David Bosshart, CEO Gottlieb Duttweiler Institut: «In den Massenmärkten werden die 5 S dominieren: Sex, Sun, Sangria, Surgery, Sleep»

von Patrick Gunti


Herr Bosshart, aus Anlass des hundertjährigen Bestehens von Kuoni hat das Gottlieb Duttweiler Institut unter Ihrer Führung den Reisemarkt der Zukunft analysiert. Welches waren die Ziele der Studie «Die Zukunft des Ferienreisens»?


Ziel war es, eine aussagekräftige, pointierte Synopsis über das künftige Reisen und Reiseverhalten zu erstellen: Wer reist? Warum reisen Menschen? Wohin werden sie reisen? Was werden sie an den Destinationen tun wollen? Wie werden sich so die Märkte differenzieren? Was werden die neuen Segmente sein?


Sehen wir uns also die Fragen im Einzelnen an. Voraussetzung für den Tourismus ist die Reiselust der Menschen – warum reisen wir heute überhaupt in die Ferien?


Wir haben in der historischen Analyse gesehen, dass sich die Basismotive über die letzten 250 Jahre seit der Industrialisierung kaum verändert haben. Was sich aber verändert hat, ist natürlich der Differenzierungsgrad, den man dank kürzeren Reisezeiten und dank Technologie erreichen kann. Ultrakurz umrissen haben wir folgende Typen:



  • Können. Man reist, weil man kann. Es gibt dank Billigfliegern immer mehr Menschen, die motivlos reisen. Man geht nach Berlin ins Wochenende, weil man kann, und weil das im Moment etwas billiger ist als der Wochenend-Trip nach Rom oder nach Paris. Solche Kunden sind natürlich wenig loyal, sie brauchen vor allem Stimulationen, einen kurzen Kick.
  • Erholung. Die Suche nach Entspannung und Regeneration. Batterien aufladen. Abschalten wird zur Herausforderung. Und der Schlaf wird zum Kult.
  • Selbsterfahrung. Man sucht sich selbst, indem man durch Reisen neue Erkenntnisse gewinnt.
  • Ablenkung. Man will weg, haut ab. Man reist, um zu verreisen. Man will sich verlieren. Sport, Spiel, Vergnügen.
  • Abenteuer und Adrenalin. Man will Befreiung aus den engen Grenzen des Eigenen und des Bekannten.
  • Zusammensein: die Suche nach Zugehörigkeit, Geborgenheit, ja Liebe und Authentizität im Zwischenmenschlichen. Reisemärkte sind immer auch Dating- & Mating-Märkte!
  • Sinn: die Suche nach Erlösung und Transformation, gerade durch östliche bzw. asiatische Therapien, spirituellem Mehrwert, also Reisen um Teil eines grösseren Ganzen zu werden.

Und diese Gründe werden sich in den nächsten 15 Jahren grundlegend verändern?


Die so skizzierten Gründe werden sich weiter differenzieren und verfeinern, insbesondere in den Premiummärkten. Für die Massenmärkte wird gelten: das Beste aus dem Preis und der Vielfalt der Angebote herausholen. Hier werden die 5 S dominieren: Sex, Sun, Sangria, Surgery, Sleep. Man will ein exotisches Sex-Erlebnis, man will Sonne (Wärme), man will etwas mit Drogen (Alkohol, Zigaretten, etc.), man will eine schnelle und leichte Therapie, die mich jünger macht oder zumindest auffrischt, und man will Ruhe. Man will entweder spezialisiert eines der 5 Elemente, oder eine Kombination davon.


Für die Massenmärkte wird gelten: das Beste aus dem Preis und der Vielfalt der Angebote herausholen. David Bosshart, CEO Gottlieb Duttweiler Institut.


Sie haben verschiedene Triebkräfte für die Veränderungen im Tourismus in den nächsten 15 Jahren definiert. Welches sind die wichtigsten?


Für das alte Europa gilt: Erstens die Gesellschaft wird älter, relativ ärmer (im Vergleich zum Wachstum in anderen Regionen der Welt) und ängstlicher bezüglich Zukunftshoffnungen und persönlicher Situation. Zweitens wird die Einkommensschere leider weiter aufgehen. Wer reich ist, wird komplett anders leben wollen und sich absetzen von den anderen. Drittens wird die Technologie schneller, besser, billiger und überall präsent sein. Das erleichtert dem Konsumenten ein Handeln in Echtzeit: immer upgedated, immer mit der Möglichkeit, das Beste für sich zu wählen, und zwar nach seinen individuellen Kriterien.


Viertens wird die unberührte Natur knapper und damit wertvoller. Die Sonne wird hingegen gefährlicher. An der Oekologie scheiden sich die Geister. Fünftens: die Orientierung an Trends ersetzt die Orientierung an Traditionen. Das besagt, dass alte Hierarchien durch neue Segmente ersetzt werden.


Sie haben verschiedene Thesen zum Tourismus 2020 aufgestellt. Eine davon lautet «Hyper-Holidayhubs». Was ist darunter zu verstehen?


Die Spaltung in gigantische Massenmärkte, die aber customized sind einerseits und in Premiummärkte. Erstere werden globale Attraktionshubs sein, auf der ganzen Welt mit gigantischen Infrastrukturen hingestellt und sie werden vor allem nach den erwähnten 5 S funktionieren und sich positionieren. Sie bedienen hochstandardisiert universelle Ferien-Träume. Dieses Segment dürfte vor allem von den Grossverteilern und den Discountern bedient werden.


$$PAGE$$


Sie haben es erwähnt – eine weitere These geht von Reisemärkten als Beziehungsmärkten aus. Wir verreisen also in Zukunft vermehrt, weil wir glauben, im Ferienparadies dem Partner unserer Träume zu begegnen?


Reisemärkte waren immer schon Dating- & Mating-Märkte. Zumindest die Sehnsucht nach Wärme, nach Menschlichkeit, nach Dauerhaftigkeit in Beziehungen ist gigantisch. Je unwahrscheindlicher es wird, im realen Leben einen Partner auf Dauer zu gewinnen, desto höher werden die Sehnsüchte in den Ferienzeiten hinaufgeschraubt. La valeur des vacances, c?est la vacance des valeurs, sagt der französische Forscher Didier Urbain zurecht.


Je unwahrscheindlicher es wird, im realen Leben einen Partner auf Dauer zu gewinnen, desto höher werden die Sehnsüchte in den Ferienzeiten hinaufgeschraubt. David Bosshart, CEO Gottlieb Duttweiler Institut


Immer mehr Leute wenden sich Angeboten zu, die eine gesundheitsfördernde Wirkung versprechen. Ist das einfach die Weiterentwicklung des heutigen Wellness-Trends?


Hier kommen eine Vielzahl von Faktoren zusammen. Es geht einerseits natürlich um Wellness, um Fitness und Spa. Aber viel wichtiger scheint mir, dass auch Kosten optimiert werden wollen. Indien wirbt mit dem Slogan auf der Tourismus-Website, «First World Treatment, Third World Prices». Attraktive, ja exotische Destinationen gewinnen an Macht, indem sie dort zu viel günstigeren Konditionen und Preisen Gesundheitsdienstleistungen einkaufen können als bei uns in der Schweiz. Warum nicht weissere Zähne, Entgiftungs-Kuren, ja selbst normale Operationen anderswo durchführen, wenn die Qualität gleich ist wie bei uns, aber viel billiger? Schliesslich steigen bei uns Krankenkassenprämien ja weiterhin. Wenn ich zudem noch angenehm bedient werde in einer tollen Umgebung, werden die Argumente immer stärker.


Was für Auswirkungen haben diese Veränderungen auf die Wahl der Ferien-Destinationen?


Die Wahl wird komplexer, vielfältiger, spannender, risikoreicher. 


Welches werden denn in 15 Jahren die beliebtesten Destinationen sein?


Es wird nicht DIE beliebteste Destination geben, vielmehr wird sich das Spiel um Attraktion und Attraktivität weiter entwickeln. Wo steht Dubai in 15 Jahren? Bereits vorbei und langweilig? Beirut war auf einem tollen Weg, und wird nun wegen politischen Idiotien in die Vergangenheit zurückgebombt. London? Wird die Sicherheitsburg in Zukunft gemieden? Die Alpen? Werden die Berge in der Schweiz weiter zulegen können im Sommertourismus, weil es auf 1500m wesentlich kühler ist als im Tal, in der Stadt und am Meer? Wird es die tollen Resorts auf Bali und Phuket dann noch geben?


Wenn alle Ihre Prognosen Tatsache werden ? was bedeutet dies für den Markt der Reiseanbieter?


Massiver Wandel. Die besten Anbieter, die das Risiko nicht scheuen, werden gewinnen.
 
Herr Bosshart, besten Dank für das Interview.


———————————————————————————-


Zur Person:
David Bosshart ist CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, einem der führenden Think-Tanks. Er ist Autor diverser Publikationen, u.a von «Kultmarketing», «Die Zukunft des Konsums», «Billig» sowie Referent bei Veranstaltungen in Europa, den USA und Asien. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Handel und Konsum, Management und gesellschaftlicher Wandel.


Zum GDI:
Seit über vierzig Jahren ist das Gottlieb Duttweiler Institut ein Garant für unabhängige Forschung, welche quere und unkonventionelle Denkweisen nicht nur zulässt, sondern fördert. So entstehen neue Ansätze und wegweisende Ideen. Dank weltweiter Vernetzung funktioniert das GDI als Wissensplattform, auf der wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen am Puls der Zeit erforscht, diskutiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das GDI ist ein Ort der Begegnung, ein Ort der kühnen Ideen, ein Ort der Überwindung von mentalen Grenzen.

Schreibe einen Kommentar