Deutschland: Finanzkrise trifft Wirtschaft auf breiter Front

Und auch der weitere Rückgang des ifo-Geschäftsklimaindex auf den tiefsten Stand seit fast fünfeinhalb Jahren lässt bei vielen Volkswirten die Alarmglocken schrillen. «Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich jetzt schon am Beginn einer Rezession», sagt der Konjunktur-Experte Andreas Scheuerle von der Deka-Bank.


Tiefer Pessimusmus
Besonders die Geschwindigkeit der Talfahrt und der tiefe Pessimismus vieler Unternehmen stimmen die Ökonomen besorgt. Noch nie zuvor hätten sich die Erwartungen der Firmen für das kommende Halbjahr innerhalb eines Monats so drastisch eingetrübt, sagt Scheuerle. Für Rolf Schneider, Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung der Dresdner Bank, spielen dabei auch Psychologie und Panik eine Rolle. «Durch die Finanzkrise gibt es einen globalen Schock bei den wirtschaftlichen Erwartungen», sagt der Experte.


Sinkende Investitionen erwartet
Scheuerle warnt aber davor, die Skepsis der Firmen auf die leichte Schulter zu nehmen. «Die negative Stimmung überträgt sich auf etwas Reales, nämlich die Investitionstätigkeit.» Weil viele Unternehmen ihre Kapazitäten nicht mehr ausgelastet sehen, dürften sie ihre Investitionen in den kommenden Monaten kräftig zurückfahren – mit negativen Folgen für den Arbeitsmarkt. «Die Arbeitslosigkeit wird ansteigen ab Januar», fürchtet Scheuerle, deutlich spürbar werde das wegen statistischer Effekte aber erst im Jahr 2010.


Konjunkturprognosen zwischen Stagnation und Rezession
Auch die Konjunkturprognosen bewegen sich derzeit zwischen Stagnation und Rezession. Während die führenden Wirtschaftsinstitute in ihrem Herbstgutachten zuletzt ihre Erwartungen für das kommende Jahr auf 0,2 Prozent Wachstum kräftig gekappt hatten, hält Scheuerle auch eine schrumpfende Wirtschaftsleistung in den kommenden Monaten und damit eine anhaltende Rezession für möglich. «Ich sehe im nächsten Jahr eigentlich kein positives Vorzeichen.» Auch nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) könne es länger dauern, bis sich die Weltwirtschaft erhole, gerade weil die gegenwärtigen Probleme aus einer Finanz- und Immobilienkrise entstanden seien. «Die Aufräumarbeiten werden länger dauern. Es wird eine mühsamere Erholung, wir kommen nicht so schnell wie in früheren Schwächephasen zur Tagesordnung.»


Ölpreis und sinkender Euro sind Lichtblicke
Mit Blick auf die beiden grossen Konjunktur-Risiken der vergangenen Monate, nämlich Ölpreis und Währungsentwicklung, könnten die Unternehmen derweil eigentlich auf Entspannung setzen, sagt der Konjunktur-Experte Gernot Nerb vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. Sowohl der Ölpreis als auch der Euro-Kurs setzten am Montag ihre Talfahrt der vergangenen Wochen fort, das würde eigentlich für eine Entlastung von Branchen wie der Chemie- Industrie und auf bessere Export-Chancen sprechen. Doch die Konjunktur-Lichtblicke werden durch die weltweite Nachfrage-Schwäche überlagert, sagt Nerb. Zuletzt hatte sich dies beispielsweise durch die Absatzflaute bei Autobauern wie BMW und Auftragseinbrüche bei den Lastwagen-Herstellern Volvo und Scania gezeigt.


Steuerliche Entlastungen
Um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, könnten steuerliche Entlastungen wie das Vorziehen der Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen sinnvoll sein, sagt Nerb. Auch eine vorzeitige Umsetzung von Infrastrukturprojekten, beispielsweise im Strassen- und Schienenbau hält der Konjunktur-Experte für ratsam. Allerdings sollten nur solche Projekte angegangen werden, die den Planungsprozess bereits durchlaufen hätten. Alles andere würde dagegen zu lange dauern, meint Nerb. «Völlig neue Dinge zu erfinden, halten wir nicht für gut.» (awp/mc/ps/30)

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