Emanuel Berger, Hotel Victoria Jungfrau: Die dauernde Suche nach Perfektion

Von Helmuth Fuchs

Moneycab :Herr Berger, seit 34 Jahren sind Sie Direktor des Grand Hotel Victoria-Jungfrau. Was waren für Sie die wichtigsten Änderungen im Victoria-Jungfrau in dieser Zeit?

Emanuel Berger: Es ist schwierig, einzelne Ereignisse aus der langen Geschichte herauszulösen. Ich war den Sommer 1966 als Empfangschef im Victoria-Jungfrau und wurde 1970 aus den USA als dessen Direktor berufen. Das Wichtigste für die Entwicklung des Hauses war, dass wir den Teufelskreis von «Nicht genügend Mittel für Investitionen <-> Keine Verbesserung der Resultate» mit innovativen Lösungen durchbrechen konnten. Dies gelang uns immer wieder durch schicksalhafte Verbindungen und Beziehungen. So konnte zum Beispiel ein Jugendfreund, der kurz zuvor Assistent der Generaldirektion einer Bank wurde, die Bankdirektoren von einem Engagement überzeugen. Oder in einem anderen Fall übernahm ein Bauunternehmer für einen Teil der Umbaukosten Aktien unseres Hauses und wir konnten auf diese Weise notwendige Ausbauschritte finanzieren. Für die Weiterentwicklung des Victoria-Jungfrau waren die Umstellung auf den Ganzjahresbetrieb und die Verbindung der beiden Häuser durch die gemeinsame Eingangshalle 1992 wichtige Meilensteine.
Bei uns geschieht Alles auf der Grundlage eines organischen Wachstums. Dank einer gesunden Eigenmittelquote und unseren erzielten Gewinnen können wir auch das weitere Wachstum der Leistungen des Victoria-Jungfrau finanzieren. Das Hotel mit seinen motivierten Mitarbeitern muss als Produkt auf hohem Niveau überzeugen, jedes Jahr von Neuem. In diesem Sinne ist die Kontinuität die Grundlage für Erfolg und Veränderung.


«War früher Wellness eher mit Fitness verbunden, steht heute der therapeutische Ansatz im Vordergrund. Der Kunde will sich pflegen und verwöhnen lassen.»  Emanuel Berger, Hoteldirektor Victoria-Jungfrau



Sie bringen regelmässig das Victoria-Jungfrau mit Neuerungen auf die Spitzenplätze aller Ratings. Wäre es nicht einfacher, einmal ganz neu zu beginnen in anderer Umgebung, anstatt die Geschichte des Victoria-Jungfrau weiter zu schreiben?

Die Überlegung habe ich mir tatsächlich auch schon gemacht. Bis anhin war es jedoch so, dass ich im Victoria-Jungfrau jedes Jahr immer wieder vor herausfordernden und faszinierenden Aufgaben stand, die es zu lösen galt. Dazu kommt, dass durch den Erfolg auch die Möglichkeiten der Gestaltung zunehmen. Der Verwaltungsrat und die Mitarbeiter ermöglichen es meiner Frau und mir, im Victoria-Jungfrau neue Ideen zu integrieren. Wir haben mit unserem Produkt eine hervorragende Plattform und Ausgangslage um Neuerungen umzusetzen. Zudem haben wir mit dem Palace in Luzern sozusagen eine zusätzliche Bühne, um Neues aufzuführen. So werden zum Beispiel im Victoria-Jungfrau erfolgreich eingeführte Konzepte im Bereich Spa auch dem Palace zugute kommen. Solange die Spannung anhält wie in der Vergangenheit, werde ich dem Victoria-Jungfrau auch in Zukunft verbunden bleiben.


Nachdem die Wellness und Spa Welle den Höhepunkt erreicht und von den führenden Häusern grosse Investitionen erfordert hat, machen sich Trendforscher auf zu neuen Ufern. Wo sehen Sie die nächsten grossen Erneuerungen und Trends, welche Sie auch im Victoria-Jungfrau umsetzen möchten?

Die Wellness und Spa Welle kam in der Schweiz eher zögerlich und erst spät. Ich sehe hier noch nicht das Ende der Welle, obschon Wellness im Allgemeinen «Mainstream» geworden ist. War früher Wellness eher mit Fitness verbunden, steht heute der therapeutische Ansatz im Vordergrund. Der Kunde will sich pflegen und verwöhnen lassen. Die Wunden, die der Alltag schlägt, sollen in der luxuriösen Atmosphäre und einer entspannten Umgebung ausheilen. Der Aufenthalt selbst wird zum eigentlichen Erlebnis. In diesem Kontext ist der Preis zwar nicht unbedeutend, das Entscheidende ist aber, ob der Kunde in der kurzen Zeit, die er zu Verfügung hat, einen maximale Steigerung seines Wohlbefindens erlebt. Dieser Ansatz lässt viele Entwicklungsmöglichkeiten zu. Wir konzentrieren uns momentan darauf, unser aktuelles Angebot im Bereich Spa noch weiter auszubauen und zu verbessern.


Generell leidet die Schweizer Hotellerie an Überkapazitäten und zu wenigen Gästen. Wie sieht das im Victoria-Jungfrau aus?

Das Problem in unserem Bereich sind weniger die Überkapazitäten als die ungünstigen Rahmenbedingungen, die wir selbst nicht beeinflussen können. In erster Linie ist das der hohe Wechselkurs des Schweizer Frankens und die Reglementssdichte in der Schweiz. Das erstere können wir teilweise kompensieren, in dem wir uns auf neue Märkte konzentrieren. Das zweite, die Dichte der Vorschriften, setzt uns gegenüber ausländischen Konkurrenten, die zum Beispiel sehr viel flexibler und schneller bauen können, in eine schlechtere Position. Ganz allgemein erwarte ich Unterstützung in der Form, dass die Innovation und das Streben nach Qualität möglichst wenig behindert werden durch unnötige Vorschriften.


Wie sieht der typische Gast im Victoria-Jungfrau aus? Woher kommt er, was sucht er im Victoria Jungfrau?

Im Gegensatz zu früher, wo es eine klar ersichtliche Schicht von wohlhabenden Leuten gab, die sich einen Urlaub in erstklassiger Umgebung leisten konnte, ist heute das Bild des Gastes im Victoria-Jungfrau sehr viel diffuser. Es sind Leute, die sich etwas Besonderes leisten wollen. Sie haben nur eine limitierte Menge von Zeit, die sie aber in bester Umgebung verbringen möchten. Entscheidend in Ihrer Wahrnehmung ist also der persönliche Gegenwert, den sie durch den Aufenthalt bekommen. Somit mischen sich ganz verschiedene Gäste. Das macht auch die Werbung und das Marketing viel spannender, da es nicht mehr so klar definierte Zielgruppen gibt. Hier ist es wichtig, den Gast so zu verwöhnen, dass er immer wieder kommt, und in seinem sozialen Umfeld von seine Erfahrungen im Victoria-Jungfrau schwärmen kann. Zusätzlich zu den Individualgästen haben wir auch viele Seminarteilnehmer und Incentive-Gäste. Auch diese suchen das luxuriöse Ambiente in einer faszinierenden natürlichen Kulisse. Speziell Incentive-Reisende suchen sich dazu die ungewöhnlichsten Angebote auf der ganzen Welt.


Das Victoria-Jungfrau setzt immer wieder Massstäbe mit Neuerungen im 5-Stern-Bereich. Wie sieht die finanzielle Situation des Victoria-Jungfrau aus und woher kommen die Mittel für die beträchtlichen Investitionen?

Die finanzielle Situation unserer Unternehmung ist sehr solide (2003: Umsatz 50,7 Mio. CHF, Betriebsergebnis I 14,1 Mio. CHF, EBITDA 10,1 Mio. CHF). Wir verfügen über eine sehr gute Eigenkapitalquote und genügend Mittel, um auch anstehende Herausforderungen zu bewältigen. Wie oben schon erwähnt, finanzieren wir unser Wachstum aus unserem Hotelbetrieb.

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Die Schweizer Hotellerie kann mit den hohen Preisen nur durch Innovation und Qualität wettbewerbsfähig bleiben. Welche Ziele haben Sie mit dem Victoria-Jungfrau noch und wie gedenken Sie diese zu erreichen?

Wir wollen weiterhin für unseren Gast das Beste bieten. Dazu arbeite ich in einer Benchmarking Gruppe mit vier Kollegen der «Leading Hotels of the World» zusammen. Das gibt mir eine gute Möglichkeit, mich mit den Besten zu vergleichen und zu messen. Zusätzlich ist es eine gute Inspirationsquelle. Ich versuche immer, zu schauen, wo im Ausland jemand etwas besser macht. Das Bessere ist der Feind des Guten. In der Schweiz haben wir oftmals auch die Tendenz, uns am weniger guten zu orientieren, da man dann getrost zurücklehnen kann, im Wissen, dass man so schlecht ja gar nicht ist. Für Hotels in unserem Hochpreisland kann der Weg zum Erfolg aber nur über die Qualität und dauernde Verbesserung führen. Wir wollen den Gast überraschen können, seine Erwartungen zumindest erfüllen, besser aber noch übertreffen. So haben wir den Bereich des Badezimmers neu definiert. Das Bad wird sehr grosszügig dimensioniert und zu einer Zone des Wohlfühlens umgestaltet. Ebenso tragen wir den wachsenden Kommunikationsbedürfnissen unserer Gäste mit Wireless LAN und in Zukunft mit Breitbandanschluss Rechnung. Die grundlegenden Bedürfnisse eines Gastes werden bleiben: Schlafen und Essen. Wir sind aber immer bemüht, deren Erfüllung auf noch bessere Art zu gestalten.


Die vom Bund für den Schweizer Tourismus verfügbaren Mittel werden tendenziell eher gekürzt als aufgestockt. Welchen Einfluss hat dies auf den Erfolg Ihres Hauses und die Tourismusdestination Schweiz?

Eine sehr schwierige Frage – mit all den Nachteilen des Produktionsstandortes Schweiz. Eigentlich können und müssen wir zum grossen Teil unsere Leistung selbst erbringen, um dem Gast dennoch seinen Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis zu machen. Auf der anderen Seite wäre es natürlich sehr hilfreich, wenn gewisse Marketingaktivitäten zentral unternommen würden, um ein für uns positives Bild der Schweiz im Ausland zu vermitteln. Dem stehen aber oft die vielen Köche des Breies im Wege. Sehr viele Schichten von Tourismusförderung verwischen oft ein einheitliches Bild.
Erschwerend kommt hinzu, dass wir uns momentan in einer strukturell schwierigen Phase befinden. Früher haben zum Beispiel die Swissair zu einem guten Image beigetragen. «Swiss made» an sich war ein Qualitätsmerkmal. Das zerfällt immer mehr. Das heisst, unser Umfeld im Luxussegment verliert den Glanz. Gerade in der Hotellerie ist es aber wichtig, in einem Umfeld von konsistent hoher Qualität wahrgenommen zu werden. Die Gäste müssen auch das Umfeld des Hotels als erstklassig wahrnehmen können.
In diesem Sinne ist die Höhe des Betrages eigentlich nicht so entscheidend, jedoch das Signal, das von einer Reduktion des Betrages ausgeht. Auf der anderen Seite ist natürlich ein absolutes Muss, dass die Schweiz im Ausland als Tourismusland wahrgenommen wird. Wieviele Mittel da andere Länder einsetzen kennen wir. Vermehrt werden Produktionen der verschiednen Industrien ins Ausland verlegt. Der Tourismus wird in der Schweiz bleiben und muss auch politisch mehr Gewicht bekommen.


Wenn Sie zwei Wünsche frei haben, wie sehen diese aus?

Für das Victoria-Jungfrau wünsche ich mir wieder bessere Rahmenbedingungen und mehr Prosperität im wirtschaftlichen Umfeld. Alle sollten Alles unternehmen, um einem Gast in der Schweiz den Aufenthalt zu einem im positiven Sinne unvergesslichen Erlebnis zu machen.

Zum zweiten wünsche ich den Schweizern mehr Mut für die Zukunft. Viele Leute sehen, dass es uns nicht mehr so gut geht wie auch schon, tun aber nichts dagegen. Hier wünschte ich mir einen positiveren Geist, um gemeinsam Lösungen zu finden und Einzelinteressen hintanzustellen. Statt Neid und Frustration Freude am gemeinsamen Erfolg.





Der Gesprächspartner
Geboren 6. Juni 1941
Bürger von Niederurnen GL und Salez SG, aufgewachsen in Niederurnen GL

Handelsdiplom SKV
Diplom Ecole Hôtelière SSH Lausanne
Unternehmer-Seminar SHV
Abschluss dipl. Hotelier-Restaurateur SHV
Stipendium
«School of Hotel Administration»
Cornell University, Ithaca NY

Praktika und Stellen
in führenden Luxushotels in der Schweiz,
England, Nordafrika und USA

seit Oktober 1970:
Direktor des Grand Hotels
VICTORIA-JUNGFRAU AG, Interlaken

seit 1986:
Delegierter des Verwaltungsrates
Grand Hotel VICTORIA-JUNGFRAU AG
Interlaken
Palace Hotel Luzern AG

Verwaltungsrat:
Hotel Widder, Zürich
Palace Hotel Luzern
Ecole Hôtelière Lausanne

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