Deutscher Telekom-Prozess droht zum juristischen Monster zu werden

Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) wird vom kommenden Montag an (7. April) mit härtesten Bandagen um die Frage gestritten, ob der Verkaufsprospekt zum dritten Börsengang des ehemaligen Staatskonzern im Jahr 2000 alle relevanten Fakten enthielt oder nicht. Die Beteiligten müssen sich bei der Klärung an ein eigens für derartige Fälle geschaffenes Gesetz halten, das nach Einschätzung der Anwälte beider Seiten zahlreiche Probleme mit sich bringen kann. Bis zur Entscheidung können Jahre vergehen.


Schadenersatz für die erlittenen Kursverluste
Nach der aktuellsten Zählung der Telekom verlangen in dem Verfahren derzeit noch 16.098 Kläger Schadenersatz für die erlittenen Kursverluste der für einen Einzelpreis von 63,50 Euro ausgegebenen Aktien aus dem Bestand der bundeseigenen KfW. Die vermeintliche Volksaktie mit dem hohen Risiko notierte zwischenzeitlich schon mal auf einem Tiefststand von 8,55 Euro und hat sich bis heute nicht erholt. Der aktuelle Streitwert liegt bei 78,9 Millionen Euro, nachdem rund 1.000 Kläger ihre zusammen 12,7 Millionen Euro schweren Klagen aufgegeben haben. Die Telekom hält weiterhin daran fest, dass mit ihrem Prospekt alles in Ordnung war – von der Bewertung des eigenen Immobilienbestandes bis zu den geschäftlichen Erwartungen.


‹Das Gericht leidet›
In der ersten Runde hat das Verfahren bereits das Landgericht Frankfurt an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit gebracht. Wacker, bisweilen schon fast verzweifelt kämpfte Richter Meinrad Wösthoff gegen die von 800 Anwaltskanzleien produzierten Papierberge und war heilfroh, als er nach dem neuen Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) die zentralen Rechtsfragen dem OLG zur Entscheidung vorlegen durfte. Nach der alten Zivilprozessordnung mit Einzelfallprüfung hätten die Verfahren allein in der ersten Instanz 15 Jahre Bearbeitungszeit benötigt, schätzte Wösthoff und beklagte sich in der mündlichen Verhandlung: «Das Gericht leidet. Gerichte sind auf einen solchen Ansturm nicht eingerichtet.»


200 Seiten starker Fragenkatalog
Über Wösthoffs 200 Seiten starken Fragenkatalog wird ab April – zweieinhalb Jahre nach Einführung des KapMuG und der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht – in einem eigens angemieteten Kongresszentrum verhandelt. Theoretisch können sämtliche Kläger als Beigeladene an dem Prozess teilnehmen und über ihre Anwälte auch Fragen stellen. Für den Prozess ist ein Musterkläger bestimmt worden, ein von der Tübinger Kanzlei Tilp vertretener Rentner aus Baden-Württemberg, der mit 1,2 Millionen Euro den höchsten Klageanspruch eines Privatmanns hat und nicht ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit treten will. Um seinen Fall geht es aber ohnehin nur am Rande, Verhandlungsgegenstand sind die Fragen des Richters Wösthoff.


Verfahrensdauer unklar
Los geht es mit dem Erwerb des US-Handybetreibers Voicestream, den sich die Telekom einen guten Monat nach dem dritten Börsengang 40 Milliarden Euro kosten liess. Die Anleger vermuten, dass das in der Nachbetrachtung äusserst verlustreiche Geschäft schon während der Zeichnungsfrist eingetütet war. Gleich als ersten Zeugen hat das OLG für den dritten Verhandlungstag am 14. April den früheren Telekom- Chef Ron Sommer geladen, weitere hochrangige Manager und Spitzenbeamte folgen im engen Takt bis Ende April. Wann das Hauptthema der besonders umstrittenen Immobilienbewertung behandelt wird, ist ebenso unklar wie die mögliche Verfahrensdauer. Bis zu fünf Jahre könne es dauern, unkt der Musterklägeranwalt Andreas Tilp. Ein Vergleich kommt für die Telekom nicht in Frage, weil sie zum einen an der Richtigkeit ihres Prospektes festhält, zum anderen aber auch nie sicher sein kann, dass alle Kläger sich darauf einlassen würden. Der juristische Aufwand bliebe aber der selbe. Aus genau diesem Grund ist auch der Gang zum Bundesgerichtshof im grössten deutschen Anlegerprozess fast unumgänglich. Den Termin für eine weitere Musterklage gegen den zweiten Telekom-Börsengang im Jahr 1999 hat das OLG noch gar nicht festgelegt.


Eine Art Treppenwitz
Eine Art Treppenwitz ist in dem ganzen Verfahren der Umstand, dass das KapMuG selbst befristet ist und zum 1. November 2010 ausläuft. Das bis dahin eine rechtskräftige Entscheidung im Telekom-Verfahren gefallen sein könnte, glaubt kaum einer der Beteiligten. «Wir gehen davon aus, dass uns der Gesetzgeber dann nicht im Regen stehen lässt und nicht einfach zur alten Zivilprozessordnung zurückkehrt», meint einer der Juristen. (awp/mc/gh)

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