Franz Marty, VRP Raiffeisen Schweiz

Von Peter Stöferle


Moneycab: Herr Marty, während sich in der Bankenwelt Hiobsbotschaft um Hiobsbotschaft jagt, wartet Raiffeisen Schweiz ausschliesslich mit «good news» auf. Was hat Ihre Bank – im Vergleich zu vielen anderen Finanzinstituten – richtig gemacht?


Franz Marty: Das Bankgeschäft ist ein Vertrauensgeschäft. Dessen sind wir uns bei Raiffeisen seit jeher bewusst. Unser Geschäftsmodell verpflichtet sich der Solidarität, dem Masshalten und vor allem der Nähe zu den Kunden. Raiffeisen bietet verständliche Produkte für jedermann an und verfolgt dabei eine Gewinnoptimierung, nicht eine Gewinnmaximierung. Wir laufen nicht der grösstmöglichen Rendite hinterher, sondern dem grösstmöglichen Nutzen für unsere Mitglieder. Diese Aufgabe nehmen wir ernst. Und zum Nutzen gehört für uns in aller erster Linie auch die Sicherheit für Kunden und Mitglieder. Das einzigartige, solidarischen Haftungssystem der Raiffeisen Gruppe wird von renommierten Rating Agenturen für durchaus gleichwertig mit der Staatsgarantie angesehen. In der Krise machen wir an sich nichts anders als sonst auch. Wir bleiben unserer Philosophie und unseren Kunden und Mitglieder treu. Das schafft Vertrauen.


Entsprechend konnte Raiffeisen Schweiz 2007 einen Neugeldzufluss von 7,0% und im ersten Semester 2008 von 5,2% verzeichnen. Handelt es sich hierbei um einen nachhaltigen Prozess oder steht zu befürchten, dass mit dem Abklingen der Finanzmarktkrise bei Ihnen Gelder wieder vermehrt abfliessen?


Wir gewinnen sehr viele Neugelder im Retailbanking dazu, etwa 1 Milliarde Franken pro Monat. Ich bin überzeugt, dass wir die 600 Kundinnen und Kunden, die wir täglich hinzugewinnen, langfristig für uns gewinnen werden. Unsere Strategie unterscheidet sich von derjenigen etwa der Kantonalbanken. Während man sich dort quasi im Self Service ein Konto eröffnen kann, möchten wir mit neuen Kunden sprechen. Wir nehmen uns Zeit für Sie, um ihre Bedürfnisse abzuklären und sie zu beraten. Das kostet zwar etwas mehr Zeit, dafür gehen wir davon aus, dass diese Kunden langfristig bei uns bleiben werden, weil sie bei uns einen Service geboten bekommen, den sie von einer Grossbank nicht gewohnt sind. 


A propos Nachhaltigkeit: Diese ist bei Raiffeisen ein fester Bestandteil des Geschäftsmodells. Können Sie uns das an einem Beispiel verdeutlichen?


Nachhaltigkeit wird bei Raiffeisen auf allen Ebenen gelebt: Auf der Produktebene mit entsprechenden Angeboten – etwa den Futura Fonds in Zusammenarbeit mit inrate, die in nachhaltigen Unternehmen investieren, oder vergünstigten Hypothekarangeboten für Minergiebauten. Als Gründungsmitglied der Klimastiftung Schweiz engagieren wir uns auch zugunsten der KMU. Bei Raiffeisen Schweiz in St.Gallen setzen wir uns im Umweltbereich zudem konsequent auf effiziente und möglichst CO2freie Energienutzung etwas durch Wärmerückgewinnung.


«Das genossenschaftliche Modell ist eine sehr sinnvolle Alternative für den Finanzsektor.» (Franz Marty, VRP Raiffeisen Schweiz)


Kredite gewährt Raiffeisen überwiegend an Genossenschafter gegen Sicherheit und an öffentlich-rechtliche Körperschaften. Ist es vorstellbar, dass im Nachgang zur Finanzmarktkrise der Genossenschaftsgedanke im In- und Ausland vor einem eigentlichen Revival steht?


Das genossenschaftliche Modell ist eine sehr sinnvolle Alternative für den Finanzsektor. Das Modell ist ja von vielen bisher belächelt worden. Mittlerweile zeigt sich jedoch überdeutlich, dass die Genossenschaft mit ihrer echten Wertorientierung das Vertrauen der Kunden findet. Insbesondere erweist sich nun das ganzheitliche Geschäftsmodell als ausserordentlicher Erfolgsfaktor, von dem ich mir vorstellen kann, dass es in das Neudesign von Geschäftsmodellen anderer Banken einfliessen kann und wird. Inzwischen sind wir ziemlich die Einzigen, die nicht auf staatliche Hilfe angewiesen sind.


Der Hauptteil der von Raiffeisen ausgeliehenen Gelder ist in Wohnbauten investiert. Halten Sie den Schweizer Immobilienmarkt – gut 15 Jahre nach der Hypothekenkrise – für gut genug aufgestellt, so dass auch ein Raiffeisen-VR-Präsident gut schlafen kann?


Schweizer Hypotheken werden nach anderen Gesichtspunkten vergeben als dies im US-amerikanischen Subprime-Markt der Fall war. Die Schweizer Eigenheimpreise bemessen sich nach realistischen Objekt- und Standortbewertungen. Der Schweizer Immobilienmarkt ist grundsätzlich nicht überbewertet. Die Immobilienpreise unterliegen zudem auch den betriebswirtschaftlichen Gesetzmässigkeiten von Angebot und Nachfrage. Im übrigen waren wir von der damaligen Hypothekenkrise – dank unserer strengen Richtlinien in der Kreditvergabe – nicht betroffen.


Raiffeisen Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten – mit Verlaub – vom etwas angestaubten Image gelöst und sich zu einem der wichtigsten Player der Schweizer Finanzwelt entwickelt. Auf welche Faktoren ist dies zurückzuführen?


Wie bereits aufgeführt: Unser ganzheitliches Geschäftsmodell, welches betriebswirtschaftliche Ansprüche mit genossenschaftlichen Prinzipien in Gleichklang bringt. Traditionell verfolgen wir eine zurückhaltende Risikopolitik und pflegen mit unserer Strategie der Kundennähe die effektive Beziehung zwischen Bank bzw. Berater und Kunde.


Mit einer konsequenten Strategie, die die Vorteile unserer dezentral agierenden, autonomen Banken mit zentral erbrachten und gesteuerten Dienstleistungen kombiniert, konnten wir während der vergangenen Jahre unsere Marktposition ausbauen und sind zu einer starken dritten Macht im Schweizer Finanzmarkt angewachsen. Unterstützt haben wir die Modernisierung mit einem neuen Corporate Design und einem einheitlichen Markenauftritt, welcher im März 2006 lanciert wurde.


Raiffeisen ist seit Jahren die vertrauenswürdigste Bankenmarke in der Schweiz. So entscheiden Jahr für Jahr die Leserinnen und Leser des Magazins Reader’s Digest. Darüber hinaus wurde in der zweiten Oktoberwoche diesen Jahres eine repräsentative Online-Befragung durchgeführt, welche Raiffeisen die besten Werte für Sympathie, Kompetenz, günstige Kondition und Vertrauenswürdigkeit bescheinigt. Darüber gaben über 35% der Befragten an, ein Konto bei Raiffeisen zu haben. Damit stehen wir unter den Schweizer Banken an der Spitze.


Im Gegensatz zu börsenkotierten Instituten hat Raiffeisen in den letzten Jahren auch nicht mit exorbitant hohen Manager-Gehältern von sich reden gemacht. Wie gelingt es Ihrer Bank, vom Praktikant bis zur obersten Führungsebene dennoch die besten Leute an Bord zu halten?


Raiffeisen stellt traditionell den Menschen in den Mittelpunkt des Schaffens. Nicht nur Kunden, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Explizit heisst das: Wir fordern und fördern unsere Mitarbeitenden. Wir pflegen bewusst eine Führungskultur, in der respektvoll der Umgang miteinander gepflegt wird, Aufgaben den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechen, unternehmerisches Denken gefördert wird. Natürlich leisten wir nicht nur als Unternehmen unseren Beitrag, selbstverständliche erwarten wir auch höchstmöglichen Einsatz von unseren Mitarbeitenden.


Deshalb legen wir auch Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Dazu gehört für uns auch, dass wir eine familienfreundliche Unternehmenspolitik pflegen. Eltern wollen wir darin unterstützen, die Bedürfnisse der Familie mit den Ansprüchen ihres Arbeitsplatzes in Einklang zu bringen.


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Als Raiffeisen-Verwaltungsratspräsident gehören Sie auch dem Bankrat der Schweizerischen Nationalbank SNB an. Bereitet Ihnen das Schwemmen der Finanzmärkte mit Dollar-Liquidität der vergangenen Wochen keine Sorgen?


Es wird immer gerne übersehen, dass die Finanzspritzen der Notenbanken lediglich der kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen dienen. Die zur Verfügung gestellten Gelder müssen zudem wieder zurückbezahlt werden.


Es ist die Aufgabe der Notenbanken in Krisenzeiten wie diesen, den Markt nach bestem Vermögen zu unterstützen und wieder zur Ruhe zu bringen. Leichtfertiges Verhalten ist kaum zu unterstellen.


«Ein Markt, in dem die Mehrheit der Güter über Kredite finanziert werden, läuft immer Gefahr, sich als grosse Konsumblase zu entpuppen.» (Franz Marty, VRP Raiffeisen Schweiz)


Hätten Sie vor zwei Jahren überhaupt gedacht, dass die globale Finanzwelt in eine Krise von derart kolossalem Ausmass laufen könnte und wenn ja, wo sahen Sie die entsprechenden Anzeichen?


Vor zwei Jahren zeichneten sich die ersten Ausfälle am US-Hypothekarmarkt ab. Vermutlich hat aber niemand wirklich mit diesen Ausmassen gerechnet. Allerdings – wenn man das Konsumverhalten auf dem dortigen Markt betrachtet hatte, dann konnte einem das schon damals die Sorgenfalten ins Gesicht treiben. Ein Markt, in dem die Mehrheit der Güter über Kredite finanziert werden, läuft immer Gefahr, sich als grosse Konsumblase zu entpuppen.


Bereits vor der geplatzten US-Immobilienblase ist im Jahre 2000 die Dotcom-Blase zerborsten. Wo sehen Sie als Finanzfachmann die Gefahr von weiteren Blasenbildungen?


Ich gehe davon aus, dass das Gröbste überstanden ist. Eine Rückbesinnung auf die Realwirtschaft hat nicht erst kürzlich eingesetzt. Der Zustand der produzierenden Wirtschaft in der Schweiz ist ein Zeichen dafür.


Nach den Milliardenverlusten auf den Finanzmärkten sind auch in der Schweiz Rufe nach verstärkter Regulierung laut geworden. Einer Verdoppelung des Eigenmittelerfordernisses gemäss Basel-2 würde Raiffeisen Schweiz wohl gelassen entgegenblicken. Wo müsste ansonsten noch der Hebel angesetzt werden?


Raiffeisen steht heute in der Tat bereits mehr als das Doppelte der in Basel II geforderten Eigenmittel zur Verfügung. Jedoch sollte nicht eine noch verstärktere Regulierung der Bankenbranche die Folge sein. Die Banken – allen voran selbstverständlich die von der Krise betroffenen – müssen ihre Geschäftsmodelle und ihre Geschäftspolitik überdenken. Sicherlich sollten im Produktebereich Regelungen getroffen werden, die unverständliche Konstrukte, wie sie zur gegenwärtigen Situation führten, nicht mehr aufgelegt und vertrieben werden. Die Banken müssen begreifen, dass nur kalkulierbare Risiken effektiv zu steuern sind. Wenn man seine Risiken aber nicht mehr kennt, weil sie nicht wirklich berechenbar sind, laufen wir immer wieder Gefahr, in eine Krise zu laufen.


In einem «Spiegel»-Interview plädiert der deutsche Bundespräsident und ehemalige IWF-Chef Horst Köhler für ein Bretton Woods II, um so einen wirksamen internationalen Ordnungsrahmen für die globale Ökonomie zu etablieren. Denken Sie, dass seitens aller Akteure dafür die Bereitschaft überhaupt vorhanden ist?


Ich bin überzeugt, dass die bestehenden Organisationen – insbesondere die Bank für internationalen Zahlungsausgleich und der IWF – für eine Bewältigung der Krise und vor allem auch eine bessere Beobachtung zukünftiger Entwicklungen ausreichen.


Herr Marty, wir bedanken uns für dieses Interview.





Zur Person:
Dr. h.c. rer.pol., lic. iur. Franz Marty ist seit 2002 im Verwaltungsrat der Raiffeisen Schweiz Genossenschaft und steht diesem noch bis ins Jahr 2010 als Präsident vor. Der 61-jährige Marty war zuvor im Regierungsrat des Kantons Schwyz (Vorsteher des Finanzdepartements), Landammann des Kantons Schwyz, Präsident der Zentralschweizer Regierungskonferenz und Präsident der Konferenz der Kantonalen Finanzdirektoren. Als Raiffeisen-VRP hat Franz Marty Einsitz im Bankratd der Schweizerischen Nationalbank. Zudem ist der in Goldau SZ wohnhafte Marty Senatsmitglied der Universität Freiburg, Präsident der Verfassungskommission des Kantons Schwyz sowie Stiftungsratspräsident der Schweizer Berghilfe.

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