EZB: Trichet ruft zu Vernunft auf
«Jüngste Daten belegen, dass sich die wirtschaftlichen Aktivitäten im Euro-Raum abschwächen», schreibt die Notenbank in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Monatsbericht. Zugleich rief EZB-Präsident Jean-Claude Trichet nach der abgestimmten Leitzinssenkung die Akteure an den Finanzmärkten zur Vernunft auf. «Wir können den Märkten sagen, dass wir wieder die Kontrolle über die mittelfristige Preisstabilität haben», sagte Trichet am Mittwochabend im französischen Fernsehen. Daher sei die substanzielle Zinssenkung möglich geworden. Die Marktteilnehmer seien «höchst aufgewühlt». «Wir sagen ihnen: Nehmt wieder Vernunft an. Es gibt Vertrauenselemente.»
Leitzinssenkung
Die EZB hatte zuvor im Kampf gegen eine Weltrezession gemeinsam mit fünf anderen führenden Notenbanken der Welt den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte gesenkt. Der wichtigste Zins zur Versorgung der Kreditwirtschaft liegt derzeit bei 3,75 Prozent, Volkswirte erwarten weitere Zinssenkungen bis zum Jahresende. Niedrigere Zinsen verbilligen Kredite für Firmen und Verbraucher und können die Wirtschaft ankurbeln. Die Inflationsgefahren, die die EZB bislang von einer Zinssenkung abgehalten hatten, sind laut Notenbank wegen sinkender Ölpreise und der schwächeren Konjunktur weniger geworden.
Absage an Augenblicksentscheide
Die Lage an den Finanzmärkten sieht die EZB von «aussergewöhnlich hoher Unsicherheit» geprägt. Die Wirkung der Zinssenkung dürfe nicht an der unmittelbaren Reaktion der Börsen gemessen werden, sagte Trichet weiter. «Wir arbeiten nicht daran, die Augenblicksentscheidungen zu beeinflussen, sondern wir wollen das verlorene Vertrauen wieder herstellen.»
Weitere Massnahmen zur Entspannung an den Geldmärkten
Die Europäische Zentralbank will neben der Zinssenkung auch mit weiteren zinspolitischen Änderungen für eine Entspannung an den Geldmärkten sorgen. Wie die Notenbank am Mittwochabend mitteilte, sollen vom 15. Oktober an Hauptrefinanzierungsgeschäfte mit einem festen Zinssatz, dem aktuellen Leitzins, durchgeführt werden. Bisher war der Leitzins ein Mindestbietungssatz. Der tatsächliche Zins lag wegen der aktuellen Verspannungen am Geldmarkt deutlich über diesem Wert. Die Änderungen sollen so lange wie nötig gelten. Ziel sei es, die kurzfristigen Zinsen so weit wie möglich dem Leitzins anzunähern.
Abstand zu Spitzenrefinanzierungsfazilität reduziert
Die EZB reduzierte zudem den Abstand zu einem anderen Leitzins, der so genannten Spitzenrefinanzierungsfazilität, von 1,00 auf 0,50 Prozentpunkte. Der aktuelle Satz wird also von derzeit 4,75 auf 4,25 Prozent gesenkt. Über die Spitzenrefinanzierungsfazilität können sich Geschäftsbanken über Nacht Geld bei der EZB beschaffen. Gleichzeitig verringerte die EZB den Abstand zum Leitzins für kurzfristige Einlagen der Geschäftsbanken von 1,00 auf 0,50 Prozentpunkte. Damit steigt der Satz von derzeit 2,75 auf 3,25 Prozent.
Teure EZB
Die bei der EZB gehaltenen Einlagen und getätigten Ausleihungen blieben nach den Änderungen auch am Donnerstag trotz eines Rückgangs weiter auf hohem Niveau. Am 8. Oktober seien rund 39,83 (Vortag: 49,5) Milliarden Euro angelegt worden, teilte die EZB mit. Die Banken liehen sich zugleich rund 14,51 (18,17) Milliarden Euro. Das zeigt die Spannungen an den Geldmärkten. Generell meiden die Banken die Möglichkeit, direkt bei der EZB über Nacht Einlagen oder Ausleihungen zu tätigen, da die Zinssätze für diese Geschäfte ungünstig sind. (awp/mc/ps/16)