Expansion mit Gegenwind: Für die Deutsche Börse wird Zeit knapp

Für den Chef der Deutschen Börse, Werner Seifert, wird die Zeit langsam knapp. Denn mit jedem Tag kommen neue Spekulationen auf, und es regt sich mehr Widerstand gegen eine Übernahme – nicht nur aus London, sondern auch aus dem eigenen Lager.

Zweiter Übernahmeversuch
Im Jahr 2000, als die Deutsche Börse schon einmal drauf und dran war, mit der LSE zu fusionieren, machte Seifert bereits ausgiebig Bekanntschaft mit den Eitelkeiten, die die Akteure in der Londoner «City» auszeichnen. Jeden Morgen fahren Banker, Händler und Makler mit dem Bewusstsein ins Büro, im wichtigsten europäischen Finanzzentrum zu arbeiten. Zumindest nach aussen hin darf keine Fusion dieses Gefühl in Frage stellen – schliesslich ist der bis in das Jahr 1698 zurückreichende Handelsplatz eines der Sym bole des Bankenplatzes.

Britische Eitelkeiten
Doch diesmal hat es Seifert nicht nur mit Eitelkeiten, sondern auch mit nüchternen Gewinn- und Verlustrechnungen zu tun – und zwar denen seiner eigenen Aktionäre. Vor vier Jahren war die Deutsche Börse noch nicht selbst börsennotiert. Heute verfügt sie über eine breit gestreute Schar von Investoren mit den unterschiedlichsten Interessen. Einige von ihnen mögen eher den kurzfristigen Erfolg im Auge haben, und ihnen ist der Preis, der für die LSE wohl bezahlt werden muss, schlicht zu hoch. Am Wochenende meldeten sich erstmals britische und amerikanische Investmentfonds mit lautstarker Kritik an den Übernahmeplänen zu Wort.

Konkurrenzkampf mit Euronext

Der Konkurrenzkampf mit der Vierländerbörse Euronext treibt den Kaufpreis für die LSE in die Höhe. Seit November ist der Aktienkurs von 3,50 Pfund auf 6,00 Pfund in die Höhe geschnellt. Einige Analysten hatten schon die erste, inoffizielle Offerte der Deutschen Börse in Höhe von 5,30 Pfund als zu hoch eingestuft. Am Montag gab der Aufsichtsrat grünes Licht für ein Barangebot, das möglicherweise sogar höher liegen wird. Dann könnte es Jahre dauern, bis sich der Kauf wirklich rechnet, argumentieren die aufmüpfigen Aktionäre der Deutschen Börse.

Unsichere Synergieeffekte einer Fusion
Die Unsicherheit, wann ein konkretes Angebot vorgelegt wird und wie hoch die Synergieeffekte einer Fusion ausfallen würden, schafft Raum für Mutmassungen und lockt neue Spekulanten an. «Die Aktie der Deutschen Börse ist momentan ein Zockerpapier», stellt Dieter Hein vom unabhängigen Analysehaus fairesearch fest.

Stratege der globalen Neuordnung
Börsenchef Seifert gilt als Stratege, der die globale Neuordnung der Handelsplätze im Blick hat. Zwar hat sich die Branchenlandschaft in den vergangenen Jahren unter kräftigem Mitwirken der Deutschen Börse bereits radikal verändert, doch Seiferts Perspektive ist stets die mittlere und lange Sicht. Eitelkeiten und kurzfristige Anlagestrategien, vermuten Branchenkenner, passen weniger in sein Weltbild.

Eigene Karriere auf dem Spiel
Diesmal aber muss der Pfeifenraucher und Orgelspieler alle Interessen unter einen Hut bringen – nicht zu vergessen die der nationalen Kartellbehörden. Ein diplomatischer Drahtseilakt also, bei dem auch Seiferts eigene Karriere auf dem Spiel steht. (awp/mc/mad)

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