von Gérard Al-Fil
Herr Bertarelli, Sie haben sich als Titelverteidiger mit ihrem Team Alinghi für das noch wenig bekannte Scheichtum Ras al-Khaima als Austragungsort für den 33. America?s Cup im Februar 2010 entschieden. Stand das Emirat Dubai auch zur Auswahl, wo sie im Winter 2006/2007 vor Ihrem Sieg beim 32. America?s Cup trainierten?
Es ehrt uns, dass wir mit dem neuen Austragungsort als Idee individuell in Verbindung gebracht werden. Dabei stammt die Idee, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) den America?s Cup zu veranstalten, gar nicht von uns. Vielmehr war es die Vision des Teams Neuseeland, das von der staatlichen Fluggesellschaft aus Dubai, der Emirates Airline, gesponsert wird. Das Team Neuseeland formulierte einmal als Ziel, dass wenn es den Cup gewinnen würde, die prestigeträchtigste Segel-Regatta der Welt in die VAE verlegen wolle. Neben der Alinghi trainierte damals übrigens auch das Team Schweden vor der Küste der Golf-Emirate. Der Segelsport hat sich in diesem Teil der Welt in den letzten Jahren sehr gut entwickelt. Regattas sind hier keine Ausnahme, sondern die Regel.
Sie sind am vergangenen Freitag zu Ihrer Equipe hinzugestossen. Wie gestaltet sich fortan der Trainingsalltag im Team Alinghi?
Oh, es gibt noch viel zu tun. Unser Boot Alinghi 5 ist ja brandneu und wir müssen noch viel damit trainieren und es besser kennenlernen. Es ist wirklich hightech, eine extreme «Segel-Maschine». Wir müssen das Verhalten des Bootes bei verschiedenen Bedingungen studieren. Gestern war es recht windig. Wir haben weniger Segelfläche als BMW Oracle, so dass es für uns gestern etwas zu windig war.
Ihr Herausforderer BMW Oracle aus den USA um deren Chef Larry Ellison hat Anfang Oktober in New York erneut eine Klage eingereicht. Er will die Verlegung des Rennens von Ras al-Khaima nach Valencia gerichtlich erzwingen. Wie gehen Sie damit um?
Wie auf der Pressekonferenz erwähnt, fühle ich mich immer, wenn ich die Medienmitteilungen von BMW Oracle lese, an einen Hollywood-Trailer erinnert. Dies ist jetzt Klage Nummer sieben, die Rechtsstreitigkeiten ziehen sich seit über 20 Monate hin. Es sind jetzt noch drei Klagen hängig. Ich appelliere deshalb an Larry Ellison und sein Team: lasst uns den Wettkampf endlich auf dem Wasser austragen. BMW Oracle war ja schon hier in Ras al-Khaima. Das Team verschiffte sogar seine Container in den Hafen des Al Hamra Beach Resort. Einen Tag nachdem sie die Klage eingereicht hatten, packten die Amerikaner überraschenderweise zusammen und zogen ab.
Es heisst, BMW Oracle beanstande die Nähe des Austragunsgsortes zum Iran?
Ja, so argumentiert die Gegenseite tatsächlich. Dabei werden wir uns während der Regatta ausschliesslich in den Hoheitsgewässern der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) bewegen, zu denen das Scheichtum Ras al-Khaima gehört. Das Argument der fehlenden Sicherheit ist aus zweierlei Sicht nicht nachvollziehbar. Durch den Persischen Golf fliessen 40 Prozent des globalen Erdölkonsums. Ausserdem ist der Nahe Osten die wirtschaftlich am schnellsten wachsende Region der Welt. Gerade die Golfstaaten VAE, Kuwait, Katar und Bahrain sind in den letzten 10 Jahren so stark gewachsen wie kaum eine andere Region…
… und internationale Wettkämpfe finden in den VAE laufend statt.
Richtig. In drei Wochen startet zum Beispiel in Abu Dhabi, der Hauptstadt der VAE, der erste Formel-1 Grand Prix in dem Golfstaat. Glaubt man bei BMW Oracle eigentlich, wir seien kleine Kinder? Gäbe es ein Sicherheitsmanko, dann würde man an Europas Tankstellen viel mehr für den Liter Benzin bezahlen als heute. Das Argument der Unsicherheit ist Unsinn. Ich habe selber sechs Jahre in den USA gelebt. Die Staaten stehen in meinen Augen für Freiheit und Demokratie. Dem amerikanischen Präsidenten wurde jetzt der Friedensnobelpreis zugesprochen. Ich finde aber auch: Wenn man wirklich Frieden will, sollte man nicht nur Kampfflugzeuge und Soldaten um die Welt schicken, sondern auch Sportler. Dafür steht der Geist des America?s-Cup-Matches. Für den friedlichen und freundschaftlichen Wettkampf zwischen den Nationen. Deshalb laden wir Larry Ellison und sein Team ein, das Rennen hier am Golf zu bestreiten, um für Freundschaft und Vertrauen zwischen den Völkern zu werben.
Nun wird Ihnen, der Alinghi, unter der Hand vorgeworden, Ras al-Khaima deshalb gewählt zu haben, weil die hier vergleichsweise ruhigen Gewässer für den neuen Katamaran Alinghi 5 günstiger sind?
Das Regelwerk für den America?s Cup ist 150 Jahre alt und beschreibt sehr klar, wie die Teilnehmer ihr Boot gestalten dürfen. Ebenso ist festgelegt, dass der Titelverteidiger den Ort des America?s Cup bestimmen darf. Wir haben uns für 2007 für Valencia entschieden, weil wir 2003 den Cup zum ersten Mal gewonnen haben. Nach unserer Titelverteidigung haben wir jetzt das Emirat Ras al-Khaima gewählt. Die Bedingungen hier am Persischen Golf unterscheiden sich im Februar, wenn die Regatta stattfinden soll, nicht gross von jenen am Mittelmeer im Sommer. Die Segelbedingungen sind perfekt. Merkwürdig ist, dass BMW Oracle beim letzten Mal schon Valencia beanstandet hat. Jetzt will BMW Oracle plötzlich zurück nach Spanien und das Duell wieder in Valencia austragen.
Zerrt das ständige Tauziehen nicht an den Nerven der Equipe?
Das Team ist hoch motiviert. Wir schätzen uns glücklich mit einem Boot wie diesem segeln zu können. Das Wetter ist toll, wir haben es hier sonnig und finden am Hafen ein optimales Umfeld vor. Das sind die Aspekte, die alle motivieren, zum Team Alinghi dazu zugehören. Wir lieben den Wettkampf und hoffen, dass der Cup wie geplant im Februar 2010 startet. Aber wir können die Amerikaner nicht zwingen, hierherzukommen, wenn sie nicht kommen wollen.
Meiden Sie aufgrund der Differenzen mit ihrem Herausforderer Produkte von BMW oder von Oracle?
Ich fahre weiterhin BMW. Und ich nutze Software von Oracle.
Herr Bertarelli, vielen Dank für das Gespräch.
Ernesto Bertarelli, 44, besuchte das Babson College in Boston und später die Harvard Business School, wo er seinen MBA erwarb. Von seinem Vater erbte er das Biotechnolgie-Unternehmen Serono in Genf und gilt mit einem Familienvermögen von geschätzten 10 bis 11 Mrd. Franken als der reichste Schweizer. Im September 2006 verkaufte die Familie Bertarelli Serono an die deutsche Merck KgaA in Darmstadt.
Seit seiner frühesten Kindheit ist der in Rom geborene Bertarelli Segel-Fan und hat an Wettkämpfen auf dem Meer und auf dem Genfersee teilgenommen. 1998 gewann er den Sardinia Cup, fünfmal die Bol d’Or (1997, 2000, 2001, 2002 und 2003) und 1999 beendete er das Fastnet Race als Dritter. 1999 baute Bertarelli zudem einen der schnellsten und radikalsten Katamarane der Welt für Binnengewässer. 2001 gewann er als Crewmitglied die 12M-Weltmeisterschaften und den Swedish Match Cup 2002 in Marstrand sowie 2001 die Farr-40-Weltmeisterschaften als Steuermann. Bertarelli, der schweizerisch-italienischer Doppelbürger ist, verfolgte unermüdlich seinen Traum am America’s Cup teilzunehmen und die begehrteste Seglertrophäe auch zu gewinnen. Er erreichte sein Ziel in den Jahren 2003 in Auckland, Neuseeland, und beim 32. America?s Cup 2007 in Valencia.
Ab dem 8. Februar 2010 wollen Milliardär Bertarelli und sein Team ihren Titel im Scheichtum Ras al-Khaima im Golfstaat VAE erneut verteidigen. In der jüngsten Vergangenheit musste der Pharma-Erbe einige Rückschlage einstecken. Die UBS AG sprang als Hauptsponsor ab. Von 2004 bis 2008 steuerte die zweitgrösste Schweizer Bank insgesamt 47,9 Mio. Franken zum Alinghi-Budget bei. Die UBS, aus deren Verwaltungsrat Bertarelli im April 2009 dieses Jahres ausschied, begründete ihren Rückzug mit dem juristischen Tauziehen zwischen Alinghi und Kontrahent BMW Oracle, das sich nunmehr seit über 20 Monaten wegen immer neuer Klagen hinzieht. Die jüngste Klage der Amerikaner hat zum Ziel, den 33. America?s Cup vom Persischen Golf nach Valencia zu verlegen. Einziges Sponsor-Logo auf dem Segel des neuen Katamarans Alinghi 5 ist derzeit der Luxesuhrenhersteller Hublot. Die Aktie des Pharmaunternehmens Santhera, an der die Familie Bertarelli 15 Prozent hält, stürzte im Mai dieses Jahres ab.
Bertarelli ist mit einer ehemaligen Miss Grossbritannien verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt im Berner Oberland.