Fotomuseum Winterthur: Reale Fantasien ? Neue Fotografie aus der Schweiz
Fund-Fotografie, Banalfotografie, mediale Eingriffsfotografie, fotografische Soaps, inszenierte, theatrale Fotografie, gemorphte Fotografie oder hartnäckige Dokumentarfotografie: Den Möglichkeiten, dieses visuelle Medium ? auch wenn der Kunstmarkt sich gerade etwas schnöde von ihm abwendet ? zur Befragung, Hinterfragung und Bewältigung unserer Jetztzeit einzusetzen, sind fast keine Grenzen gesetzt. Die Freiheiten der Spielformen müssen sich freilich an ihrer Medienbewusstheit messen lassen, denn nur in der Kombination, in der Reibung von Spiel- und Bedenkform entstehen visuelle Grösse, Dichte und Komplexität.
Klarer Trend hin zur Fotografie
Die fotografische Szene in der Schweiz hat sich den vergangenen zwei Jahrzehnten exponentiell entwickelt. Seit 1990 dokumentierten eine Reihe von Publikationen diese Entwicklung: ?Wichtige Bilder ? Fotografie in der Schweiz? (1990), ?Nouveaux intinéraires? (1991), ?Voir la Suisse autrement? (1991), ?Helvetia condensed? (1992), ?Blind ? Junge Fotografie aus der Schweiz? (1992), ?Photographie in der Schweiz von 1940 bis heute? (1992), ?Aus der Romandie? (1993), ?Bilderzauber ? ein seriöses Spiel? (1996), ?Die Klasse? (1996), ?Weltenblicke ? Reportagefotografie und ihre Medien? (1997), ?Young ? Neue Fotografie in der Schweizer Kunst? (1999) oder ?Zeitgenössi¬sche Fotokunst aus der Schweiz? (2002). Diese Publikationen belegen, wie sich in der Schweiz ? parallel zur internationalen Situation ? eine Fülle von Bildvorstellungen, Bildstrategien und Haltungen Präsenz verschaffte und wie die Szene von Jahr zu Jahr an Dichte und Reichtum gewann. Angesichts dieser Bewegungen interessierte uns die Frage, wie heute junge Fotografen und Fotografinnen, Künstler und Künstlerinnen mit dem Medium Fotografie arbeiten. Wir wollten wissen, wie sie mit der alltäglich gewordenen Digitalisierung und Mediatisierung, dem abstrakter Werden der Welt und dem zunehmenden Schwinden direkter Wahrnehmung umgehen.
Florence Lacroix, Aus der Serie Les aventures de Charlotte, 2001-2002 (Die Abenteuer von Charlotte), Charlottte européenne pudique, Mai 2002 (Charlotte als sittsame Europäerin), C-Print, 60 x 50 cm, © Florence Lacroix
Die Recherche nach dem Trend
Die Recherche unter Kuratoren, Künstlern, Hochschullehrern und Galeristen in der ganzen Schweiz ergab eine Fülle an Hinweisen. Auf dieAnfragen hin schickten rund zweihundertfünfzig Künstlerinnen und Künstler ihre Dossiers ein. Aus ihnen hat das Museum nach mehrfacher Durchsicht 21 Positionen ausgewählt, die den Reichtum der Szene und die Dichte aller eingereichten Arbeiten widerspiegeln.
Von den fantastischen Wirklichkeiten
Jedes visuelle Statement steht für sich allein, doch zusammen umgrenzen sie einige thematisch-methodische Felder, wie ?Welterkundungen?, ?Wirklichkeitskonstruktionen? und ?Welt-Ich-Welten?. Leitfaden dabei ist ein lustvolles und anspruchvolles Verfliessen von Realität und Fiktion zu fantastischen Wirklichkeiten und realen Fantasien. Inszenierende Fotografie zum Beispiel kann bisweilen realistischer (welthaltiger) sein als Dokumentarfotografie. Damit ist die Fotografie ein attraktiver und ehrlicher Spiegel der heutigen Zeit. Wir leben inmitten von Ambiguitäten, wir floaten und treiben ? diese Bilder tun es auch.