EZB kündigt Zinserhöhung an

«Nach zweieinhalb Jahren historisch niedriger Zinsen denke ich, dass wir bereit sind zu einer Entscheidung», sagte der Notenbank-Chef auf dem «European Banking Congress» in Frankfurt. Eine Anhebung des seit Juni 2003 unverändert bei 2,0 Prozent verharrenden Leitzinses würde zwar einen Teil der für die Wirtschaft günstigen Umstände beseitigen. Die Geldpolitik werde aber weiterhin zu Wachstum und mehr Beschäftigung in der Eurozone beitragen, versicherte Trichet.


Mit Anhebung der Leitzinsen gerechnet
Der EZB-Rat kommt Anfang Dezember zu seiner nächsten Sitzung zusammen. Volkswirte zeigten sich überraschend von der klaren Aussage und dem Zeitpunkt. Einige von ihnen rechneten mit einer Anhebung der Leitzinsen zum nächsten Termin, andere erwarteten jedoch erst 2006 eine Erhöhung. Nun gehen die Ökonomen davon aus, dass der wichtigste Leitzins zunächst um 0,25 Prozentpunkte auf 2,25 Prozent steigen wird, eine weitere Erhöhung aber erst in einigen Monaten folgt.


Börse reagierte mit deutlichen Kursabschlägen
Die Börse reagierte mit deutlichen Kursabschlägen auf Trichets Äusserungen. Der Deutsche Aktienindex (DAX) gab zeitweise um fast 50 Zähler ab, hielt sich aber im Plus. Durch Zinserhöhungen wird es für Unternehmen teurer, neue Kredite aufzunehmen. Der Eurokurs kletterte bis auf 1,1794 Dollar und damit auf den höchsten Stand seit mehr als einer Woche. Am Rentenmarkt gaben die Kurse kräftig nach, während die Renditen deutlich stiegen.


Spekulationen an den Märkten unterbunden
Der zinsgebende EZB-Rat hat sich nach Einschätzung des Europa-Chefvolkswirtes der Deutschen Bank, Thomas Mayer, offenbar bei seinem Treffen am Donnerstag auf die erste Zinserhöhung seit fünf Jahren verständigt. «Dann ist es nur konsequent, das auch klar zu signalisieren», sagte Mayer der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. Andernfalls würden Äusserungen einzelner EZB-Ratsmitglieder zur Geldpolitik wieder Spekulationen an den Märkten auslösen. «Dem hat Trichet jetzt den Wind aus den Segeln genommen. Er hat eine klare Vorgabe gemacht.»


Eine klare Akündigung
Klarer hätte die EZB auch nach Einschätzung der WestLB eine Zinserhöhung nicht ankündigen können. «Wahrscheinlich hat das Anspringen des Konjunkturmotors den Befürwortern einer raschen Zinserhöhung im EZB-Rat Auftrieb gegeben und den Gegnern den letzten Wind aus den Segeln genommen», so die WestLB.


Die erste Anpassung Trichet’s
Trichet hat sich bisher mit eindeutigen Ankündigungen zurückgehalten und stets die vorsichtigen Umschreibungen der Notenbanker genutzt. Zuletzt war von «grosser Wachsamkeit» der EZB mit Blick auf die gestiegenen Inflationsrisiken die Rede. Trichet hatte sein Amt im November 2003 angetreten und bisher noch kein einziges Mal die Leitzinsen angepasst. Die Ankündigung am Freitag machte der Franzose während einer Podiumsdiskussion mit internationalen Bankern und dem Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Rodrigo de Rato.


Vom Zeitpunkt überrascht
«Wenn die EZB jetzt noch einen Rückzieher machen würde, wäre das nur sehr schwer verständlich», meinte Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert. Vom Zeitpunkt der Ankündigung zeigte er sich etwas überrascht. Er habe erwartet, dass die Notenbank erst die aktuellen Prognosen ihrer Experten für die Teuerungsrate 2006 und 2007 abwartet. Im Oktober hatte die Inflation vor allem wegen der hohen Ölpreise bei 2,5 Prozent gelegen. Schubert vermutet, dass der Preisanstieg in der Eurozone gemäss den neuen Vorhersagen in den beiden kommenden Jahren über der Warnschwelle von zwei Prozent liegen wird.


Erhöhung mit symbolischer Wirkung
Volkswirt Karsten Junius von der Deka-Bank rechnet damit, dass die EZB die Zinsen zunächst um einen Viertelprozentpunkt erhöhen und dann einige Monate abwarten wird. Einen weiteren Schritt erwartet er für März. Damit würde sich die EZB deutlich von der Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Fed abheben, die die Zinsen Monat für Monat angehoben hatte. Die Erhöhung der EZB könnte im Gegensatz dazu vor allem «symbolische Wirkung» haben, meinte Junius. Sie sollten zeigen, dass die Notenbank die Inflationsgefahren einzudämmen versuche, gleichzeitig aber die moderate wirtschaftliche Erholung nicht gefährden wolle.


Keine Empfehlung mehr seitens de Rato
IWF-Chef de Rato hatte zuvor in Frankfurt das Zinsniveau in der Eurozone als angemessen bezeichnet, aber nicht mehr von einer Zinserhöhung abgeraten. «Die geldpolitischen Bedingungen stützen das Wachstum in der Eurozone», sagte de Rato am Freitag nach einem Treffen mit Trichet. Rato gab auf Nachfrage keine Empfehlung zur Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) ab. Vor zwei Wochen hatte er noch von einer Zinserhöhung abgeraten.(awp/mc/ab)

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