Die jüngsten Konjunkturdaten hätten die EZB in ihrer Einschätzung bestärkt. Volkswirte sehen in seinen Äusserungen wenig Neuigkeiten. Lediglich seinev Warnungen vor exzessiven Wechselkursschwankungen fielen deutlicher aus als zuvor. An den Finanzmärkten geriet der Euro etwas unter Druck. Zuletzt hätte es Anzeichen für eine fortgesetzte Stabilisierung der wirtschaftlichen Aktivität gegeben, sagte Trichet. Die Wirtschaft dürfte vor allem von einer Erholung der Exporte, den makroökonomischen Stabilisierungen und den Massnahmen zur Stabilisierung des Finanzsystem profitieren. Zudem dürfte sich auch der Lagerzyklus positiv auf die Konjunkturentwicklung auswirken. «Die Unsicherheit bleibt ungewöhnlich hoch, und die Erholung wird holprig verlaufen», sagte Trichet.
Inflationserwartungen im Rahmen der EZB-Zielvorstellungen
Die Inflationsrate dürfte in den kommenden Monaten wieder ins positive Territorium drehen, erwartet Trichet. Die derzeit negativen Inflationsraten seien vor allem durch Basiseffekte ausgelöst worden. Mittelfristig blieben die Inflationserwartungen fest verankert und seien im Rahmen der Zielvorstellungen der EZB. Die EZB strebt eine Inflationsrate von unter, aber nahe zwei Prozent an. «Gedämpft wird die Preisentwicklung vor allem durch die schwache wirtschaftliche Entwicklung», sagte Trichet. Auch die moderate Entwicklung der Geldmengen- und Kreditaggregate deute auf einen verhaltenen Preisdruck hin. Die schwache Inflationsentwicklung dürfte die Kaufkraft der Haushalte stützen. Die solide Verankerung der Inflationserwartungen habe auch deflationäre Risiken gemindert.
«Keine wesentlich neuen Botschaften»
Die Neuigkeiten zur Geldpolitik der Notenbank halten sich laut DekaBank in engen Grenzen. «EZB-Chef Trichet hat heute keine wesentlich neuen Botschaften an die Märkte gesendet», sagte DekaBank-Experte Karsten Junius. So habe Trichet das Zinsniveau als nach wie vor «angemessen» bezeichnet und eine konjunkturelle Erholung konstatiert. «Diese Aussagen waren zu erwarten, es gab keine grossen Überraschungen.» Laut Michael Schubert, EZB-Experte bei der Commerzbank, hat es zumindest in Bezug auf die erwartete «holprige» Erholung der Wirtschaft eine leichte Änderung in der Formulierung gegeben. So habe Trichet nun nicht mehr von einer «sehr graduellen» Erholung, sondern nur noch von einer «graduellen» Erholung gesprochen. Die Commerzbank erwartet eine Leitzinserhöhung erst ab Mitte 2010.
Warnung vor extremen Wechselkursschwankungen
Auf Nachfrage von Journalisten warnte Trichet zudem vor extremen Wechselkursschwankungen: «Starke Schwankungen und ungeordnete Bewegungen der Wechselkurse haben schädliche Folgen für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität.» Das Bekenntnis der US-Offiziellen zu einem starken Dollar sei in diesem Umfeld extrem wichtig. Die EZB werde die Wechselkursbewegungen genau beobachten und gegebenenfalls kooperieren. Man stimme bei Wechselkursfragen auf beiden Seiten den Atlantiks überein, sagte Trichet. Der Euro hatte zuletzt gegenüber dem Dollar deutlich aufgewertet. Die frühere US-Haltung, wonach der «Dollar unsere Währung und euer Problem ist», habe nichts mehr mit den aktuellen Umständen zu tun. Die EZB werde auch künftig nicht für eine weitergehende internationale Nutzung des Euro werben, beispielsweise als Handelswährung im Rohstoffhandel.
Aufwertung des Euro zum Dollar Anlass zur Sorge
Ein noch stärkerer Euro würde nach Einschätzung der Postbank eine rasche Kurskorrektur der EZB noch unwahrscheinlicher als ohnehin machen. «Ein weiter aufwertender Euro könnte die von der EZB nur sehr moderat erwartete Konjunkturerholung gefährden», heisst es in einer Studie. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet habe in Venedig durchblicken lassen, dass eine Aufwertung des Euro zum Dollar durchaus Anlass zur Sorge gebe.
Bank of England belässt Leitzins wie erwartet bei 0,5 Prozent
Auch die britische Notenbank hat ihren Leitzins wie erwartet unverändert belassen. Der Leitzins liege weiterhin auf dem historischen Rekordtief von 0,5 Prozent, teilte die Bank of England (BoE) in London mit. Volkswirte hatten mit dieser Entscheidung einhellig gerechnet. Bereits im März hatte die BoE den Leitzins auf das jetzige Rekordtief gesenkt und ähnlich wie die US-Notenbank den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen beschlossen. (awp/mc/ps/17)