ArchiSkulptur geht dem vielfältigen Nah- und Wechselverhältnis von Architektur und moderner Skulptur nach, das im 20. Jahrhundert zu einer ganz besonderen Ausprägung fand. Schon immer hat die Plastik Elemente aus der Architektur übernommen, und umgekehrt brachte die Baukunst Formen und Strukturen der Skulptur zur Anwendung.
«Wirkliche Architektur ist Skulptur.» Constantin Brancusi
Doch seit der Moderne werden die Grenzen zwischen den beiden Gattungen in besonderer Weise verwischt. Gewisse Ten-denzen der Gegenwartsarchitektur erwecken den Eindruck, als würden sie gleichsam die Geschichte der Plastik in Gebäudeform fortsetzen.
Skulptur, Raum und Betrachters
Eine Besonderheit des Projektes ist die Darstellung des Themas gleichermassen von beiden Bereichen her, nachdem neuere Publikationen sich einseitig auf die Entwicklung skulpturaler Formen der Baukunst konzentriert hatten. Eine andere Herausforderung ist die Präsentations-form: Originalskulpturen herausragender Bildhauer werden direkt mit Modellen von dazu korres-pondierenden Bauwerken der Weltarchitektur in Bezug gesetzt. So nehmen etwa Skulpturen von Henry Moore Aufstellung neben dem Holzmodell von Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp (1950–1954). Einmalig sind zudem der Umfang und der historische Rahmen: Die von Markus Brüderlin konzipierte Ausstellung zeigt die aufregende Entwicklung der Archiskulp-tur vom späten 18. Jahrhundert bis heute auf. Präsentiert werden 180 Objekte von 60 Künstlern und 50 Architekten, gegliedert in zehn Kapiteln. Diese enthalten immer wieder Rückblenden und Vorgriffe, die die Konstanz gewisser Themen ins Bewusstsein rufen. So gewinnt das Arbeitsmodell von Frank O. Gehrys bekanntem, 1997 fertig gestelltem Guggenheim Museum in Bilbao in der Blickachse mit dem Eckrelief des russischen Konstruktivisten Wladimir Tatlin von 1915 ein neues Profil. Ergänzt werden diese dreidimensionalen Dialoge von ausgesuchten Gemälden sowie Grossfotografien, die das Thema auf der bildnerischen Ebene vertiefen. Im Zentrum steht die Erfahrung von Körper und Raum, die gerade im Zeitalter der elektronischen Medien und Simulationen ungeahnte Aktualität erhält. Die Inszenierung versucht denn auch eine sinnliche Dreiecksbeziehung zwischen dem Körper der Skulptur, dem Raum der Architektur und dem Leib des Betrachters herzustellen.
Ausschnitt aus Jean Nouvels Neuinterpretation des Monolithen der Expo.02 (Murten), 2004. Installation, Stahl, korrodiert, ca. 1200 x 500 cm, Auftragswerk. Fondation Beyeler.
Neue Sicht auf Bekanntes
ArchiSkulptur ist eine Thesen-Ausstellung, die vorschlägt, die Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts unter dem Vorzeichen des Skulpturalen und umgekehrt die Entwicklung der Plastik anhand des Architektonischen neu zu sehen. Der Rundgang setzt bei der Autonom-werdung der Architektur Ende des 18. Jahrhunderts ein.
Das Wechselspiel zwischen Skulptur und Architektur gehört zu den aufregendsten künstle-rischen Phänomenen des 20. Jahrhunderts. Seit ihrer Geburt im 19. Jahrhundert bezog die moderne Plastik wesentliche Impulse aus der Architekturgeschichte, so etwa Aristide Maillol aus der Klassik und der Konstruktivismus aus der Gotik. In der Installationskunst der 70er Jahre verwandelte sich die Skulptur sogar in begehbare Architektur (Dan Graham), die die Körper-wahrnehmung des Betrachters völlig verändert. Umgekehrt begannen Architekten in den 20er Jahren ihre Bauten plastisch zu modellieren (Goetheanum). Die aktuelle Baukunst entfaltet sich mit so ausgesprochen skulpturalen Qualitäten, dass die Gegenwartsarchitektur manchmal als Fortsetzung der Geschichte der Plastik erscheint (Frank O. Gehry).
Dialoge zwischen Architektur und Plastik vom 18. Jahrhundert bis heute
Die verkannten Einflüsse
ArchiSkulptur geht den Spannungsmomenten in prägnanten Rauminszenierungen nach. Originalskulpturen herausragender Bildhauer werden Modellen von Bauwerken der Weltarchitektur gegenübergestellt. Das eindrücklich körperhafte Modell des in London soeben eingeweihten Wolkenkratzers »Swiss Re« von Norman Foster gesellt sich zur Marmorskulptur »L’Oiseau« von Constantin Brancusi. Skulpturen von Henry Moore nehmen Aufstellung neben dem Holzmodell von Le Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp (1950-1954). Ausgesuchte Gemälde und Grossfotografien ergänzen den Dialog. Gezeigt werden 180 Objekte von 60 Künstlern und 50 Architekten, darunter Gustave Eiffel, Frank Lloyd Wright, Louis I. Kahn, Pablo Picasso, Eduardo Chillida, Jeff Wall und Thomas Schütte. Den Höhepunkt bilden speziell für die Ausstellung konzipierte Installationen von Jean Nouvel und Gerhard Merz sowie Arbeiten von Greg Lynn, dem führenden Vertreter der jungen, computeranimierten Blob-Architektur. Herzog & de Meuron haben eigens für die Ausstellung eine 9 Meter hohe, besteigbare Archiskulptur geschaffen, die im Museumspark errichtet wird.
Die Ähnlichkeiten und Verwandtschaften von Skulptur und ArchitekturDie von Markus Brüderlin (Ornament und Abstraktion, 2001) konzipierte Ausstellung liefert auch historische Kriterien für die intensive Debatte, die zur Zeit allerorts über die neue Architektur geführt wird. Umgekehrt bietet die geschichtliche Herleitung, die im 18. Jahrhundert bei der französischen Revolutionsarchitektur (Etienne-Louis Boullée) einsetzt, einen neuen Blick auf die Entwicklung der modernen Skulptur unter dem Vorzeichen des Architektonischen.
ArchiSkulpturen
Etienne-Louis Boullée
Kenotaph Isaac Newtons,1784
Modell, 2002, Alabastergips
© Fondation Beyeler
Kasimir Malewitsch, Architekton Gota, 1923, Version 1926, Gips, 85,3 x 56 x 52,5 cm
Minoru Yamasaki, World Trade Center, New York, 1962–1976 ©
Ansicht des Ateliers von Constantin Brancusi, um 1927, Fotografie des Künstlers, © alle Bilder Fondation Beyeler
Norman Foster and Partners, Swiss Re, London, 1997–2004
Constantin Brancusi, L’oiseau, 1923/1947, Der Vogel, Blaugrauer Marmor, H: 90 cm, Sockel, H: 26,7 cm
Henry Moore, Reclining Figure: Holes, 1976–1978, Liegende Figur: Löcher, Ulmenholz, L: 222 cm
Le Corbusier, Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut, Ronchamp, 1950–1954, Modell im Massstab 1:33 1/3, 2004, Lindenholz, massiv, 100 x 135 x 135 cm, Bauhaus Universität Weimar
Coop Himmelb(l)au, Villa Rosa, Projekt, 1968, Modell vom Prototyp, 1967, Holz, Kunststoff, Kunststoffpaste, Metall, weisse Farbe, 42,5 x 68 x 68 cm
Greg Lynn FORM, Embryological House, ABS Egg –Size C Pocket and MDF, Formwork –Size C Panel, 1999–200, Collection Canadian Centre for Architecture, Montreal