Deutsche Telekom: Ermittler nehmen Ex-Spitze wegen Spitzelaffäre ins Visier

Die Ermittler durchsuchten auch die Zentrale von Europas grösstem Telekom-Konzern. Im Kern geht es um den Verdacht, dass die Telekom auf der Suche nach undichten Stellen Kontakte von Managern und Aufsichtsräten zu Journalisten ausgespäht haben soll. Offiziell geht es um den Vorwurf der missbräuchlichen Verwendung von Daten und der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses.


Keine Ermittlungen gegen aktuelle Vorstandsmitglieder
Gegen Telekom-Vorstandschef René Obermann, der Ricke im November 2006 abgelöst hatte, wird nach Angaben von Behördensprecher Fred Apostel nicht ermittelt. Auch andere aktuelle Vorstandsmitglieder sind nicht Gegenstand der Ermittlungen. «Wir ermitteln relativ umfassend, dazu gehören auch Vernehmungen», sagte Apostel. Bei der Durchsuchung seien alle Räume der Entscheidungsträger zugänglich gemacht worden.


«An lückenloser Aufklärung interessiert»
Telekom-Sprecher Philipp Schindera sagte am Donnerstag, dass angesichts der Schwere der Vorwürfe von einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auszugehen war. «Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir an einer lückenlosen Aufklärung interessiert sind.» Obermann hatte am Wochenende mitgeteilt, dass die Telekom bereits am 14. Mai Strafanzeige gestellt hat.


«Katastrophale Auswirkungen»
Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, ver.di- Bundesvorstand Lothar Schröder, wollte im Gespräch mit dpa-AFX nicht ausschliessen, dass neben der Auswertung von Telefondaten auch weitere Aktionen unternommen wurden, um Informationen zu sammeln. Er befürchtet für das Unternehmen einen enormen Schaden aus der Affäre: «Die Auswirkungen auf den Konzern sind katastrophal. Die Kunden sagten sich, die Daten sind bei der Telekom nicht mehr sicher.»


Aufsichtsrat und Bund der Grossaktionäre stärken Obermann den Rücken
Am Mittwochabend hatte der Aufsichtsrat der Telekom über die Affäre beraten und Obermann den Rücken gestärkt. Auch der Bund als Grossaktionär stellte sich demonstrativ vor Obermann. Der Vorstandsvorsitzende habe entschiedene Massnahmen eingeleitet, allen Vorwürfen nachzugehen und sie aufzuklären, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums. «Er hat unsere volle Unterstützung dabei.»


Erster Fall im Sommer 2007 nicht veröffentlicht
Unterdessen gerät Obermann wegen des Umgangs mit der Affäre selbst unter Druck. Die umstrittenen Bespitzelungsaktionen fielen nach bisherigen Informationen in die Amtszeit von Obermanns Vorgänger Kai-Uwe Ricke, der von Obermann im November 2006 abgelöst wurde. Ein erster Fall war nach Telekom-Darstellung bereits im Sommer 2007 ans Licht gekommen, allerdings ohne dass die Telekom darüber bereits damals Betroffene und Öffentlichkeit informierte. «Die Telekom hat die Redaktion damals nicht informiert», sagte ein Telekom-Sprecher der «Süddeutschen Zeitung» (Donnerstag). Schindera erklärte dies im ARD-Morgenmagazin mit der schwierigen Lage des Konzerns in der fraglichen Zeit: «Der Punkt damals war für uns, dass wir in einer Zeit, wo wir beispielsweise auch einen Streik hatten, wo das Unternehmen vor der Zerreissprobe war, davon Abstand genommen haben, diesen Einzelfall an die Öffentlichkeit zu bringen.»


«Capital»Redakteur bespitzelt
Das Unternehmen informierte den betroffenen Redakteur erst vor einigen Tagen, nachdem weitere Bespitzelungsfälle aufgetaucht waren. Es soll sich um den Journalisten Reinhard Kowalewsky vom Magazin «Capital» gehandelt haben, wie das Magazin bestätigte. Dieser hatte 2005 und 2006 wiederholt über Interna aus Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen berichtet. Die Sicherheitsleute der Telekom hätten vermutet, dass der Redakteur seine Informationen vom Chef des Konzernbetriebsrats, Wilhelm Wegner, erhalte, der dem Aufsichtsrat angehört. Der Fall «Capital» wurde bei der Telekom im Sommer 2007 durch einen internen Hinweis bekannt. Obermann hatte daraufhin den Chef der Sicherheitsabteilung entlassen und die Konzernsicherheit umgekrempelt.


Heftige Kritik von Gruner+Jahr
Der Vorstandsvorsitzende des Verlagshauses Gruner+Jahr, Bernd Kundrun, reagierte mit heftiger Kritik an die Adresse der Telekom: «Das Haus Gruner+Jahr mit seinen Publikationen «Capital» und «Financial Times Deutschland» ist nach heutigem Kenntnisstand Angriffspunkt von Aktionen der Deutschen Telekom gewesen, die ich bisher in unserem Lande nicht für möglich gehalten hätte», sagte Kundrun am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur dpa.


Erster Bespitzelungsauftrag bereit im Jahr 2000
Nach Informationen der «FTD» soll die Telekom bereits 2000 einen Spitzelauftrag erteilt haben, der an die Berliner Control Risks Group (CRG), eine international tätige Unternehmensberatung für Krisenmanagement und Ermittlungen, gegangen sei. Diesen Auftrag habe ein Mitarbeiter vergeben, der später zum Leiter der Telekom-Konzernsicherheit aufgestiegen sei. Unklar ist nach Angaben der Zeitung aber, in wessen Auftrag er gehandelt habe. Vorstandschef war damals Ron Sommer. (awp/mc/pg)

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