Dr. Rudolf Stämpfli, Präsident Schweiz. Arbeitgeberverband: «Wir müssen kämpfen, informieren, überzeugen»




Durch ein Versäumnis bei Moneycab erschien das Interview, das wir mit Dr. Rudolf Stämpfli, dem Präsidenten des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes führten, nicht rechtzeitig vor der Abstimmung. Da uns der Inhalt an vielen Stellen bemerkenswert erscheint und die Zeit nach der Hektik der Abstimmung eine neue Perspektive zulässt, möchten wir unseren Lesern das Interview nicht vorenthalten und entschuldigen uns bei Dr. Rudolf Stämpfli für das Versäumnis.

Moneycab: Herr Stämpfli, noch dauert es zweieinhalb Monate bis zur Abstimmung über die Personenfreizügigkeit: Wie sehen Sie die Situation heute?


Rudolf Stämpfli: Ich bin optimistisch. Das Schweizervolk entscheidet am Schluss meist sehr überlegt. Aber das passiert nicht einfach so. Wir müssen kämpfen, informieren, überzeugen. Zum Beispiel geht es ja nicht um die Personenfreizügigkeit allein, sondern die Bilateralen Verträge insgesamt stehen letztlich zur Disposition. Rein politisch ist die Situation komfortabler als bei Schengen/Dublin, auch der Wirtschaftsflügel der SVP hat sich klar für die Vorlage ausgesprochen.


Eine Umfrage der Tageszeitung «Le Matin dimanche» hat Mitte Juni ergeben, dass zu diesem Zeitpunkt eine Mehrheit der Befragten gegen das Abkommen gestimmt hätte. Macht Sie diese Ausgangslage nicht nervös?


Die angesprochene Umfrage habe ich nicht im Detail studiert. Je nach Institut und Methode können die Resultate stark variieren. Ich schätze die Ausgangslage anders ein, aber sie haben Recht. Ein «Ja» werden wir nur erreichen, wenn sich die ganze Wirtschaft, die KMU, das Gewerbe, die Tourismusbranche und die Bauern engagieren. Schlagworte genügen nicht. Die Vertreter der Wirtschaft müssen den aktiven Dialog mit der Bevölkerung suchen. Doch unsere Argumente sind gut. Jeder dritte Arbeitsplatz hängt am Austausch mit der EU. Mit den Bilateralen haben wir viel erreicht. Wollen wir sie wirklich aufs Spiel setzen?


Worauf führen Sie die eher negative Stimmung zurück? Wie sehr ist das heutige Meinungsbild geprägt von der Reaktion aus Brüssel nach dem «Ja» der Schweizer Bevölkerung zu Schengen/Dublin?


Die Reaktion von Frau Ferrero-Waldner war sicher ungeschickt und entspricht auch nicht einhellig der EU-Meinung. Zudem war in der Woche nach der Abstimmung in der Bevölkerung und den Medien eine gewisse Kampagnenmüdigkeit spürbar. Ich begreife das. Man hatte genug von der Diskussion, mit der Abstimmung glaubte man das Thema vom Tisch. Und da ist es natürlich ernüchtern, wenn es aufgewärmt wird. Das sind aber kurzfristige Effekte. Bis zum 25. September bleibt Zeit für eine seriösere Meinungsbildung.


Das Staatssekretariat für Wirtschaft seco hat am 28. Juni den Observatoriums- Bericht über die Auswirkungen des am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der Schweiz und der EU vorgelegt. Resultat: Das FZA hat in der Schweiz weder zu einer starken Zuwanderung noch zu höherer Arbeitslosigkeit geführt. Wie wichtig ist der Bericht im Hinblick auf die Abstimmung vom 25. September?


Sehr wichtig. Der Bericht zeigt, dass Befürchtungen von einer Masseneinwanderung und von Lohndumping unbegründet sind. Die Personenfreizügigkeit mit der EU funktioniert, sie wird auch mit den neuen EU-Ländern funktionieren. Die Schreckensbilder, welche von den Gegnern gezeichnet werden, halten der Realität nicht stand. Das ist wichtig.


Die Befürworter des Abkommens in Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften sind in klarer Überzahl und trotzdem in der Defensive. Was werden Sie in der verbleibenden Zeit tun, um die Wählerinnen und Wähler von einem «Ja» zum Personenverkehrs-Abkommen zu überzeugen?


Persönlich bin ich gar nicht so unglücklich darüber, dass wir mit Gegenwind starten. Auf der Befürworterseite wird dies zu einer gewaltigen Mobilisierung führen. Jeder weiss, ein «Ja» am 25. September ist nicht garantiert. Alle müssen kämpfen. Und das werden wir tun.


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Welche Hauptargumente werden Sie anführen, warum die Wählerinnen und Wähler ein «Ja» in die Urne legen sollten?


Die Schweizer Wirtschaft lebt vom Export. 60% unserer Exporte gehen in die EU. Mit den Bilateralen Verträgen haben wir verlässliche Beziehungen zur EU geschaffen. Unsere Firmen brauchen das, wenn sie konkurrenzfähig sein wollen. Diese Verträge werden nun an die neuen Mitglieder der EU angepasst. Dazu gehört die Personenfreizügigkeit, die es auch Schweizerinnen und Schweizern erlaubt im EU-Raum zu arbeiten. Ein «Ja» heisst, dass wir auch in Zukunft geregelte wirtschaftliche Beziehungen mit der EU wollen, denn davon hängen Arbeitsplätze und Wohlstand in unserem Land direkt ab. Ein «Nein» wäre ein unkalkulierbares Risiko. Wir wissen nicht, wie die EU genau reagieren würde. Was wir aber wissen ist, dass Unsicherheit Gift ist für die Wirtschaft und den Wohlstand unseres Landes.


Und wie bekämpfen Sie die Argumente der Gegner?


Wir müssen den die Stimmberechtigten davon überzeugen, dass ein «Ja» keine unkalkulierbaren Risiken mit sich bringt. Die Schweiz hat gut verhandelt, es geht um kleine Kontingente bis 2011. Die Personenfreizügigkeit mit den neune EU-Ländern wird schrittweise und kontrolliert eingeführt. Für den Kanton Schaffhausen geht es im Jahre 2006 um 13 Bewilligungen für Jahresaufenthalter aus diesen Ländern. Also wirklich nicht um eine Masseneinwanderung. Zudem müssen diese Leute einen Arbeitsvertrag haben. Es sind also Beschäftigte, die in der Schweiz gesucht sind und die man sonst auf dem Arbeitmarkt nicht findet. Sie arbeiten zudem zu Schweizer Löhnen.


Zu den flankierenden Massnahmen: Kritiker führen an, dass diese eine unnötige Verkomplizierung des sonst liberalen Schweizer Arbeitsmarktes zur Folge habe. Wie stellt sich der Arbeitgeberverband zu dieser Kritik?


Das ist nicht der Fall. Wir haben das Dossier wirklich eingehend studiert. Natürlich hat auch die Arbeitgeberseite Kompromisse gemacht. Aber einen flexiblen Arbeitsmarkt werden wir weiterhin haben. Missbräuche jedoch können mit den flankierenden Massnahmen bekämpft werden und daran haben auch die Arbeitgeber ein Interesse. Im Vergleich zu den Vorteilen, die die Bilateralen Verträge bringen, sind die Nachteile der flankierenden Massnahmen marginal.


Die Gegner der Personenfreizügigkeit argumentieren emotional und schiessen sich besonders auf die soziale Seite ein. «Sozialmissbrauch» und «Sozialtourismus» werden als Befürchtungen angeführt. Wie können Sie gegen diese offenbar in breiten Bevölkerungsschichten vorhandenen Befürchtungen angehen?


Natürlich wird man auch bei dieser Abstimmung wieder versuchen, alles zu vermischen. Letztlich bin ich aber überzeugt, dass sich die Argumente durchsetzen werden. Die Gewerkschaften kämpfen ebenfalls für die Vorlage. Sie wissen, wie wichtig der europäische Markt für die Arbeitsplätze ist. Wenn nun Schweizer Demokraten und andere Vertreter vom rechten politischen Rand kommen und sich nun plötzlich das soziale Mäntelchen umhängen, dann ist das nicht glaubwürdig. Unsere Wirtschaft kann nur dann sozial sein, wenn sie wächst. Die Vertreter der Arbeitnehmer haben das klar erkannt. Und ich bin sehr froh darüber.


Sie setzen sich sehr aktiv für ein «Ja» am 25. September ein. Wie sehr profitiert der Wirtschaftsstandort Schweiz, wenn die Abstimmung in Ihrem Sinne verläuft?


Mit den Bilateralen I und II haben wir dann die wichtigsten Bereich in den Beziehungen zur EU abgedeckt. Das ist dann wirklich eine gute Situation. Dann müssen sich die Firmen im täglichen Wettbewerb bewähren. Ich bin sicher, dass wir selbstbewusst in diesen Wettbwerb steigen können. Unsere Unternehmen haben in vielen Bereichen sehr gute Karten.


Und was wären aus Ihrer Sicht die Folgen eines «Nein»?


Wenn wir uns abschotten, ist garantiert, dass wir den Wohlstand nicht halten können. Gerade wenn wir von der Personenfreizügigkeit reden, sollten wir uns auch mal in Erinnerung rufen, dass ausländische Arbeitskräfte der Schweizer Wirtschaft immer wieder sehr wichtige Impulse gegeben haben. Denken sie nur an die Uhrmacher, die aus Frankreich kamen.


Am Arbeitgebertag haben Sie den Abstimmungskampf der Schengen/Dublin- Gegner scharf kritisiert: Es entstehe der Eindruck, tiefer könne das Niveau der Argumentation und Marktschreierei nicht sinken. Befürchten Sie ähnliche Zustände im Abstimmungskampf zur Personenfreizügigkeit?


Das Risiko besteht tatsächlich, doch führen wir zunächst die Diskussion. Wir müssen uns nicht auf die Gegner ausrichten, sondern die Argumente der Wirtschaft in ihrer ganzen Breite zeigen. Ich meine, sie sind überzeugend. Wir haben die besseren Karten, denn das Dossier stimmt. Die Schweiz hat gut verhandelt, warum sollten wir jetzt das Erreichte wieder gefährden? Die Ängste vor Lohndumping und Masseneinwanderung sind nicht berechtigt.


Letzte Frage: Es ist natürlich viel leichter, mit emotionalen Aussagen wie «Lohndrückerei», «Billigarbeiter» etc. einen Wahlkampf zu betreiben, als mit sachbezogener Argumentation. Stehen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften nicht auch unter einem gewissen Druck, ebenfalls emotionaler zu argumentieren?


Ja, das stimmt. Wenn sich aber viele engagieren, ist das auch eine Emotion. Die Bewegung und das Engagement müssen für die Bevölkerung spürbar sein. Dann sehen die Stimmberechtigten, dass es um etwas geht. Ein Nein indes ist ein Risiko, und wir stehen dann gegenüber den neuen EU-Ländern mit abgesägten Hosen da. Ich glaube wirklich nicht, dass es die Rolle der Schweiz sein sollte, das hässliche Entlein zu spielen. Wir wollen doch als kleines Land von den anderen respektiert werden. Die Amerikaner sind gross und verfügen über wirtschaftliche und militärische Macht. Sie können sich ein solches Image vielleicht noch leisten. Aber wir Schweizer sind auf die anderen angewiesen. Wir sollten uns auch über unser Image Gedanken machen. Wir brauchen Freunde.





Rudolf Stämpfli
Präsident Schweiz. Arbeitgeberverband

Zivilstand: &Verheiratet, drei Kinder
Geboren:&3. August 1955

Ausbildung:
– Matura B in Bern,
– Studium der Betriebswirtschaft und des Operations Research sowie Weiterausbildung an den Universitäten Bern, St. Gallen und Stanford (USA).
– 1985 Promotion zum Dr.oec.HSG (Universität St.Gallen).

Berufliche Tätigkeiten:
-Präsident des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes (seit 28. Juni 2003)
-Verschiedene Tätigkeiten im Bereich Informatik und Verkauf, heute Präsident des& Verwaltungsrates und Mitinhaber der Stämpfli Holding AG, Bern.
-Vorstands- und Ausschussmitglied der economiesuisse; Zentralvorstandsmitglied des Viscom, Verband für visuelle Kommunikation. Mitglied des Kleinen Burgerrates der Burgergemeinde Bern, Präsident der burgerlichen Finanzkommission; Mitglied des Verwaltungsrates der Suva.

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