Die erhaltenen Daten leitete die Eidg. Finanzmarktaufsicht (FINMA) direkt an die US-Behörden weiter. Mit ihrem Überraschungscoup hebelte die FINMA das in gleicher Sache laufende Amtshilfeverfahren aus. Ihr Vorgehen rechtfertigte die FINMA damit, dass die USA mit einem Strafverfahren gegen die UBS gedroht hätten, falls die Kundendaten nicht geliefert würden. In diesem Fall hätte der UBS Insolvenz gedroht. Das sei im Interesse der Schweiz zu verhindern gewesen.
BVGer-Urteil rekursfähig
Gegen den Entscheid der FINMA gelangten mehrere betroffene UBS-Kunden ans Bundesverwaltungsgericht (BVGer). Die Richter in Bern haben in einem Pilotverfahren die erste Beschwerde nun gutgeheissen. Gemäss dem am Freitag veröffentlichten Urteil, das innert 30 Tagen noch ans Bundesgericht weitergezogen werden kann, hat die FINMA rechtswidrig gehandelt. Laut den Richtern in Bern liegt es nahe, dass die US-Behörden mit den erhaltenen Informationen von den betroffenen UBS-Kunden ein sehr genaues Profil erstellen konnten. Das bedeute einen relativ weitgehenden Eingriff in ihre wirtschaftliche Privatsphäre.
Explizite gesetzliche Grundlage fehlt
Dafür wäre laut Gericht eine explizite gesetzliche Grundlage nötig gewesen. Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes, auf die sich die FINMA gestützt habe, würden ihr zwar die Kompetenz verleihen, Schutzmassnahmen bei drohender Insolvenz einer Bank zu ergreifen. Die fraglichen Bestimmungen seien indessen zu wenig bestimmt und voraussehbar, um eine direkte Herausgabe von Bankkundendaten an ausländische Behörden rechtfertigen zu können. Auch auf Notstandsrecht könne sich die FINMA nicht berufen. Dazu sei neben dem Parlament einzig der Bundesrat befugt.
Bundesrat hat auf Notrecht verzichet
Die Landesregierung habe aber darauf verzichtet, im konkreten Fall selber Notrecht anzuwenden. Zwar habe der Bundesrat die FINMA ersucht, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um eine Strafklage der USA gegen die UBS abzuwenden. Zur Wahl des geeigneten Mittels habe er sich dabei nicht geäussert. Zudem sei er offenbar selber von einer Notlage ausgegangen. Selbst mit dem Einverständnis des Bundesrates wäre die FINMA laut Gericht allerdings nicht befugt gewesen, von sich aus eine Notstandsverfügung zu erlassen. Vielmehr hätte die FINMA den Bundesrat bitten müssen, die entsprechende Anordnung zu erlassen.
Kläger: «Wichtiger Etappensieg»
Andreas Rüd, Rechtsvertreter der Beschwerdeführer, spricht von einem wichtigen Etappensieg für seine Klienten. Wie er sich am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur SDA äusserte, rechnet er damit, dass der Entscheid von der FINMA oder der UBS noch ans Bundesgericht weitergezogen wird. Ankündigungen zum seinem weiteren Vorgehen seien deshalb verfrüht. Es gelte nun sorgfältig zu analysieren, was das Urteil mit Blick auf allfällige weitere zivil-, öffentlich- oder strafrechtliche Schritte genau bedeute. Die UBS selber gibt gemäss ihrem Pressesprecher Serge Steiner zum Urteil keinen Kommentar ab.
Unter Druck aus Washington eingeknickt
Am 19. August 2009 haben die Schweiz und die USA im Streit um die Lieferung von UBS-Kundendaten einen Vergleich unterzeichnet. Die Schweiz soll Daten zu rund 4450 mutmasslichen Steuerbetrügern liefern, die zwischen 2001 und 2008 Informationen über ihre UBS-Konten den US-Behörden nicht oder nur teilweise offenlegten. Bis Ende Jahr hatte die Eidg. Steuerverwaltung rund 600 entsprechende Schlussverfügungen erlassen, die beim Bundesverwaltungsgericht angefochten werden können. Mit ersten Entscheiden des Gerichts ist nicht vor kommendem Juli zu rechnen.
Entscheid nach Rücksprache mit Bundesrat
Die FINMA verweist in ihrer Stellungsnahme zum Urteil des Bundesverwaltunsgericht darauf, die Herausgabe der UBS-Kundendaten erst nach Rücksprache mit dem Bundesrat angeordnet zu haben. Gemäss dem Urteil der Berner Richter hat die FINMA den Bundesrat bereits am 12. Dezember 2008 ausführlich über ihre Einschätzung der Lage informiert. Dabei habe die FINMA als Option auch die Übergabe der Kundendaten aufgezeigt. In einem Fax vom 14. Dezember habe die FINMA von Bundesrat Rudolf Merz als Vorsteher des Eidg. Finanzdepartements (EFD) ausdrücklich Rückendeckung gefordert und angeregt, die FINMA mittels eines Bundesratsbeschlusses zur Herausgabe zu ermächtigen.
Am 19. Dezember habe der Bundesrat die FINMA dann mit einem Beschluss ersucht, «im Interesse der Stabilität des schweizerischen und des globalen Finanzsystems alle notwendigen Massnahmen» zu treffen, um die vom amerikanischen Justizdepartement angedrohte Anklage gegen die UBS zu verhindern.
Stellungnahme des Bundesrates erfolgt?
Am 13. Februar schickte die FINMA ein Schreiben an Bundesrat Merz zu Handen des Gesamtbundesrates, worin sie darüber informierte, bei ihrem Verwaltungsrat die Herausgabe der Kundendaten zu beantragten. Sie bat den Bundesrat gleichzeitig um eine Stellungsnahme. Am 18. Februar verfügte die FINMA dann die Herausgabe. Ob der Bundesrat zuvor tatsächlich noch Stellung nahm, ist nicht bekannt. Laut Gericht befindet sich eine solche auf jeden Fall nicht bei den Akten. Die FINMA habe auch nicht vorgebracht, dass sich der Bundesrat zu ihrem Schreiben vom 13. Februar 2009 anders geäussert hätte als in seinem Beschluss vom 19. Dezember 2008.
Aus dem Schriftenwechsel geht laut Gericht insgesamt hervor, dass der Bundesrat die Situation offenbar als genügend gravierend einstufte, um die FINMA anzuweisen, «alle notwenigen Massnahmen» zu ergreifen. Allerdings habe er kein Notrecht anwenden und an der Durchführung des laufenden Amtshilfeverfahrens festhalten wollen.
Bundesrat will Urteil analysieren
Finanzminister Hans-Rudolf Merz und Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf müssen das Urteil gegen die FINMA bis am nächsten Mittwoch auswerten. Diesen Auftrag erteilte Bundespräsidentin Doris Leuthard den betroffenen Departementsvorstehern. An seiner nächsten Sitzung am Mittwoch wolle der Bundesrat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts besprechen, sagte André Simonazzi, der Bundesratssprecher, am Freitag auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Vorerst habe das Gremium den Gerichtsentscheid zur Kenntnis genommen. (awp/mc/ps/pg/15)