Das war das Schweizer IT-Jahr 2008

Im Januar, im Januar
2008 begann mit einem Todesfall. Der einstige Highflyer und Ausgangspunkt für viele Surfer der ersten Stunde, Netscape, wurde zu Grabe getragen. Auch schon im Januar wurde das erste Kapital im «Band 2008» der spannenden Geschichte um die Zukunft der Berner Kernbankenlösung IBIS geschrieben. Papier ist bekanntlich geduldig: Die verbliebenen Kunden hielten der RTC-Lösung die Stange, hiess es. Heute wissen wir mehr.
 
Ebenfalls das ganze Jahr begleitete uns die Frage: Wie verschaffen wir der Informatik das ihr zustehende politische und gesellschaftliche Gewicht? Wir berichteten kontinuierlich, schafften uns nicht immer Freunde, hatten dafür aber immer wieder auch Freude. Wir bleiben dabei: informatica08 war abseits von «Shakehands und Apérohäppchen» (NZZ). Im Januar war die IT-Konjunktur noch in Ordnung: IBM zeigte Wunderzahlen, Intel einen Rekordumsatz und SAP startete zu einem (kurzen) Höhenflug.
 
Und Ende Januar fällte der Kanton Zürich einen sensationellen Entscheid. Bevor man in das geplante Joint-Venture mit der Berner Bedag einsteige, wollte der Kanton nun doch lieber eine IT-Strategie haben.
 
Brrrr: Februar!
Der Februar begann mit einem Brief. Er kam von einem gewissen Herrn Ballmer und enthielt ein Angebot für läppische 44 Milliarden Dollar (wie wir heute wissen, ist das nicht viel). Für Yahoo. Der Deal kam dann nicht zustande (wie wir heute wissen, war das doch viel Geld?).
 
Auch mit Herrn Ballmer zu tun hat der «Chor der Vista-Kritiker», dessen Klängen wir im Februar erstmals lauschten. Viel weniger Kritik gibt es für die Server-Pakete («Longhorn») von Microsoft, die Ende Monat mit beträchtlicher Verspätung auf den Markt kamen.
 
Am 7. Februar verliessen wir uns bei der Verbreitung von Gerüchten erstmals auf einen Freund – und fielen auf die Nase. Seitdem tun wir das nicht mehr und alle unsere Gerüchte sind wieder wahr.
 
März: CeBIT und danach
Es ist nicht sicher, ob die Welt wirklich IT-Messen wie die CeBIT braucht. Sicher ist hingegen die unbedingte Notwendigkeit der Parties. Während Messen darben, boom(t)en die Kongresse. Dem bekannt unerschrockenen Finance-Forum-Veranstalter René Meier war das Anlass genug, einen E-Health-Kongress-Krieg vom Zaume zu reissen. Keinen Krieg, aber einen Streit gab es zwischen den höchsten Gerichten der Schweiz. Deshalb musste sich das Bundesgericht fragen: Ist Linux gut?
 
Aprilapril!
Im April errang Microsoft einen Sieg: Doch ging es bei der Anerkennung des Dokumentenstandards ooXML als ISO-Standard mit rechten Dingen zu? Eine Niederlage kassierte Microsoft hingegen im Kanton Genf: Die sparsamen Calvinisten migrierten nämlich 9000 Schul-PCs auf Linux.
 
Gut zum Thema «April» passte auch die Meldung einer Berner Zeitung, dass der Kanton Waadt «sich wahrscheinlich» am Joint-Venture von Abraxas und Bedag beteiligen würde. Wie wir heute wissen, kam alles ganz anders.
 
Auch ganz monatsgerecht entwickelte sich die Story vom IT-Joint-Venture zwischen ZKB und BCV (Waadtländer KB). Im April hiess es nämlich noch, das Gemeinschaftswerk sei, trotz Mehrkosten und Verzögerungen auf gutem Weg. Im August kam dann aber das dicke Ende.
 
Mai: HP spürt den Frühling
Im Mai gab es ein grosses Thema: Hewlett-Packard kündigte die Übernahme des Mega-Outsourcers EDS an. Kurz darauf meldeten sich schon die ersten Skeptiker. Im September wusste man dann, wieviele Stellen, die Übung weltweit kosten wird und im Oktober liess HP Schweiz in Sachen Stellenabbau bei EDS die Katze aus dem Sack.
 
Auch im Mai dürften bei Microsoft Schweiz in Sachen Windows Vista wenig Frühlingsgefühle aufgekommen sein. Viele Schweizer Behörden outeten sich nämlich als Vista-Skeptiker. Ob Microsoft deshalb den Nachfolger «Windows 7» schon Anfang 2010 auf den Markt werfen will?
 
Juni: Ritter der Milliardenrunde
Anfang Juni trafen sich die Chefs von 12 Telekommunikationsfirmen und diskutierten DIE heisse Frage des Jahres. Welcher Player soll die Schweizer Haushalte und Firmen mit direkten Glasfaseranschlüssen («Fibre-to-the-Home») erschliessen? Swisscom? Die EWs? Eine Netzgesellschaft? Die Ritter der Glasfaserrunde wurden sich (erwartungsgemäss) nicht einig. Seitdem buddeln die EWs und Swisscom um die Wette. Gewinner des Wettrennens wird sein, wer zuerst möglichst viele Haushalte und Bürogebäude mit Glasfasern angebunden hat. Swisscom nimmt die grosse Kelle in die Hand und will angeblich bis zu 2,8 Milliarden Franken in «Fibre-to-the-home» investieren. Die Konkurrenz vermutet: «Die basteln an einem neuen Monopol.»
 
Neues gabs in Juni von der IBIS/RTC-Front. Die Aargauische Kantonalbank entschied sich gegen die noch unfertige Berner Bankenlösung und für Avaloq.
 
Kalt: Juli und August
Während bis diesen Herbst noch niemand in der Schweiz etwas von «Krise» hören wollte, herrschte unter Börsianern bereits die nackte Panik. Anlässe dazu gab es viele, so ein Niesen von Cisco und eine nicht ganz so doll ausgefallene Gewinnsteigerung von Logitech. Ein leichtes Schaudern durchfuhr hingegen uns, als wir hörten, dass die Schweizer Armee ihre Informatik auslagern will.
Microsoft Schweiz sah auch im August noch keine Anzeichen von Krise (Vista war aber immer noch kein Renner) und die Marktforscher gaben sich für das Schweizer IT-Geschäft noch ganz optimistisch.
 
Ende August sprang mit der BLKB der nächste IBIS-Kunde vom RTC-Boot.
 
Im August begann zudem eine der interessantesten Stories 2008 ihre Kreise zu ziehen. SAP-Anwender erhoben erstmals öffentlich ihre Stimme gegen die Zwangs-Einführung des teureren «Enterprise-Supports» per Anfang 2009.
 
September: Aufstand der SAP-User (part II)
Der September begann mit einer Totgeburt und ging mit einem Rätsel weiter:
Wie viel Platz brauchen 444 Basler Server?
 
Die Story um SAP und die Supportpreise nahm derweil ihren Fortgang. Nun protestierte auch die ansonsten recht diskrete SAP-User-Group der deutschsprachigen Länder, die DSAG, überraschend deutlich.
 
Umgekehrt verhielt es sich mit Credit Suisse und deren IT-Dienstleistern. Die Grossbank verordnete nämlich «per ordre du chef» eine Tarifsenkung. Einige grollten, einer machte seinem Ärger Luft.
 
Ganz zum Schluss des Monats warf dann Tele2 das Handtuch und verkaufte die Schweizer Aktivitäten an Sunrise.
 
Oktober: Wird tamedia mit search.ch glücklich?
Anfang Oktober gab der Zürcher Medienkonzern tamedia den Kauf der Schweizer Suchmaschine search.ch bekannt. Doch wird die Übernahme für den «Tagi» ein Erfolg? Wir zweifelten daran und tun es heute noch. Überhaupt war tamedia im Oktober «käufig». Ende Monat posteten die Zürcher nämlich eine Beteiligung an Zattoo.
 
Angesichts der immer bedrohlicher werdenden Meldungen von der Krisenfront, ging eine exklusive Story ein bisschen unter. Sie ist trotzdem wichtig: IBM zieht einen Teil der zentralen Europafunktionen wieder aus Zürich ab. Noch eine Meldung erzeugte erstaunlich wenig Resonanz: Avaloq-Hauptaktionär Francisco Fernandez übernahm mit Partnern die Mehrheit an AdCubum. Baut sich einer da ein Schweizer Software-Imperium?
 
Und kaum hatte sich Sunrise den Konkurrenten Tele2 einverleibt, kamen Gerüchte auf, die Schweizer TDC-Tochter stehe selbst zum Verkauf.
 
November: Das absehbare Ende der Fujitsu-Siemens-Ehe
Die Spatzen hatten es monatelang von allen Dächern gepfiffen: Siemens will bei Fujitsu Siemens nicht mehr mitmachen. Am 4. November wurde es dann offiziell.
 
Noch nicht offiziell, aber unseren LeserInnen schon bekannt, war die Tatsache, dass auch der Regionalbankenverbund RBA das IBIS-Boot verlässt. Ende Monat bekamen es dann auch die anderen mit. Die gute Nachricht für IBIS-Hersteller RTC: Die Berner KB hält an der Neuentwicklung fest und kommunizierte auch schon einen Einführungstermin.
 
Für die Welt völlig bedeutungslos aber für uns ein grosser Schritt: unser Sun-Serverlein ging auf Reisen. Aber nicht lange.
 
Dezember: Aufstand der SAP-User (version hélvetique)
Während ringsum immer nur von Krise, Krise, Krise die Rede war, übten wir uns im Titeln. Was – um Himmels Willen steckt hinter Von Mäusen und Romands?
 
Neben all den Meldungen über rote Zahlen, Krisenangst und Stellenabbau gab es im Dezember auch eine richtig gute Nachricht. Microsoft hat nämlich Zürich gerne. Und zwar nicht nur als Kunde, sondern als Software-Werkstätte.
 
Unterdessen ging der Knatsch zwischen SAP und rebellischen Kunden weiter. Die Schweizer Anwender waren umso empörter, als SAP unterdessen in Deutschland und Österreich nachgegeben hatte. Erst wurde gepokert, als das nichts nützte, gruben die Anwender grad auch noch das Kriegsbeil aus. Wetten, dass uns die Story auch 2009 beschäftigen wird?
 
Auch die spannende Geschichte um einen – neben Avaloq, Finnova und Eri Bancaire – allfälligen vierten Schweizer Player im Schweizer Markt für Kernbankensysteme, ist noch nicht fertig. Die Berner KB hat nämlich den Zürcher Software-Hersteller Legando von Maerki Baumann übernommen.
 
Dazu sagen wir das gleiche wie zum ganzen IT-Jahr 2008: affaire à suivre (Inside-IT/mc)

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