von Christa Spoerle
Herr Tanner, man könnte doch meinen, dass in Krisenzeiten Schokolade ein Tröster ist. Kann Lindt& Sprüngli mit einem Umsatzrückgang gegenüber dem Vorjahr um 5,4% im ersten Halbjahr da zufrieden sein?
Die zum Teil erhebliche Abschwächung von wichtigen Währungen wie Euro, britisches Pfund und andere haben den Umsatz in Schweizer Franken negativ beeinflusst. Organisch sind wir aber leicht gewachsen, und, was noch wichtiger ist, wir haben in vielen Ländern Marktanteile hinzu gewonnen. Dies in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit zunehmend verhaltener Konsumentenstimmung. Insofern können wir mit der Umsatzleistung zufrieden sein. Insgesamt sind wir mit Blick auf die anlässlich der Präsentation des Jahresabschlusses 2008 bekannt gegebenen Zielsetzungen auf Kurs.
Sie sprechen von Marktanteilsgewinnen, wie kamen die zustande?
In den ersten Monaten des Jahres haben die Handelspartner, die vermehrt mit Liquiditätsengpässen konfrontiert waren, sehr zurückhaltend disponiert und ihre Lagerbestände abgebaut. Das hat dazu geführt, dass mehr Lindt Schokolade an die Konsumentinnen und Konsumenten abverkauft als in den Handel hineinverkauft wurde ? und dies hat wiederum zu Marktanteilsgewinnen für uns geführt.
Was halten Sie für die grösste Herausforderung von Lindt& Sprüngli in den kommenden beiden Jahren?
Im mittleren Qualitäts- und Preissegment wird es Schokoladeunternehmen geben, die möglicherweise nicht den erforderlich langen Atem haben, um die Konsequenzen der Wirtschaftskrise auf längere Zeit zu überstehen. Wir haben eine starke Marke, den finanziellen Rückhalt und die nötige Kompetenz, um an unserem erfolgreichen Premium-Geschäftsmodell festzuhalten, das auf Qualität, Markenpflege und Innovation beruht. Gerade vor einem wirtschaftlich schwierigen Hintergrund sehen wir eine zusätzliche Chance, mit erhöhten Marketinginvestitionen unsere Premium-Positionierung zu stärken und unsere Marke weltweit noch breiter und fester zu verankern. Wir wollen optimal gerüstet sein, um vom kommenden Aufschwung zu profitieren. Aus diesem Grunde steht in diesem und im nächsten Jahr der Gewinn von zusätzlichen Marktanteilen stärker im Fokus als die Gewinnmaximierung.
Wie stark beeinflussen die Notierungen für Kakao ihr Ergebnis? Können Sie einen Teil der Kostensteigerungen auf die Konsumenten überwälzen?
Das anhaltend hohe Preisniveau sowie die zum Teil unvorhersehbare Volatilität bei den Kakaonotierungen, aber auch die Entwicklung der Devisenkurse haben natürlich einen direkten Einfluss auf das Ergebnis. Auch wir müssen diese Faktoren teilweise unseren Kunden weiter geben. Im Moment sind wir aber angesichts der misslichen Wirtschaftslage mit Preiserhöhungen eher etwas zurückhaltend und werden alles daran setzen, wenigstens einen Teil der erhöhten Rohstoffkosten über ein noch weiter optimiertes Kostenmanagement und über Effizienzsteigerungen im Produktionsbereich zu kompensieren. Eines steht aber grundsätzlich fest: Lindt Schokolade ist als edles Qualitätsprodukt im oberen Premium-Segment angesiedelt. An dieser Positionierung werden wir weiterhin konsequent und kompromisslos festhalten. Es steht ausser Frage, in den momentan immer aggressiver werdenden Preiswettbewerb einzusteigen und so das hohe Image und die anerkannte Qualität von Lindt sozusagen zu «verramschen».
«Wir wollen optimal gerüstet sein, um vom kommenden Aufschwung zu profitieren. Aus diesem Grunde steht in diesem und im nächsten Jahr der Gewinn von zusätzlichen Marktanteilen stärker im Fokus als die Gewinnmaximierung».
Lindt besitzt 6 Produktionsstätten in Europa und 2 in den USA. Produzieren Sie da jeweils für bestimmte Märkte oder produzieren Sie bestimmte Produkte an bestimmten Standorten? Könnten Sie sich neue Produktionsstandorte beispielsweise in Asien oder Südamerika vorstellen?
Als Anbieter von Premium-Schokolade wollen wir auch den spezifisch lokalen Erwartungen, Bedürfnissen und Vorlieben der Konsumentinnen und Konsumenten entsprechen. Indem wir sehr gezielt in Konsum- und Marktforschung investieren, gelingt es uns, die von Land zu Land verschiedenen Geschmäcker der Schokoladeliebhaber sehr genau zu ermitteln. Neben bewährten, jahrelang beliebten Rezepturen, die überall Anklang finden, entwickeln und produzieren wir deshalb an unseren diversen Produktionsstandorten neue, innovative Produkte speziell für die einzelnen Märkte. Das macht auch Sinn aus der Sicht eines vernünftigen Umgangs mit den Umweltressourcen: Die Transportwege in die verschiedenen Märkte sind kürzer, der Energieverbrauch tiefer, die Umweltbelastung geringer.
Was die Produktion in Ländern wie Asien oder Südamerika anbelangt sind wir der Meinung, dass die infrastrukturellen und logistischen Bedingungen vor Ort unseren hohen Qualitätsstandards vorläufig nicht vollumfänglich genügen. Auch das personelle Know-how auf breiter Basis ist lokal schwer zu finden. Märkte wie Brasilien, China oder Indien weisen zwar ein dynamisches Wachstum auf, haben jedoch keine ausgeprägte Schokoladetradition. Gerade in diesen Regionen ist ausserdem das Schweizer Herkunftsprädikat im Bereich Schokolade sehr wichtig. Hier gilt es vorerst, Schritt für Schritt ein Premium-Segment zu erschliessen, indem wir den Menschen den Genuss der Lindt Qualität näher bringen. Wir sind überzeugt, das Markenimage und die Kompetenz zu haben, um uns langfristig auch in solchen Märkten als die Referenzmarke im Premium-Schokoladebereich zu etablieren.
Wie hat sich die Nachfrage nach ihren Premium-Produkten nach Regionen entwickelt? Wo zeigen sich Schwächen und Stärken?
Unsere traditionellen Hauptmärkte befinden sich in Europa, in den letzten Jahren haben wir Nordamerika erobert. Als grösster Schokolademarkt der Welt waren die USA bis vor rund 15 Jahren nichts als ein weisser Fleck auf der Lindt-Landkarte: Mit einem Umsatz von rund 30 Millionen Franken waren wir kaum präsent, unsere Marke praktisch unbekannt. Ein enormes Potenzial lag ungenutzt brach. Diesen riesigen Markt haben wir mit unserem erfolgreichen Ladenkonzept von Null auf erschlossen, in kürzester Zeit die Marke Lindt landesweit bekannt gemacht und gleichzeitig ein Premium-Schokoladesegment aufgebaut, in welchem wir heute mit Lindt und Ghirarldelli die am schnellsten wachsenden Marken stellen. In Kanada haben wir praktisch gleichzeitig und ebenso erfolgreich eine eigene Organisation gegründet, so dass Nordamerika heute mit über 600 Millionen Dollar im Jahr 2008 zum grössten Umsatzträger der Gruppe avanciert ist. Und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Auch in den traditionellen, eher gesättigten europäischen Markten gelingt es uns, stetig zu wachsen und Marktanteile hinzu zu gewinnen. Enorme Fortschritte wurden in Grossbritannien, dem grössten Schokolademarkt Europas, erzielt, wo wir inzwischen einen Jahresumsatz von rund 150 Millionen Franken erzielen. Grosse Chancen sehen wir zudem in aufstrebenden osteuropäischen Märkten, wo wir inzwischen auch mit eigenen Organisationen, beispielsweise in Polen, Russland oder Tschechien, vertreten sind. Last but not least ist unsere Erfolgsgeschichte in Australien, einem anderen, ehemalig weissen Fleck auf der Lindt-Landkarte, erwähnenswert. Dort haben wir vor rund zehn Jahren eine eigene Firma aufgebaut und sind dank jährlich hohen Wachstumsraten inzwischen zum Inbegriff von Premium-Schokolade geworden. Ich bin stolz sagen zu dürfen, dass es uns gelungen ist, innerhalb der letzten 15 Jahre Lindt als globale Premium-Marke weltweit zu etablieren, fest zu verankern und Jahr für Jahr profitables Wachstum zu generieren.
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Wie entwickeln sich die Verkäufe in den Outlet Malls und die Rentabilität in den USA?
Wie schon anlässlich der Präsentation des Jahresabschlusses im März dieses Jahres angekündigt, haben wir uns für eine Restrukturierung und Neupositionierung unseres US-Ladenkonzepts entschlossen. Man könnte sagen, dass dieses Konzept inzwischen seinem eigenen Erfolg zum Opfer fiel. Es hat nämlich so gut funktioniert, einerseits in Bezug auf den schnellen Aufbau einer landesweiten Markenbekanntheit und andererseits hinsichtlich der erzielten Synergieeffekte im Bereich des lokalen und nationalen Detailhandels, wo inzwischen zwei Drittel unseres Umsatzes generiert werden, dass heute in vielen Einkaufszentren neben unseren eigenen Boutiquen noch drei bis vier andere Verkaufspunkte Lindt Produkte führen.
Eine Reduktion der Anzahl unserer doch ziemlich kostenintensiven Läden drängte sich also mehr und mehr auf, zumal die Besucherzahlen in den grossen «Malls» aufgrund der aufkommenden Rezession Ende letzten Jahres markant zurück gingen. Wir haben deshalb unser Ladenportfolio neu überdacht und werden die Anzahl unserer Standorte bis auf rund 25 Läden mit Fokus auf profitable Outlet Malls und Flagship Stores an prominenter Lage reduzieren. 14 haben wir schon im ersten Halbjahr geschlossen, weitere ca. 55 Ladenschliessungen werden bis Anfang nächsten Jahres folgen. Wir setzen immer noch ganz stark auf den Nordamerikanischen Markt, wo für uns im Premium-Bereich weiterhin sehr viel Wachstumspotenzial besteht. Deshalb investieren wir auch ganz bewusst in unseren Produktionsstandort an der Ostküste.
Könnten Sie sich denn vorstellen, ein Segment ausserhalb des Premium-Bereichs zu führen?
Diese Frage stellt sich für uns nicht. Mit unserer Premium Qualität und unseren starken Imagewerten waren wir schon immer im Premium-Bereich positioniert und werden diese Strategie kompromisslos weiter führen.
«Das Wichtigste ist, dass wir aus eigener Kraft bestehende Märkte weiter ausbauen und neue Märkte erschliessen können und dass wir auch ohne Akquisitionen profitables Wachstum generieren können».
Setzt sich der Trend zur dunklen Schokolade fort? Welche Ihrer Neuheiten halten Sie für die erfolgversprechendsten?
Ja, dieser Trend ist ungebrochen. Auch wenn sich das rasante Entwicklung im Bereich der Schokolade mit hochprozentigem Kakaogehalt etwas verlangsamt hat, so ist das Wachstum in diesem Segment immer noch überproportional. Und gerade in diesem Bereich besitzt Lindt schon seit jeher ? man könnte sogar sagen, seit der Erfindung der ersten zartschmelzenden Schokolade der Welt durch Rodolphe Lindt im Jahre 1879 ? die marktführende Kompetenz. Hervorragende schwarze Schokolade herzustellen ist sehr kostenintensiv und verlangt viel Know-how und Erfahrung. Nur wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, verbunden mit den höchsten Standards in der Wahl der Rohstoffe, wird schwarze Schokolade erst zu einem echten Genusserlebnis.
Kreativität ist das andere Standbein von Lindt & Sprüngli. Wir entwickeln laufend neue Produkte, echte Innovationen, die dem aktuellen Zeitgeist und den neuesten Konsum- und Geschmacktrends entsprechen. Wir wissen, dass die Konsumentinnen und Konsumenten immer anspruchsvoller werden und etwas Besonderes von Lindt erwarten. Deshalb erforschen wir auch kontinuierlich und mit professionellen Methoden ihre Präferenzen. Als Beispiel kann ich eine der letzten revolutionären Innovationen nennen, die von unseren Maîtres Chocolatiers sozusagen mit Luft und Liebe kreiert wurden: die Mousse au Chocolat Tafeln und Pralinés. Um der Mousse-Füllung die einzigartige Luftigkeit zu verleihen, musste sogar eine neue, hausinterne Technologie entwickelt werden. Die Projektphase für diese neuen Kreationen war entsprechend lang. Der Perfektionismus unserer Maîtres hat sich aber gelohnt, denn das Resultat ist wirklich herausragend.
Ihre Nettoliquiditätssituation ist komfortabel, kommen denn auch Akquisitionen infrage? Oder dürfen sich die Aktionäre auf ein Aktienrückkaufprogramm einstellen?
Wir haben immer gesagt, dass wir jede Opportuniät, die den perfekten «Fit» zu unserer Premium Philosophie darstellt und zum Verkauf steht, anschauen. Mit der Akquisition von Caffarel in der Nähe von Turin im Jahr 1997 und von Ghirardelli in San Francisco im Jahr 1998 haben wir gleich zwei Mal die Chance ergriffen, um unser Markenportfolio perfekt zu ergänzen. Solche Chancen sind aber extrem selten. Es kommt für uns nicht in Frage, durch Akquisitionen einfach nur Umsatz einzukaufen. Wir bleiben aber natürlich wachsam und offen. Das Wichtigste ist, dass wir aus eigener Kraft bestehende Märkte weiter ausbauen und neue Märkte erschliessen können und dass wir auch ohne Akquisitionen profitables Wachstum generieren können. Was einen eventuellen Aktienrückkauf anbelangt, verfolgen wir die Situation natürlich auch sehr genau. Es sind jedoch zur Zeit keine Entscheidungen in dieser Hinsicht gefallen.
Aktiensplit und Einheitsaktie sind bei Ihnen immer ein Thema,: Wann könnten Sie sich denn einen konkreten Schritt dazu vorstellen?
Da kann ich nur wiederholen, was ich immer sage: Vor dem letzten Aktiensplit im Verhältnis eins zu fünf im Jahr 2000 belief sich der Aktienkurs auf über 40’000 Franken. Wenn wir diese Marke wieder erreicht ist, können Sie mir diese Frage wieder stellen…..
Welches ist Ihr Lieblingsprodukt aus dem Hause Lindt?
Wenn ich Lust auf zart schmelzende Schokolade habe, nehme ich LINDOR Kugeln, wenn mir nach etwas «zum Beissen» ist, dann greife ich zu unseren einmaligen «Les Grandes» Tafeln, diejenigen mit dem höchsten Nussanteil. Natürlich versuche ich aber auch immer all unsere neuen Kreationen, die auf den Markt kommen.
Zur Person:
Ernst Tanner, Jahrgang 1946, hat nach einer kaufmännischen Ausbildung in der Schweiz in Amerika an den Columbia, Harvard und Duke Universitäten studiert. Er ist Schweizer Bürger, von Bargen, Schaffhausen, verheiratet und Vater eines Sohnes. . Sein Amt als Direktionspräsident der Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli AG sowie als Vize-Präsident am trat er am 1. März 1993 an. Anlässlich der Generalversammlung vom 21. April 1994 wurde er zum Präsidenten des Verwaltungsrates gewählt. Bevor er seine Aufgabe bei Lindt & Sprüngli übernahm, war er während über 25 Jahren beim amerikanischen Konzern Johnson & Johnson tätig, , zuletzt in der Funktion als Company Group Chairman,. Tanner ist seit 2002 Mitglied des Verwaltungsrates der Crédit Suisse Group und seit 1995 Mitglied des Verwaltungsrates der Swatch Group
Zum Unternehmen:
Die Chocoladenfabriken Lindt & Sprüngli produziert seit 1845 Schokolade und Confiserie in der oberen Preis- und Qualitätsklasse. Die Aktien des Unternehmens sind seit 1986 an der SIX kotiert. Vertrieben werden die Produkte in über 80 Ländern. Zielgruppe sind die Endkonsumenten. Das Unternehmen verfügt über 8 Produktionsstätten, davon 6 in Europa und 2 in den USA: Event-Produkte zu Anlässen wie Weihnachten oder Ostern sind ein wichtiges Standbein.. Mit 7712 Mitarbeitern erzielte Lindt 2008 einen Umsatz von 2937 Mio CHF.