Mit freundlicher Genehmigung von Daniel Binswanger und « Das Magazin «.
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Im Verlauf der Weltgeschichte, zumindest der jüngeren, ist Alles eine schlichte Frage des Geldes, sagt der englische Historiker Niall Ferguson. Es kommt jedoch nicht nur darauf an, wer mehr davon hat. Genauso wichtig ist, wie die Geldwirtschaft eines Landes organisiert ist, auf welcher Grundlage zum Beispiel der Wert von Münzen oder Scheinen beruht. Entscheidend ist, wie das Kredit- und das Bankenwesen gestaltet sind. Welche Organisationsformen für Wirtschaftsbetriebe eine bestimmte Epoche entwickelt hat. Entscheidend ist das Finanzsystem. So sind die Vereinigten Staaten von Amerika auch heute noch die bei weitem stärkste Militärmacht und das reichste Land der Welt.
Das US-Bankensystem erweist sich aber ? wie wir so unsanft entdeckt haben ? als vollkommen marode. Das Kreditwesen ist ausser Rand und Band. Sowohl der Staat als auch die Firmen als auch die Privathaushalte sind viel zu hoch verschuldet. Was dies langfristig für Konsequenzen habe, darüber könne man vorerst nur spekulieren, meint Ferguson. Doch die Möglichkeit bestehe längerfristig durchaus, dass sich das Zentrum der Welt von Nordamerika nach Asien verlagere.
«Zu den faszinierenden Aspekten der heutigen Krise gehört ja, dass eigentlich niemand sie vorausgesehen hat, auch nicht so hochintelligente, hochkritische Ökonomen wie etwa Paul Krugman. Es gab vielleicht Nassim Taleb und Nouriel Roubini. Aber Taleb ist kein Ökonom, sondern ein ehemaliger Trader und egozentrischer Querdenker. Roubini ist ein völliger Aussenseiter in der Riege der akademischen Volkswirtschaftler. Wir alle wurden kalt erwischt.» Niall Ferguson
Wenn die besten Köpfe eines Landes sich nicht mehr damit befassen, wie man Computer baut, sondern nur noch damit, wie man den Bau von Computern finanziert
Der Reichtum, den die Welt wirklich erwirtschaftet, ist nur noch ein Bruchteil dessen, was sie auf die eine oder andere Weise in ihren Büchern stehen hat. Entsprechend hat sich auch die institutionelle Struktur der Finanzwelt verändert: Im Jahr 1990 gab es weltweit 610 Hedge Funds. Ende 2006 betrug ihre Zahl schon knapp 10 000. Auch die Personalbestände sind dorthin gewandert, wo sich das Kapital so gewaltig konzentriert hat. 1970 gingen 5 Prozent aller männlichen Harvard-Abgänger in die Finanzindustrie. Im Jahr 2007 lag die Zahl bei 20 Prozent. Ein immer substanziellerer Teil der akademischen Eliten verschreibt sich der Finanzwissenschaft. Wer die bisherigen Verdienstmöglichkeiten in der Bankenwelt mit den Gehältern in irgendeinem anderen Wirtschaftszweig vergleicht, der weiss weshalb. Aber ist es sinnvoll, wenn die besten Köpfe eines Landes sich nicht mehr damit befassen, wie man Computer baut, sondern nur noch damit, wie man den Bau von Computern finanziert?
«Man kann es auf eine einfache Formel bringen: zu viel Mathematik, zu wenig Geschichte. Das Problem besteht nicht nur darin, dass zunehmend mit komplexen, mathematischen Modellen hantiert wird, die keine Menschenseele mehr versteht. Das Problem ist, dass niemand mehr bereit scheint, aus historischer Erfahrung zu lernen. Nicht einmal aus der eigenen.»
«Die heutige Lage ist bizarr», sagt der Historiker. «Die Banken werden teilverstaatlicht ? und in der Folge dazu gezwungen, über Obligationenaufkäufe staatliche Schulden zu finanzieren. Das geschieht jetzt gerade in England. Das letzte Mal hatten wir so etwas hier während des Zweiten Weltkriegs. Auf diesem Weg werden öffentliche Schulden durch privates Kapital übernommen. Wir steuern auf eine Kriegswirtschaft ohne Krieg zu. Eine verrückte Situation.»
Makroökonomisches Echtzeitexperiment
Die Bausparkassenderegulierung erzeugte eine Immobilienblase, die Mitte der Achtzigerjahre platzte und das amerikanische System der Hypothekenfinanzierung in die Krise stürzte. Zwischen 1986 und 1995 musste der US-Steuerzahler 124 Milliarden Dollar zur Rettung der Bausparer aufbringen, etwa 3 Prozent des BIP. Die «Savings & Loan»-Pleite war die kostspieligste amerikanische Finanzkrise seit der Grossen Depression ? bis man nur gut zehn Jahre nach ihrer Bewältigung in ein Immobiliendesaster gelaufen ist, dessen strukturelle Gründe identisch, dessen Dimensionen aber um ein X-faches grösser sind. Und was wird jetzt geschehen? «Die Immobilienkrise war ein amerikanisches Problem, aber die Finanzkrise betrifft die ganze Welt», sagt Ferguson. «Die europäischen Banken waren genauso unsolid wie die amerikanischen. Im Moment veranstalten wir ein makroökonomisches Echtzeitexperiment: Einerseits wird der Weltwirtschaft eine monetaristische Radikalkur verschrieben, die Notenbanken stellen massiv Liquidität zur Verfügung. Andererseits greift man zum keynesianischen Mittel der Konjunkturbelebung durch öffentliche Investitionen. Ob die Kombination dieser beiden heterogenen Strategien erfolgreich sein kann, ist offen. So etwas wurde noch nie versucht.»
Die USA steckten zwar tiefer im Schlamassel als Europa, aber er mache sich dennoch grössere Sorgen um den alten Kontinent. Amerika habe immer wieder bewiesen, dass es in Notsituationen entschlossen handeln und Krisen überwinden könne. Den Europäern hingegen mangle es an politischer Einigkeit, an schonungsloser Selbstkritik, an der Fähigkeit zu harten Schnitten. Er halte ein japanisches Szenario ? das heisst eine Wachstumskrise von mindestens fünf Jahren ? in Europa für wahrscheinlich.
Niall Ferguson
ist der Star unter Englands Historikern. Obwohl erst Mitte vierzig, hat er bereits acht Monografien veröffentlicht, darunter eine mehrbändige Geschichte der Rothschild-Dynastie und eine Geschichte der Finanzpolitik moderner Staaten. Regelmässig ist er als Kommentator der Wirtschaftslage in der «Financial Times» präsent. Für BBC produziert er Dokumentarfilme. Jetzt legt Ferguson eine voluminöse Studie zu einem aktuellen Thema vor: «Der Aufstieg des Geldes. Die harte Währung der Geschichte».
Das Buch
Niall Ferguson: «Der Aufstieg des Geldes ? die harte Währung der Geschichte», Econ-Verlag, ab März 2009
Niall Fergusons neues Buch geht von einer schlichten Arbeitshypothese aus: Dass «hinter jedem entscheidenden Ereignis der Weltgeschichte ein finanzielles Geheimnis steckt». Er betrachtet die Geschichte des Abendlandes, und insbesondere die Geschichte der westlichen Welt seit der Renaissance als einen Evolutionsprozess der Finanzsysteme.