Deutschlands Wirtschaft verlässt das Tal der Tränen
«Der ifo-Index signalisiert tatsächlich eine Trendwende», sagt die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), Gertrud Traud. Die Talsohle sei durchschritten. Bereits in den vergangenen Monaten mehrten sich die Hoffnungszeichen. Im März legte der Auftragseingang der Industrie erstmals seit Monaten wieder um 3,7 Prozent zu und stabilisierte sich im April. Damit war zumindest der Absturz erst einmal gestoppt. «Wir haben insofern eine Trendwende, als der freie Fall der Wirtschaft als beendet angesehen werden kann», sagt der Chefvolkswirt der DekaBank, Ulrich Kater. Er rechnet im dritten Quartal mit einem leichten Wachstum der Wirtschaft.
Kein schneller Anstieg erwartet
Trotzdem warnt er vor einer allzu grossen Euphorie. Ob es bei dem Aufwärtstrend bleibe, lasse sich noch nicht absehen. «Die Hoffnung auf einen schnellen Anstieg ist nicht berechtigt.» Die Zunahme an Aufträgen in den vergangenen Wochen gebe zwar Hoffnung. Unklar sei aber, ob die neuen Aufträge einen dauerhaften Trend nach oben eingeleitet haben. Möglich sei auch ein Nachholeffekt, da die Lager vieler Firmen inzwischen leer seien. «Wir haben noch eine lange Durststrecke vor uns», prognostiziert auch BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Pfister. Auf dem Arbeitsmarkt werde sich die Krise erst in den kommenden Monaten deutlich bemerkbar machen.
Zuversicht wächst
Dass sich der ifo-Index im Juni von 84,3 Punkten auf 85,9 Punkte verbesserte, liegt ausschliesslich an der Zuversicht der Unternehmen für die Geschäftsentwicklung im nächsten halben Jahr. Hingegen stöhnen die Firmen nach wie vor über ihre derzeitige Lage. Die zuversichtlichen Erwartungen wiegen aus Sicht von Helaba- Chefvolkswirtin Traud aber schwerer als die Sicht auf die aktuelle Lage. «Der ifo-Index ist nun mal ein vorlaufender Indikator.»
Vorläufiger Indikator
Rolf Schneider, Experte beim Versicherungskonzern Allianz, sieht das genauso. Er betont, dass beim ifo-Konjunkturtest die Erwartungen bereits zum sechsten Mal gestiegen seien. «Vor einem Jahr hatten wir die umgekehrte Situation», sagt Schneider. Damals hatten die Unternehmen ihre Lage als gut eingestuft, die Erwartungen waren aber verhalten. Damit sollten sie Recht behalten: Wenige Monate später kam es zum Absturz.
Maschinenbauer stellen sich auf weitere schwere Monate ein
Die leidgeprüften deutschen Maschinenbauer hinggegen sehen noch kein Licht am Ende des Tunnels. «Wir befinden uns mitten in der Rezession, und eine Erholung ist für uns gegenwärtig noch nicht absehbar», sagte Verbandspräsident Manfred Wittenstein in Mannheim. «Darüber dürfen auch nicht die zum Teil wieder anziehenden Frühindikatoren hinwegtäuschen. Unser eigener, sehr verlässlicher Indikator, der Auftragseingang, hat noch nicht reagiert.» Erste, noch vage positive Signale kämen allenfalls aus China.
13’000 Stellen weggefallen
«Der Branche stehen schwere Monate bevor», sagte Wittenstein zur Eröffnung des Kongresses «Intelligenter Produzieren». Die aktuelle Kapazitätsauslastung liege bei gerade einmal 72 Prozent. Seit Jahresbeginn seien 13.000 Stellen weggefallen, 158.000 Menschen hätten sich im März in Kurzarbeit befunden. Laut einer Umfrage wolle jeder zweite Betrieb seine Stammbelegschaft verkleinern, erläuterte der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). «Denn wenn die Personalkapazitäten langfristig nicht ausgelastet werden, geht es ums Überleben.»
Staat soll mehr Forschungsgelder bereitstellen
Um aus der misslichen Lage herauszukommen, mahnte Wittenstein ein stärkeres Engagement des Staates an: «Die 72 Millionen Euro für die Produktionsforschung im Bundesforschungsministerium reichen jedenfalls nicht, um uns auf Weltniveau zu halten.» Rückendeckung bekommt der VDMA dabei vom Bundesverband der Deutschen Industrie. «Wer aus der Krise kommen will, muss jetzt investieren», sagte Dieter Schweer, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDI. Chancen sehen die Maschinenbauer für die Zukunft insbesondere in den sogenannten grünen Technologien, etwa in Antrieben für Elektro- und Hybridautos.
Bestellungen um 58 Prozent eingebrochen
Der lange Jahre erfolgsverwöhnte Maschinenbau gehört zu den Branchen, die am heftigsten von der Wirtschaftskrise durchgeschüttelt wurden. Im April registrierten die zumeist mittelständischen Unternehmen einen neuen Tiefpunkt. Die Bestellungen gingen binnen eines Jahres um 58 Prozent zurück – einen solch heftigen Einbruch hatte der VDMA noch nie registriert. Vor allem die ausländischen Kunden hielten sich zurück.
Produktion schrumpft
Ab Mai, so hoffte der Branchenverband bislang, sei die Talfahrt zu Ende. Für das Gesamtjahr geht der VDMA davon aus, dass die Produktion um 10 bis 20 Prozent schrumpft. Mit fast einer Millionen fest Angestellten zählt der Maschinenbau zu den grössten Arbeitgebern im Land und zu den wichtigsten Industriezweigen. (awp/mc/ps/15)