Der Iran vor dem Comeback?

von Gérard Al-Fil

«Die Finanzkrise?»  Bankerin Fatima N. aus Teheran schüttelt ungläubig den Kopf. «Was soll die uns schon anhaben? Der Iran hat doch 30 Jahre US-Embargo überstanden.» Tatsächlich zeigt die Islamische Republik eine bemerkenswerte Resistenz gegen Geldverknappung und Ölpreisverfall, und sie schliesst mit Russland und China einen Mega-Deal nach dem anderen. So zuletzt geschehen am 14. März, als Teheran mit einem chinesischen Konsortium einen Liefervertrag in Höhe von 2,65 Mrd. Euro (Zahlungen in Dollar akzeptiert der Iran seit 2007 nicht mehr) für Flüssig-Erdgas unterzeichnete. Die Finanzkrise könnte Washington dazu verleiten, die letzten Hemmungen gegen den Mullah-Staat zu verlieren.


Quo vadis Iran?
Wie viele Iraner feiert auch Fatima mit ihrer Familie wie zu Frühlingsbeginn üblich das Persische Neujahrfest Nowruz. Es wird gelacht, gestritten und genascht, vor allem die Süssigkeit Ghez aus Isfahan und Pistazien aus Rafsandschan. Wirklich gerne sieht das Regime das ausgelassene Treiben nicht gerade, da es auf einer uralten Tradition beruht, nicht jedoch in Zusammenhang mit der Islamischen Revolution von 1979 steht. Seit der 444 Tage währenden Besetzung der US-Botschaft 1980/81 durch iranische Studenten liegen die Beziehungen beider Länder auf Eis. Jetzt hat US-Präsident Barack Obama nach der Einladung zu direkten Gespräche mit der Regierung in Teheran einen «Neuanfang» in Aussicht gestellt. Logisch, dass an Noruwz auch über Politik diskutiert wird, und zwar nicht nur im Gottesstat, sondern auch an Orten weltweit mit bedeutenden iranischen Gemeinden wie Dubai, Hamburg oder Los Angeles («Tehrangeles»).&Dies auch, weil am kommenden 10. Juni im Iran Präsidentschaftswahlen anstehen. Knackpunkt bleibt das iranische Kernenergie-Programm, hinter dem Washington einen Deckmantel zum Bau von Nuklearwaffen vermutet. Für die Atommacht Israel würde schon der Weg zu einer iranische Bombe den Casus belli darstellen.


Washington braucht Teheran im Irak
Barack Obama weiss, dass ohne eine Zusammenarbeit mit Teheran die Lage im von den USA besetzten Irak nicht wirklich in den Griff zu bekommen ist. Der Grund: 60 Prozent der Iraker sind wie 95 Prozent der Iraner muslimische Schiiten, deren Heiligtümer unter den goldenen Kuppeln von Kerbala und Nadschad im Zweistromland liegen. Dort wird heute schon mehr die iranische Amtsprache Farsi neben dem Arabischen gesprochen. Wegen der zahlreichen Pilger aus dem Iran akzeptieren irakische Hotels und Händler längst den iranischen Rial, der das Konterfei des Staatsgründers Imam Khomeini trägt, als Zahlungsmittel. Doch während amerikanische Konzerne im Irak freien Zugang haben, ist ihnen dieser im Nachbarland Iran verwehrt.


«Schatztruhe» Iran
Geld und Aufträge braucht man ja infolge der Finanzkrise in Hülle und Fülle. Denn nicht nur Öl und Gas lagern im Iran. Auch Aluminium, Nickel, Zink, Eisen, eigentlich alles. «Der Iran ist bildlich gesprochen eine riesige Schatztruhe», sagt der iranische Ökonom Fariborz Raisdana. Die Schweiz griff Anfang 2008 beherzt zu und sicherte sich ebenfalls Gaslieferungen. Der anschliessende Druck aus Washington auf den Finanzplatz Schweiz muss auch als Retorsionsmassnahme gegen den helvetischen Alleingang mit den Mullash bewertet werden. Offiziell tätigen die Schweizer Banken keine Geschäfte mehr im Iran, obgleich vor Ort in Teheran dazu ganz andere Dinge zu hören sind. Dabei verschmähen amerikanische Konzerne keineswegs Geschäfte mit den Mullahs, wie man am Angebot von Coca Cola, Dell-Notebooks und Black & Decker-Geräten in Teheran sehen kann. Für den Fall, dass Washington das Wirtschaftsembargo fallen liesse, hat der texanische Konzern Halliburton bereits vorgesorgt: seit 2007 unterhält der Ölindustriezulieferer einen zweiten Hauptsitz in Dubai.

 

Patt am Persischen Golf
Getreu der Losung «si vis pacem para bellum» (willst du Frieden, rüste zum Krieg) hat Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad für den Fall einer militärischen Eskalation vorgesorgt. Russland lieferte offenbar allwettertaugliche Luftabwehrraketen vom Typ S-300 (NATO-Code: SA-10 «Grumble»), der laut Militärs einzig wirksamen Waffe gegen westliche Kampflugzeuge, auch wenn dessen Dislozierung in den Golfstaat nie offiziell bestätigt wurde. Im Gegenzug dürfen die Moskauer Energieriesen Gazprom und Lukoil die  Auftragslücken füllen, die Shell und Total wegen westlicher Embargodrohungen hinterliessen. Auf Teherans Strassen heisst es gar, Ahmadinedschad habe sein Reich an Putin «verkauft». Ausserdem drohten Irans Generäle mehrfach, die strategisch wichtige Zufahrststrasse von Hormuz zum Persischen Golf zu schliessen, sollten die USA oder Israel die iranischen Atomanlagen in Busher und Natanz prophylaktisch bombardieren.


Die Rückkehr des «Löwen von Damaskus»
So setzt der Westen auf Syriens Präsident Bashar Al-Assad als Vermittler, der beste Beziehungen zum Iran unterhält. Aber der «Löwe von Damaskus» verlangt seinen Sold, sprich er fordert das seit 1967 von Israel besetzte Gebirgsplateau Golan zurück. Während der scheidende israelische Ministerpräsident Olmert einem Frieden mit Syrien nicht abgeneigt war, steht sein möglicher Nachfolger Benjamin «Bibi» Netanjahu dem eher skeptisch gegenüber, auch wenn der Judenstaat, der politisch und wirtschaftlich eng mit Washington verwoben ist, sich in der «schwersten Rezession seit dessen Staatsgründung 1948» befindet, wie es Israels Zentralbankchef Stanley Fischer formuliert. So verloren beispielsweise seit Oktober 2008 sieben Prozent der 70?000 israelischen IT-Experten ihren Job. Also wird auch Tel Aviv seinen Preis für einen Deal mit Syrien einfordern. Als da wären: Sicherheitsgarantien, Ausweisung der vom Iran finanzierten Palästinenser-Gruppe Hamas aus Damaskus und ein entmilitarisiertes Grenzgebiet am See Genezarath. Am Ende könnte ein nuklearer Iran und atomares Gleichgewicht im Mittleren Osten stehen. So wie es zwischen Nato und Warschauer Pakt nach dem Zweiten Weltkrieg 40 Jahre lang funktionierte.


Schon 2007 fragte der ehemalige amerikanische US-General und für den Mittleren Osten zuständige Kommandeur John Abizaid provokativ: «Wir haben mit einer nuklearen Sowjetunion gelebt. Wir leben mit einem nuklearen Russland und einer Atommacht China. Warum sollten wir nicht mit einem nuklearen Iran leben können?» Schon trifft Irans Gegenspieler am Golf Saudi-Arabien für diesen Fall Vorkehrungen. In Riad laufen die Vorbereitungen für eine eigene Kernindustrie seit Kurzem auf Hochtouren.
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