schweizer Behörden können im Rahmen einer Strafuntersuchung auch Bankdokumente beschlagnahmen und Bankmitarbeiter als Zeugen befragen. Die zuständigen ausländischen Behörden erhalten Zugang zu denselben Informationen, falls die Schweizer Behörden einem entsprechenden Rechtshilfegesuch entsprechen.
Vorurteil 8:
Die Schweizer Banken ignorieren wo immer möglich die Rechtshilfegesuche ausländischer Behörden.
Die Auskunftspflicht der Banken ist klar geregelt. Wird ein ausländisches Rechtshilfegesuch von den Schweizer Behörden anerkannt, gibt es kein Lavieren und Feilschen. Das Vergehen muss aber sowohl in der Schweiz als auch im antragstellenden Land strafbar sein – und da liegt das Problem. Der Verdacht der Steuerhinterziehung reicht in der Schweiz nicht aus, um das Bankgeheimnis ausser Kraft zu setzen. Diese Unterscheidung wird von anderen Ländern kritisiert – selbst dann, wenn von ihnen zum Beispiel mit Hilfe von Schwellenwerten etwas Ähnliches praktiziert wird. Für die Schweiz gäbe es im Moment nur die Möglichkeit, im eigenen Land die Gesetze ihrer Partnerländer anzuwenden oder alles mit zwei Ellen zu messen: einer für Schweizer und einer für Ausländer. Beide Möglichkeiten können aber weder moralisch noch staatspolitisch vertreten werden – ganz abgesehen davon, dass auch praktische Überlegungen dagegen sprechen.
Vorurteil 9:
Das Bankgeheimnis ist der Grund für den Erfolg der Schweizer Banken.
Auch Österreich, Belgien und Luxemburg kennen ein Bankgeheimnis. Trotzdem weist etwa der österreichische Finanzplatz weder die Grösse noch die Bedeutung des Schweizer Finanzplatzes auf. Die relativ strikte Wahrung der Privatsphäre trägt sicher zum Erfolg bei. Der langfristige Erfolg des Schweizer Finanzplatzes gründet aber in der Kombination des Bankgeheimnisses mit weiteren Faktoren: zum Beispiel der politischen und wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz, der Rechtssicherheit, der langjährigen Erfahrung im internationalen Bankgeschäft, der Kompetenz der Finanzfachleute, einer breiten Palette innovativer Produkte und Dienstleistungen sowie der stabilen Währung.