Als sicher gilt, dass die EZB angesichts des anhaltenden niedrigen Preisdrucks und der fortdauernden Wachstumschwäche die Leitzinsen auf ihrer Sitzung am Donnerstag (2. Juni) unverändert belassen wird. Der Leitzins liegt seit Juni 2003 unverändert bei 2,00 Prozent.
Euro für Wachstumsschwäche verantwortlich
Mit Spannung erwartet wird zudem, ob sich EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sich zu der jüngsten deutschen Diskussion zur Währungsunion äussern wird. Laut einem Pressebericht wurde im Finanzministerium die Einführung des Euro für die anhaltende Wachstumsschwäche in Deutschland verantrwortlich gemacht. Laut einem Pressebericht wurde in einer vertraulichen Runde mit Finanzminister Hans Eichel (SPD) und Bundesbankpräsident Axel Weber in der vergangenen Woche sogar über ein mögliches Scheitern der Währungsunion diskutiert. Sprecher von Eichel und Weber bezeichneten die Diskussion als «absurd».
Zinssenkung sinnvoll
Das Münchner ifo Institut hält eine Zinssenkung für sinnvoll. Die anhal tende Konjunkturschwäche in der Eurozone rechtfertige einen solchen Schritt, sagte EZB-Experte des ifo Instituts, Timo Wollmershäuser. Seit Jahresbeginn trübten sich die Konjunkturindikatoren erneut ein. Auch die EZB dürfte am Donnerstag erneut ihre Konjunkturerwartungen nach unten revidieren. «Der Trend zeigt nach unten», sagte der Experte. Zudem drohten von Inflationsseite keinerlei Risiken. «Auch das hohe Geldmengenwachstum ist zurzeit keine Gefahr für Preisstabilität», sagte Wollmershäuser. Die Geldmenge M3 wachse bereits seit längerem stärker als von der EZB erwartet, ohne sich auf die Preise durchzuschlagen. Dass die EZB tatsächlich die Zinsen senken wird, erwartet der Experte jedoch nicht. Die EZB dürfte jedoch auf Grund ihrer Zwei-Säulen-Strategie ihren Leitzins unverändert belassen, erwartet Wollmershäuser. Ansonsten käme die EZB in ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Bessere Aussichten
Die Commerzbank sieht jedoch weiterhin im Dezember 2005 eine Leitzinserhöhung. Eine Zinssenkung macht nach Einschätzung von Volkswirt Christoph Balz auch keinen Sinn, da fast alle Konjunkturbeobachter im Jahr 2006 ein Wirtschaftswachstum in der Nähe des Potenzialwachstums erwarten. So prognostiziert die Commerzbank für das kommende Jahr ein Wachstum von 1,8 Prozent und die OECD von 2,0 Prozent. «Die Wirtschaftsaussichten sind jedoch deutlich besser als im Jahr 2006», sagte Balz. Die EZB dürft e nach Einschätzung von Balz ihre sehr expansive Geldpolitik zurückfahren, sobald sich eine Konjunkturerholung deutlich abzeichnet.
Keine Leitzinserhöhung erwartet
Die DekaBank erwartet hingegen im laufenden Jahr keine weitere Leitzinserhöhung. Erst im Juni 2006 sei mit einer Zinserhöhung zu rechnen, bisher hatte die DekaBank im Dezember 2005 mit einer Erhöhung gerechnet. «Es ist davon auszugehen, dass die gegenwärtige Leitzinssdiskussion den Finanzmärkten erhalten bleiben wird», sagte DekaBank-Volkswirt Karsten Junius. «Dies ist auch gerechtfertigt, denn jede andere Zentralbank hätte bei der gegenwärtigen Konjunkturlage die Zinsen wohl bereits gesenkt.» Aus der geldpolitischen Strategie der EZB leite sich jedoch keine Zinssenkung ab. Die DekaBank erwartet jedoch, dass die EZB Zinssenkungen in den nächsten Monaten nicht mehr «kategorisch» ausschliessen wird. Die Bank erwarte jedoch keine so deutliche Konjunkturabschwächung, die eine Zinssenkung tatsächlich rechtfertigen dürfte.
Druck gestiegen
Der politische Druck auf die EZB, die Zinsen zu senken, war zuletzt von Seiten der Regierungen der grossen Staaten, Deutschland, Italien und Frankreich, deutlich gestiegen. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) findet, dass die EZB-Zinspolitik das deutsche Wachstum behindert, weil das Ziel der Preisstabilität über alles gesetzt wird. Rückendeckung erhielt Clement von Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, aber auc h der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), die eine Lockerung der Geldpolitik fordern.
Geldpolitik ist expansiv
Zudem hatten Gegner der EU-Verfassung in Frankreich die auf Preisstabilität zielende Geldpolitik der EZB kritisiert und eine stärkere Ausrichtung auf Wirtschaftswachstum gefordert. «Entscheidend für die EZB sei jetzt, dass das Wirtschaftswachstum sich wieder beschleunigt», sagte Balz. Dann dürfte auch der politische Druck wieder sinken. Wollmershäuser erwartet jedoch nicht, dass der politische Druck ein Problem für die EZB wird. Schliesslich sei die Geldpolitik sehr expansiv und nicht verantwortlich für die Wachstumsschwäche in den betroffenen Ländern. Politiker versuchten so von ihren eigenen Verfehlungen abzulenken. (awp/mc/as)