Fondation Beyeler: Venedig – Von Canaletto und Turner bis Monet
Seit ihrer Gründung vor elf Jahren hat sich die Fondation Beyeler in ihren Sammlungspräsentationen und Wechselausstellungen auf die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts konzentriert. Von Anfang an war sich die Fondation jedoch bewusst, dass die Kunst der Moderne keine creatio ex nihilo ist. Vor diesem Hintergrund ist zum Beispiel die 2001 gezeigte Ausstellung »Ornament und Abstraktion« zu verstehen, welche die künstlerischen Hervorbringungen der Moderne in einen historischen Kontext gerückt hat. Ein anderes Beispiel ist die 2004 in Zusammenarbeit mit dem Kunsthistorischen Museum Wien entstandene Ausstellung »Francis Bacon und die Bildtradition«, die der Auseinandersetzung eines prototypischen Künstlers der Moderne mit der abendländischen Malerei gewidmet war. In der Ausstellung hingen an den purpurfarbenen Wände der Fondation zwischen den Bildern von Francis Bacon erstmals Gemälde alter Meister wie Tizian, Velázquez und Rembrandt.
Die Ausstellung »Venedig. Von Canaletto und Turner bis Monet« geht noch einen Schritt weiter. Sie setzt im 18. Jahrhundert mit der Vedutenmalerei Canalettos und Francesco Guardis ein und spannt einen Bogen bis zur Bilderfolge, die Claude Monet 1908 in Venedig gemalt hat. Auf diese Weise entwirft die Ausstellung am Beispiel von zwölf europäischen und amerikanischen Künstlern erstmals ein Panorama der bildkünstlerischen Repräsentations-formen, die Wegbereiter und frühe Vertreter der Moderne in der Lagunenstadt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hervorgebracht haben.
Canaletto, Piazza San Marco, 1723/24
Heiter und festlich dem Untergang entgegen
Es ist ein Panorama, das nahezu ohne venezianische Künstler auskommt. Die epoche-machenden Venedigbilder des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sind von Künstlern aus Nordeuropa und den USA gemalt worden. Canaletto und Francesco Guardi waren im 18. Jahrhundert die letzten grossen venezianischen Vedutenmaler gewesen, deren heitere und festliche Gemälde, von denen einige der bedeutendsten Beispiele in der Ausstellung zu sehen sind, das Venedigbild auch nach dem Untergang der Serenissima nachhaltig geprägt haben.
Die um sich greifende Faszination der Stadt
Venedig, schon zur Zeit Canalettos und Guardis wohl die am häufigsten verbildlichte Stadt, avancierte im 19. Jahrhundert zu einem Kultort, an dem sich die Fantasie einiger der grössten und wichtigsten Kulturschaffenden entzündete, darunter Maler und Fotografen, Schriftsteller (George Sand, Marcel Proust, Henry James, Thomas Mann) und Dichter (Lord Byron, Rainer Maria Rilke), Musiker (Richard Wagner, Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, Frédéric Chopin) und Philosophen (Friedrich Nietzsche, Georg Simmel). Die von Künstlern und Intellektuellen geschaffenen »Bilder« sind ein wesentlicher Grund dafür, dass Venedig mehr denn jede andere Stadt eine »vorgeprägte« Erfahrung ist. Das Venedigbild des 19. Jahr-hunderts wurde zunehmend zu einem Palimpsest, auf dem sich unterschiedliche und stets ambivalente Bilder überlagerten: Bilder der Macht und des Untergangs, der Liebe und des Todes, der Schönheit und der Vergänglichkeit, der Lebensfreude und der Melancholie.
Allegorie des Zerfalls
Die Grundlage dieses neuen Venedigbildes hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts Lord Byron mit seinen Gedichten und Dramen gelegt. Seine schwärmerische Hingabe an Venedig, verstanden als Allegorie des Zerfalls, teilte der englische Maler William Turner. Die grossartigen Turner-Leihgaben der Tate bezeugen eindrücklich, dass die die Realität transzendierenden Bildfindungen des Malers denen des Dichters in nichts nachstehen.
Etwas Neues entgegensetzen
1874 hielt sich mit Edouard Manet erstmals ein früher Vertreter der Moderne in Venedig zum Malen auf. Dieser Befund überrascht umso mehr, als Manet und seine impressionistischen Weggefährten als Verfechter einer selbstreflexiven »peinture pure« Bildgattungen und Sujets aus dem Weg gingen, die mit einem sentimentalen und literarischen »Überbau« befrachtet waren. Solche Bildgattungen und Sujets waren die Domäne ihrer Kollegen, die regelmässig in den Pariser und Londoner Salons ausstellten. Von der Einzigartigkeit und Schönheit Venedigs blieben jedoch auch einige der wichtigen frühen Vertreter der Moderne nicht unberührt. Venedig zu malen, hiess für Edouard Manet und James McNeill Whistler, Odilon Redon und Paul Signac, mit eigenen Bildfindungen den abgegriffenen bildkünstlerischen Stereotypen etwas Neues entgegenzusetzen. Jeder der hier ausgestellten Künstler entwickelte dafür auf der Grundlage seines bisherigen Schaffens eine eigene Strategie.
Blockbusters unter sich
Die Ausstellung vereinigt die herausragenden Werke der prominentesten Vertreter der französischen und anglo-amerikanischen Avantgarde, die in Venedig im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert tätig waren. Sie führt zudem mit John Singer Sargent und Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und James McNeill Whistler erstmals Künstler zusammen, die sich seit frühen Jahren freundschaftlich verbunden waren.
Der Schwede Anders Zorn, zu seiner Zeit ein international gefeierter Maler, steht in unserer Ausstellung für die Anziehungskraft, die das kosmopolitische Venedig der Jahrhundertwende auf eine stetig wachsende Zahl gemässigt avantgardistischer Künstler ausübte. Zur Attraktivität von Venedig für die Künstler des »juste milieu« trug die Biennale d’Arte bei, die 1895 erstmals ihre Tore öffnete. Dieses neue Umfeld hatte auch eine inspiriererende Wirkung auf die einheimische Kunstproduktion, wie in unserer Ausstellung das Gemälde von Pietro Fragiacomo deutlich macht.
Der neue Blick durch die Linse
Ein neues Kapitel in der Mediatisierung der Lagunenstadt, das nicht ohne Auswirkungen auf die zeitgenössische Malerei blieb, hatte schon mit dem stetig wachsenden Stellenwert der Fotografie in Venedig um 1850 eingesetzt. Die grosse Zahl von Touristen stimulierte die Nachfrage nach fotografischen Darstellungen der herausragenden Baudenkmäler und des venezianischen »Volkslebens«, zumal Venedig um 1900 seine Raison d’être endgültig im Tourismus gefunden hatte. Wir schätzen uns glücklich, dass wir eine repräsentative Gruppe von frühen Venedigfotografien aus der Sammlung Herzog, Basel, in die Ausstellung aufnehmen dürfen.
Anonyme Photographie.
Die Seerosenstadt
Claude Monet widersetzte sich während vieler Jahre einer Reise nach Venedig. Als er 1908 zum ersten (und letzten) Mal in Begleitung seiner Frau Alice nach Venedig reiste, war er 68-jährig. Nach zögerlichen Anfängen ist selbst Monet der geheimnisvollen Faszination der »Seerosen-Stadt« (Paul Morand) erlegen. Während zweier Monate hat er an mehreren Orten in der Stadt Bilder angelegt, die er in den nachfolgenden Jahren in seinem Atelier in Giverny vollendete. Im Frühjahr 1912 stellte er sie in der Galerie Bernheim-Jeune in Paris aus. Einhundert Jahre nach ihrer Entstehung hat man sich vorgenommen, Monets venezianische Bilderfolge zu rekonstruieren, die seit ihrer Erstpräsentation in Paris nicht mehr vollständig zu sehen gewesen ist. Von heute aus betrachtet, erweist sich Monets elegische Werkfolge als ein Abschied vom Venedigbild einer Epoche, die zwei Jahre später mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges unwiederbringlich zu Ende gegangen ist.
Canaletto (1697-1768), Francesco Guardi (1712-1793), J. M. William Turner (1775-1851), James McNeill Whistler (1834-1903), John Singer Sargent (1856-1925), Anders Zorn (1860-1920), Edouard Manet (1832-1883), Pierre-Auguste Renoir (1841-1919), Pietro Fragiacomo (1856-1922), Odilon Redon (1840-1916), Paul Signac (1863-1935), Claude Monet (1840-1926) |
Die Ausstellung vereinigt rund 150 Werke. Leitmotive der Ausstellung sind die berühmten Ansichten von Venedig, wie jene der Piazza San Marco, des Canal Grande, der von Palladio entworfenen Kirche San Giorgio Maggiore und der Kirche Santa Maria della Salute.(fb/mc/th)