Nur so, mit intensiver Selbstreflexion und Machtanalyse, hatten sie eine Chance, wahrgenommen zu werden. Deshalb ist Frauenkunst der vergangenen 30 bis 40 Jahre so stark mit den Begriffen Identität und Gender verbunden. Stellvertretend dafür können Künstlerinnen wie Valie Export, Cindy Sherman oder Rosemarie Trockel genannt werden. In den ersten drei Sammlungsaustellungen des Fotomuseum Winterthur – u.a. mit Blick auf Identitätsfragen des Menschen und seiner Gesellschaft sowie auf die Frage, wie in der medial aufgeladenen Welt noch Geschichte/n in Bildern erzählt werden können – waren fotografische Positionen von Frauen integraler Bestandteil der Präsentationen. Vanessa Beecroft, Valie Export, Liza May Post, Pipilotti Rist, Annelies ?trba, Lidwien van de Ven und Hannah Villiger zum Beispiel standen darin für eine markante, auch feministisch geprägte Fotografie im künstlerischen Kontext, jeweils mit sehr eigener Handschrift.
David Goldblatt, Aus der Serie «Some Afrikaners Photographed», 1975, Ein Pächter und die Tochter eines Dienstboten, Wheatlands, Randfontein, Transvaal, 1962, Silbergelatine-Abzug, 40,6 x 30,5 cm, © David Goldblatt
Mit feiner Glocke den Alltag einläuten
Die Ausstellung stellt eine Reihe von Frauen in einer gemeinsamen Ausstellung vor, schafft in diesem Sinne nochmals einen gemeinsamen rhetorischen Rahmen, jedoch werden Generationen, Formate, Haltungen und Herangehensweisen gemischt, und die ausgestellten Werke kreisen nicht mehr nur um die genannten Felder, sie zeigen vielmehr neue, andere Wege auf, die heute in selbstverständlicher Weise begangen werden. Frauen bewegen sich selbstbewusst im Netzwerk von Produktion und Distribution und der damit verbundenen Öffentlichkeit. Berührungspunkte zu anderen Gattungen der freien und angewandten Kunst sind ein zusätzlicher Schwerpunkt dieser Auswahl und führen zu neuen und spannenden Darstellungsformen: in Fotografie und Malerei, in Fotografie und Film, in Fotografie und Performance, in Fotografie und Literatur.
Die weibliche Stimme im Bild
In dieser Präsentation der Sammlung des Fotomuseum Winterthur, deren Fokus auf fotografischen Positionen seit den 1960er Jahren bis in die Gegenwart liegt, wird mit Werken von Annette Messager, Ulrike Ottinger und Marianne Müller der Blick in die zuweilen provokanten und rhetorischen Zeiten der Anerkennung einer weiblichen Stimme im Ausstellungswesen geschlagen, um im selben Raum in den Arbeiten von Künstlerinnen wie Suky Best, Tacita Dean und Martha Rosler die Differenz von westlichen und östlichen Medienbildwelten zu untersuchen. Als Regisseurinnen mit vorbestimmten Handlungsrahmen agieren Ann-Sofi Sidén und Pernilla Zetterman, das subjekthafte Eigenleben von Dingen heben Annika von Hausswolff, Antje Dorn, Andrea Gohl und Nanna Hänninen hervor. Bei Künstlerinnen wie Nan Goldin, Roni Horn, Valérie Jouve, Annette Kisling, Leonore Mau, Elisabeth Neudörfl oder Yoshiko Seino entfalten Orte und Plätze ein jeweils sehr spezifisches Flair, das in hohem Mass von psychologischen Momenten und erzählerischen Formen getragen wird.
Publikation:
«Wege zur Selbstverständlichkeit – Set 4 aus der Sammlung des Fotomuseum Winterthur», Sammlungsbroschüre mit Werken der Ausstellung. Essay von Thomas Seelig, Deutsch / Englisch. Preis Fr. 5.-