Fondation Beyeler: Jenny Holzer
Die Amerikanerin Jenny Holzer zählt zu den bedeutendsten Künstlern unserer Zeit. Ausstellungen und Kunstprojekte von ihr waren auf der ganzen Welt zu sehen, und sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Goldenen Löwen auf der Biennale von Venedig 1990.
Den Schwerpunkt der Ausstellung in der Fondation Beyeler bilden neuere Werke, von denen einige erstmals in Europa zu sehen sind. Die sichtbarststen und dramatischsten Elemente dieser Installation sind Kunstwerke mit LED-Leuchtbändern, das für Holzer typische Medium. Daneben werden aber auch Siebdruck-Gemälde aus den letzten fünf Jahren sowie zwei Skulpturen zu sehen sein, die Mitte der neunziger Jahre entstanden sind.
I talk – I smile – I don´t ask you
Sprache und innovative Medientechniken
Die Kunst Jenny Holzers, die häufig auf Sprache und innovativen Medientechniken basiert, zeichnet sich durch eine einzigartige Ästhetik aus. In ihrem ?uvre behandelt Holzer eine grosse Bandbreite unterschiedlicher Themen und Bereiche, von Architektur und Technik bis zu gesellschaftlichen oder politischen Fragen und literarischen Aspekten.
Charakteristisch für Holzers ?uvre ist die Verbindung zwingender Formen und überwältigender visueller Effekte mit entwaffnenden Textinhalten. Aus dieser Mischung zwischen formaler Schönheit und entnervender Sprache entsteht eine dynamische Kulisse des Dokumentarischen. Die Texte sind poetischer, sozialkritischer und politischer Natur. In Holzers Truisms (1977?1979) geht es um Ideologie, Gewalt, Leiden, Ignoranz, Humor, Romantik und Verletzlichkeit. Die Künstlerin oszilliert zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, dem Politischen und dem Körperlichen, dem Universellen und dem Individuellen. Sie arbeitet immer zeitbezogen, legt Botschaften, Einstellungen und Kommentare vor, während sie diese gleichzeitig in Frage stellt.
PROTECT ME FROM WHAT I WANT
Zu Beginn ihres künstlerischen Schaffens ? Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre ? setzte Holzer ihre Texte und subversiven Statements auf Poster, Plaketten, handgemalte Zeichen und T-Shirts. Ab 1982 begann sie mit LED-Technik zu arbeiten, wie man sie normalerweise mit Werbung und Nachrichten assoziiert, wobei sie die Wahrnehmungs- und Lesegewohnheiten von Passanten auf intelligente Weise herausforderte. Zum ersten Mal setzte sie das Medium ein, als sie die elektronische Anzeigetafel am Times Square in New York City mit verschiedenen Texten programmierte, etwa: ABUSE OF POWER COMES AS NO SURPRISE (Machtmissbrauch kommt nicht von ungefähr) und PROTECT ME FROM WHAT I WANT (Beschütze mich vor meinen eigenen Wünschen). Im Laufe der Zeit wurden Holzers elektronische Arbeiten komplexer. Zwar nutzte sie auch weiterhin Anzeigenflächen an öffentlichen Plätzen, doch gleichzeitig begann sie, immersive Environments zu entwickeln. Diese Technik verwendete sie beispielsweise für Installationen an der Dia Art Foundation und am Guggenheim Museum, beide im Jahr 1989. Da es ihr weiterhin auch wichtig war, das Publikum ausserhalb von Kunstinstitutionen zu erreichen, begann Holzer 1996 mit grossformatigen Textprojektionen in Aussenräumen zu arbeiten. Zu den bedeutsamen Bauten, auf deren Fassaden sie Texte projizierte, gehören die Neue Nationalgalerie in Berlin (2001), das Guggenheim Museum in New York (2008) und die Glaspyramide von I.M. Pei im Innenhof des Louvre (2001 und 2009). Neben eigenen Texten zitiert Holzer für ihre Projektionen häufig aus Schriften anderer, etwa aus Werken des amerikanischen Dichters Henri Cole, der österreichische Autorin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und der polnischen Lyrikerin und Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska. Für ihre Projektionen in Basel wird Holzer Elemente aus ihren Serien Truisms und Arno (1996) verwenden, sowie eine Auswahl von Szymborskas Gedichten in deutscher Übersetzung. Während die Künstlerin auch weiterhin mit den Möglichkeiten und Implikationen der LED-Technik und der öffentlichen Projekte ? etwa Lichtinstallationen ? experimentiert, lag der Schwerpunkt ihres neueren Schaffens auf einer Serie von Gemälden, die auf Kopien freigegebener Dokumente der US-Regierung basieren und die sie im Siebdruck-Verfahren auf handbemalte Leinwand übertragen hat. Der politische Inhalt dieser Arbeiten, die in der Tradition eines Goya oder Picasso stehen, bezieht sich auf Krieg, Folter und Machtmissbrauch.
In den ersten beiden Räumen der Installation wird der Besucher Meisterwerke aus der Sammlung Beyeler finden, die von der Künstlerin ausgewählt und kuratiert wurden. Diese Art der Präsentation versteht Holzer als eine Annäherung an ihre eigenen Arbeiten durch Künstler früherer Generationen.
Von da aus gelangen wir in die Räume, die Holzers eigenen Arbeiten gewidmet sind. Hier dominieren grossformatige LED-Installationen von atemberaubender Präsenz und Präzision, die in ihrer Vielfalt die grenzenlosen Variationsmöglichkeiten des Mediums reflektieren. Je nach Installation läuft der LED-Text quer über den Fussboden, in halbkreisförmigen Kompositionen an der Wand entlang oder im Winkel über eine Ecke des Raums.
Die Verwendung der LED-Technik erlaubt es Holzer, mit kinetischen Sprachbändern zu arbeiten. Bei unserer Wahrnehmung der Botschaft spielt die Zeit eine Rolle, da wir die laufende Sprache nicht auf einmal rezipieren können: Die Textfragmente werden von jedem Betrachter unterschiedlich wahrgenommen und lösen jeweils höchst individuelle Assoziationen aus.
Ein Schlüsselwerk ist die riesige Installation For Chicago (2007), bestehend aus zehn langen, auf den Boden montierten LED-Spuren mit einer Auswahl von Texten Holzers aus den Jahren 1977 bis 2001. Obwohl dies eine Auftragsarbeit für das Museum of Contemporary Art in Chicago war ? und damit also eigentlich ein neues Kunstwerk ist ?, lässt sich dieses Werk doch auch als eine Retrospektive sehen, die Holzers bahnbrechendes, textbezogenes ?uvre widerspiegelt. Die Texte erscheinen in kondensierter Form auf den LED-Anzeigen, wobei Licht und Sprache wie Lavaströme über die Leuchtflächen fliessen. Eine Reihe vorprogrammierter Effekte sollen Körper und Augen ständig in Bewegung halten: In regelmässigen Abständen rasen die Texte mit hoher Geschwindigkeit auf den Betrachter zu, überschneiden und kreuzen einander, verschwimmen, lösen sich zu grafischen Elementen auf oder bewegen sich so langsam, dass man sie ungestört lesen kann.
Konflikte des Nahen Ostens in Fokus
Holzer hat ein Talent, ihre Kunst für neue Formen und Inhalte offen und empfänglich zu halten. Ihre neuesten Arbeiten thematisieren die Konflikte im Nahen Osten, ihre internationalen Auswirkungen und ihre menschlichen Tragödien. Die neuen Gemälde, die im Stil von Andy Warhols Death and Disaster-Serie gehalten sind, offenbaren ihr Interesse an der Tradition der Historienmalerei und gleichzeitig das zeitgenössische Bedürfnis nach der Vermittlung politischer Inhalte. Die Bilder sind Dokumente, die von den US-Behörden aufgrund des Freedom of Information Act freigegeben wurden. Zu diesen Dokumenten gehören militärisches Kartenmaterial, Vernehmungsprotokolle sowie Handabdrücke von Soldaten, denen Verbrechen zur Last gelegt und deren Namen durch die Zensoren unkenntlich gemacht wurden.
Red Yellow Looming
Monumentale Tableaus
In den neuesten elektronischen Skulpturen von verführerischer Schönheit wird der Kontrast zwischen Inhalt und Form ins Extreme gesteigert. Durch Textbänder, die in wechselnden Geschwindigkeiten ablaufen, entsteht ein faszinierendes Farbspiel. Zu den in der LED-Arbeit Red Yellow Looming (2004) angesprochenen Themen gehören Erdöl- und Waffengeschäfte, sowie das amerikanische und internationale Engagement im Nahen Osten vor 2001. Die elektronische Skulptur Thorax (2008) basiert auf Dokumenten über den Fall eines irakischen Zivilisten, der auf der Flucht von US-Truppen umgebracht wurde, und beleuchtet die voneinander abweichenden Darstellungen dieses Vorfalls. Auszüge der Zeugenaussagen laufen über die Leuchttafeln. Einige der gezeigten LED-Arbeiten werden zusammen mit Ölgemälden ausgestellt. So bilden beispielsweise 24 Gemälde mit dem kollektiven Titel Hand (2008) ? die auf Handabdrücken amerikanischer Soldaten basieren, denen Verbrechen im Nahen Osten zur Last gelegt wurden ? ein monumentales Tableau. Im Rahmen der Installation in der Fondation Beyeler wird dieses Werk gegenüber von Purple (2008) platziert, einer Reihe von Bögen, die sich vom Boden zur Wand wölben. Zu weiteren Kriegstexten in dieser Installation gehören Auszüge aus Autopsieberichten über Gefangene, die in amerikanischer Haft starben. Die abstrakten Gemälde in der Ausstellung sind Dokumente, die von den Zensurbehörden vollständig geschwärzt wurden. Diese politische Abstraktion hat theoretische und formale Vorläufer in der Geschichte der abendländischen Kunst. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist Desert Crossing blue white (2009), das an Malewitschs Black Square (1913) und andere suprematistische Kompositionen denken lässt.
Lustmord ist der Titel eines Texts von Holzer aus den Jahren 1993-1995. Die Installation mit demselben Titel (1994) ? eine Assemblage von Knochen, die systematisch auf hölzernen Tischen angeordnet sind ? bezieht sich auf den Krieg im ehemaligen Jugoslawien (1992?1995). Das Werk thematisiert die Vergewaltigung und Ermordung von Frauen, wie sie zu dieser Zeit begangen wurden, spricht aber auch allgemeiner von der stetigen Gewalt gegen Frauen. Einige der Knochen sind mit silbernen Bändern umwickelt, auf denen Textfragmente eingeprägt sind. Es handelt sich um die Sichtweisen von Opfern, Tätern und Beobachtern.
In einem der Ausstellungsräume befinden sich Holzers elektronische Skulpturen Blue Cross und Green Purple Cross (beide 2008) mit ihren Texten Erlauf (1995), Arno (1996) und Blue (1998). Diese Raumecken überspannenden Texte beziehen sich auf das Zusammenspiel zwischen äusserer Macht und Schmerz und thematisieren, wie man es persönlich überleben kann.
Binsenwahrheiten
Den Abschluss der Ausstellung bildet das säulenförmige LED-Werk Monument (2008), das Holzers Truisms und ihre Inflammatory Essays (1979?1982) präsentiert. Zwanzig Bänder erklimmen die Wand und erzeugen einen halbkreisförmigen Lichtschein in hellem Magenta und anderen gleissenden Farben. Das Werk evoziert Wladimir Tatlins Monument der Dritten Internationale (1920). Im selben Raum sind auch drei der bekannten Steinbänke der Künstlerin aus der Living-Serie (1980?1982) zu sehen. Mit ihrem in Granit gemeisselten Text bieten die Bänke, ebenso wie die Gemälde, eine ruhige, meditative Dialogerfahrung, die einen Kontrast zur eindringlichen Präsenz der elektronischen Kunstwerke bildet.
In Zusammenarbeit mit der Fondation Beyeler und Sunrise wird Jenny Holzer ihr erstes Projekt für Mobiltelefone entwickeln. Sunrisekunden erhalten auf Wunsch 9 verschiedene Kunst-MMS.
Eine Auswahl dieser Arbeiten sind online auf www.jennyholzer.com zu sehen. (fb/mc/th)