EY: Beginn des Strukturwandels bei Banken – Kosten und Effizienz im Fokus
Zürich – Die Schweizer Finanzbranche wird von einem fundamentalen Strukturwandel erfasst: 87 Prozent der in einer Studie von EY befragten Banken in der Schweiz erwarten umwälzende Veränderungen in der Wertschöpfungskette. Gleichzeitig sind die Margen im traditionellen Bankgeschäft unter Druck, die sinkende Profitabilität wird zu einem grundlegenden Problem. 92 Prozent der 120 Institute, die für das EY Bankenbarometer 2017 befragt worden sind, rechnen mit weiter sinkenden Renditen. Auf diese Herausforderungen reagieren die Banken bislang mit herkömmlichen Massnahmen zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung. Eine Priorisierung der Neuausrichtung ihrer Strategie, Geschäftsmodelle und Prozesse auf Basis der sich verändernden Kundenbedürfnisse ist noch nicht gegeben.
Trotz Strukturwandel und Profitabilitätsproblemen beurteilt der Grossteil der Schweizer Banken die Geschäftsentwicklung weiterhin positiv. 80 Prozent (im Vorjahr 81 Prozent) haben in den letzten zwölf Monaten gemäss eigenen Angaben gute operative Ergebnisse erzielt, 68 Prozent (im Vorjahr 75 Prozent) rechnen im laufenden Jahr weiterhin mit guten Resultaten. «Das überwiegend positive Urteil der Schweizer Banken überrascht, ist die Branche doch mit vielfältigen, teilweise fundamentalen Herausforderungen konfrontiert», sagt Patrick Schwaller, Managing Partner Assurance, Financial Services, bei EY Schweiz. «Bis jetzt zeigen die Banken eine relativ hohe Widerstandsfähigkeit. Dennoch ist ein beunruhigender Gegentrend zu erkennen: Ein Drittel der befragten Banken schätzt den künftigen Geschäftsverlauf zunehmend negativ ein, einige rechnen mit markanten Einbussen.»
Weitreichende Konsequenzen der Negativzinsen
Die Negativzinsen setzen den Banken zu: 95 Prozent beobachten im anhaltenden Tiefzinsumfeld gravierende Konsequenzen. Die Profitabilität wird geschmälert, es kommt zu langfristigen Problemen bei den Vorsorgesystemen und zu einem steigenden Risiko der Blasenbildung bei mehreren Anlageklassen. «Zu beachten ist, dass Negativzinsen nicht nur die Ertragschancen schmälern, sondern auch den Steuerungsimpuls für den Produktionsfaktor Kapital verzerren. Dies kann zu Fehlallokationen von Kapital und Liquidität führen – mit heute noch nicht absehbaren langfristigen Folgen», warnt Olaf Toepfer, Leiter Banking bei EY Schweiz.
35 Prozent (im Vorjahr 30 Prozent) der Schweizer Banken planen die Einführung von Negativzinsen im Privatkundengeschäft, dies aber nur ab einem bestimmten Guthaben, oder falls die Nationalbank die Zinsen weiter senken sollte. Bei den Kantonalbanken erwägen bereits 60 Prozent (im Vorjahr 20 Prozent) einen solchen Schritt. «Bis heute haben erst wenige Banken in der Schweiz Negativzinsen im Privatkundengeschäft eingeführt. Ein Grund für die Zurückhaltung ist die Befürchtung, die Kunden mit Negativzinsen zum Abzug ihrer Gelder zu bewegen. Der Gesinnungswandel der Kantonalbanken zeigt jedoch, dass die Bereitschaft vieler Institute schwindet, die durch die Negativzinsen verursachten Mehrkosten alleine zu tragen», sagt Schwaller.
Gesamtes Potenzial der Digitalisierung noch nicht erkannt
Die Digitalisierung treibt den Strukturwandel voran. Bis heute erkennt jedoch nur eine Minderheit der Schweizer Banken das gesamte Potenzial der Digitalisierung. 64 Prozent (im Vorjahr 67 Prozent) sind der Meinung, dass ihr Geschäft im Kern bestehen bleibt und die Digitalisierung in erster Linie einen zusätzlichen Vertriebskanal darstellt. «Wir sehen heute nur die Spitze des Eisbergs: Die Digitalisierung wird fundamentale Auswirkungen auf Strategien, Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse haben. Dabei geht es nicht nur um die Ergänzung der Distributionskanäle, sondern um grundlegende Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kundenschnittstelle und der Kooperation in Wertschöpfungsnetzwerken. Die Digitalisierung erleichtert branchenfremden Konkurrenten den Markteintritt und kann die bereits seit Jahren sinkende Loyalität der Kunden weiter schwächen», sagt Toepfer.
Branchenfremde Konkurrenz ist eine Realität
Branchenfremde Konkurrenten beginnen, die Schweizer Banken unter Druck zu setzen. Über zwei Drittel der Institute rechnen damit, dass ihre Marktstellung durch neue Technologien, IT-Unternehmen und branchenfremde Anbieter bedroht wird. «Lange Zeit haben die Banken die Gefahr durch branchenfremde Konkurrenten nicht ernst genommen. Die Realität ist eine andere: Erste branchenfremde Anbieter erscheinen auf dem Markt und treten für ausgewählte Komponenten der Wertschöpfungskette der Banken in den Wettbewerb. Die technologische Entwicklung und zu erwartende regulatorische Anforderungen beim Open Banking erleichtern den Markteintritt. Dadurch steigt der Wettbewerbsdruck und die Margen sinken weiter», sagt Schwaller.
Personalabbau und Filialschliessungen werden im Strukturwandel nicht genügen
Das verschärfte strukturelle Profitabilitätsproblem sowie der beginnende Strukturwandel zwingen die Banken dazu, den Fokus noch stärker auf Kosten und Effizienz zu legen. Diese Themen haben für die befragten Institute im laufenden Jahr die grösste Bedeutung, nachdem über viele Jahre Risiko und Regulierung im Vordergrund standen. Verbesserungen versuchen die Banken unter anderem durch herkömmliche Massnahmen, über den Abbau von Personal und durch die Straffung des Filialnetzes zu erreichen: 15 Prozent (im Vorjahr 11 Prozent) der Banken planen, die Zahl der Beschäftigten um 5 Prozent oder mehr zu reduzieren; bei den Privatbanken, die vom Strukturwandel besonders stark erfasst werden, sind es sogar 26 Prozent (im Vorjahr 10 Prozent). Gleichzeitig rechnen 95 Prozent (im Vorjahr 85 Prozent) der befragten Institute damit, dass es bis zum Jahr 2020 deutlich weniger Bankfilialen geben wird; zwischen 2000 und 2015 sind bereits rund 640 Niederlassungen geschlossen worden.
«Strategische und operative Effizienzverbesserungen sind nötig, wenn die Banken ihre Handlungsoptionen aufrechterhalten wollen. Taktische Massnahmen zur Kostensenkung hingegen werden keine nachhaltige Effizienzsteigerung ermöglichen. Um die Effizienz nachhaltig zu verbessern, sind strukturelle Anpassungen am Geschäftsmodell der Schlüssel. Dabei gilt es, die Konzepte der Industrialisierung auf die eigene Wertschöpfungskette anzuwenden und Chancen des Wandels zu nutzen: Die Banken werden mit der Effizienzsteigerung die Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle finanzieren müssen», sagt Toepfer.
Vermögensabflüsse mit Neugeldern kompensiert
Trotz der bevorstehenden Umsetzung des Automatischen Informationsaustauschs (AIA) haben 71 Prozent (im Vorjahr 66 Prozent) der befragten Institute in den letzten zwölf Monaten keine bedeutenden Abflüsse ausländischer Kundengelder verzeichnet. Eine deutliche Entspannung ist bei den Privatbanken zu beobachten: 74 Prozent (im Vorjahr 53 Prozent) melden keine nennenswerten Abflüsse ausländischer Vermögen. «Den Banken gelingt es weiterhin, neue Vermögenswerte anzuziehen. Dabei profitieren sie davon, dass die Vermögen weltweit wachsen und sich die Standortvorteile der Schweiz – Stabilität und Sicherheit – vermarkten lassen. Allerdings werfen die neu verwalteten Vermögen oft geringere Erträge ab als in der Vergangenheit», so Schwaller.
Expansivere Kreditvergabepolitik
Die Banken wollen das Kreditgeschäft weiterentwickeln: 66 Prozent (im Vorjahr 55 Prozent erwarten für die nächsten zwölf Monate eine gleich bleibende oder expansivere Kreditvergabe. Dies ist der höchste Wert seit fünf Jahren und betrifft sowohl die KMU- als auch die Wohnbaufinanzierung. Im aktuellen Umfeld hat das Kreditgeschäft gegenüber dem unter geringem Transaktionsvolumen leidenden Handels- und Anlagegeschäft an Attraktivität gewonnen.
Ungeachtet der tiefen Zinsen halten die Banken an den aktuellen Regeln zur Vergabe von Hypothekarkrediten fest. 85 Prozent der Institute lehnen es ab, den kalkulatorischen Hypothekarzinssatz, auf dessen Grundlage die Tragbarkeit des Erwerbs von Wohneigentum berechnet wird, anzupassen. «Eine Senkung des kalkulatorischen Hypothekarzinssatzes ist derzeit nicht mehrheitsfähig und wird von verschiedenen Instituten wie auch vom Regulator abgelehnt. Die Banken tragen damit dazu bei, einer Blase im Immobiliensektor vorzubeugen, und sichern sich gleichzeitig gegen Ausfälle bei langfristig steigenden Zinsen ab», sagt Toepfer. (EY/mc/ps)
Informationen zur Studie
Das EY Bankenbarometer basiert auf der Befragung von 120 Führungskräften (Mitglieder der Geschäftsleitung) von verschiedenen Banken in der ganzen Schweiz. Auch die Schweizer Einheiten der zwei Grossbanken wurden befragt; ihre Einschätzungen sind in die generellen Auswertungen eingeflossen, wurden aber in den Auswertungen nach Bankentyp nicht berücksichtigt. Bei 34 Prozent der befragten Institute handelt es sich um Regionalbanken, bei 27 Prozent um Privatbanken, bei 23 Prozent um Auslandsbanken und bei 16 Prozent um Kantonalbanken. 74 Prozent der Institute stammen aus der Deutschschweiz, 19 Prozent aus der Westschweiz und 7 Prozent aus dem Tessin. Die telefonische Befragung wurde im November 2016 im Auftrag von EY durch das unabhängige Marktforschungsinstitut Valid Research in Bielefeld durchgeführt.
Über die globale EY-Organisation
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