Freizügigkeitsabkommen mit EU: BR verzichtet auf Anrufung der Schutzklausel

Die Reaktivierung der Kontingente liegt nach Meinung des Bundesrates zur Zeit nicht im Interesse der Schweiz. Die Erfahrungen mit der Personenfreizügigkeit seien positiv, und die Nachfrage der Schweizer Wirtschaft nach Arbeitskräften aus der EU sei anhaltend stark.


Neue Lagebeurteilung jederzeit möglich
Der Bundesrat behält sich aber vor, bei einer relevanten Änderung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage eine neue Lagebeurteilung vorzunehmen. Er hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) beauftragt, die Entwicklung zu verfolgen und im Herbst erneut Bericht zu erstatten.


B- und L-Bewilligungen ungleich
Mit der Aufhebung der Kontingentierung am 1. Juni 2007 wurde gegenüber den 15 «alten» EU-Staaten (EU-15) sowie gegenüber Zypern und Malta die volle Personenfreizügigkeit eingeführt. Die so genannte Ventilklausel sieht die Möglichkeit vor, die Kontingentierung befristet wieder einzuführen. Voraussetzung wäre, dass die Zahl der ausgestellten Bewilligungen in einem bestimmten Jahr um mindestens 10% über dem Durchschnitt der vorangegangenen drei Jahre liegt. Dies wird heute bei den Aufenthaltsbewilligungen B (5 Jahre) erfüllt, nicht jedoch bei den Kurzaufenthaltsbewilligungen L (4-12 Monate).


Seit Juni 2007 stieg die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen B stark an (bis Ende März 2008 waren es 80 300), während die Nachfrage nach Kurzaufenthaltsbewilligungen deutlich zurückging. Über die Hälfte der neuen B-Bewilligungen entfielen auf Personen, die bereits als Kurzaufenthalter oder Grenzgänger hier arbeiteten.


Kein Lohndumping
Der Bundesrat hat die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer Anrufung der Ventilklausel analysiert. Sein vorläufiger Verzicht basiert laut EJPD auf der Tatsache, dass die Erfahrungen mit der Personenfreizügigkeit überwiegend positiv sind und ein bedeutender Bedarf an Arbeitskräften aus der EU besteht. Die Zuwanderung aus dem EU-Raum folgte den Bedürfnissen der Wirtschaft und begünstigte den wirtschaftlichen Aufschwung, stellt das EJPD fest. Die Arbeitslosenquote sei konjunkturbedingt stark gesunken. Weder eine Verdrängung von Schweizer Arbeitnehmenden noch negative Auswirkungen auf das Lohnniveau seien feststellbar.


Kosten bei Sozialversicherungen deutlich unter den Erwartungen
Auch bei den Sozialversicherungen fielen die Mehrkosten deutlich geringer aus als erwartet. Das waren die Ergebnisse des Ende April publizierten 4. Observatoriumsberichts über die Auswirkungen der Personenfreizügigkeit. Dieser stellte fest, dass sich der freie Personenverkehr als Wirtschaftsmotor bewährt hat. (awp/mc/pg)

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