GDI: Die Zukunft der Evolution. Neue Studie «BANG» erschienen
Die Forschung hat sich des Unsichtbaren bemächtigt. Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Kognitionswissenschaften setzen die Welt auf der Ebene von Atomen, Genen und Bits neu zusammen. Damit ist alles gestaltbar geworden – nicht nur Produkte, auch die Umwelt einschliesslich des Menschen selbst. Wir haben uns in einen magischen Garten begeben, der sowohl betört wie erschreckt: Es ist das Zeitalter des totalen Designs, in welchem die Menschheit es in der Hand hat, den Begriff der Natur neu zu definieren. Schöpfung wird damit zu einer Gestaltungs aufgabe, die sich Atom für Atom bewerkstelligen lässt.
Konvergenz von nano-bio-info-cogno (NBIC)
Die vier Grundlagentechnologien nano-bio-info-cogno (NBIC) eröffnen uns neuartige Designoptionen im Nanomassstab (10-9 Meter), wobei das Ziel die Verbesserung der angesichts der technologischen Entwicklung antiquierten Biologie des Menschen ist. «Converging Technologies for Improving Human Performance» titelte der erste, einflussreiche NBIC-Report der amerikanischen National Science Foundation (Hrsg.: Mihail C. Roco, William Sims Bainbridge; NSF 2002) – deutlicher lässt es sich nicht formulieren. Ebenso deutlich treten die vielen Optionen für Wirtschaft, Gesellschaft und Individuum zu Tage, die sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus der Macht des technologischen Designs ergeben. Dazu müssen wir allerdings zuerst mit etablierten Denkmustern brechen: Die ganz grosse Zukunft, die unseren Alltag tief greifend verändern wird, liegt nicht bei den Einzelwissenschaften oder -technologien, sondern in deren Konvergenz, im Aufbrechen der klassischen Grenzen der Disziplinen und in ihrer Verschmelzung zu einem neuen Designansatz. Erst die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Designern macht die Entdeckung radikal neuer Anwendungsgebiete möglich und wird die Wertschöpfung nachhaltig verändern.
Technologie wird biologisch und Biologie technologisch
Dieser gestalterische Eingriff setzt eine künstliche Natur an die Stelle der echten. Er bedient sich der kleinsten Bausteine, die ihm im Nanomassstab zur Verfügung stehen, und formt die Welt sozusagen nach dem Lego-Prinzip. Im selben Zug lösen sich die Grenzen zwischen natürlich und künstlich, die unser Leben und die kulturelle Entwicklung bestimmt haben, auf. Bisher undenkbare Werkstoffe entstehen und lassen vielfältigste neue Anwendungen zu. Technologie wird biologisch und Biologie technologisch. Der Mensch wird von Gen an aufgebessert und mit Sinneserweiterungen und Schnittstellen fit für die Zukunft gemacht. Roboter finden sich nicht mehr nur als Fleissarbeiter in der Fabrik, sondern auch im Haus halt, wo sie immer menschlicher werden und soziale Funktionen übernehmen: Wir erleben damit eine neue Ära der Mensch-Maschine-Interaktion.
Weder naiver Futurismus noch Panikmache
Die kulturelle Risikobereitschaft der Gesellschaft hat zugenommen. Technologie gilt zunehmend als beherrschbar und Schöpfung als Challenge. Eher ungemütlich werden die Aussichten, wo die Macht zur Schöpfung allzu menschliche Phantasien weckt – etwa Zuchtwünsche, die Neuschichtung der Gesellschaft, der Kampf zwischen den Kulturen. Was bisher im Reich der Science-Fiction blieb, rückt immer näher an die Schwelle der Realisierbarkeit und lässt die grosse Verantwortung erahnen, vor der die Gestalter der neuen Welt schon in naher Zukunft stehen werden. Umso wichtiger ist es, dass wir die sozialen und ethischen Dimensionen dieser Entwicklung bereits heute diskutieren. Bisher war die NBIC-Debatte vor allem auf Nordamerika begrenzt, wo die treibenden Forschungsinstitute sitzen; in Europa gab es erst einzelne Anstrengungen wie die Ausstellung zur Zukunft des Designs «Entry 2006» in der Zeche Zollverein (Essen), zu der der Technikphilosoph Norbert Bolz das Manifest «BANG-Design» beigesteuert hat. Der Schweizer Thinktank Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) greift seinen Diskussions faden auf und stellt ihn in den grösseren Zusammenhang der evolutionären Entwicklung. Dabei sind weder naiver Futurismus noch Panikmache
das Ziel, es geht vielmehr um die Eröffnungsbilanz für ein neues Zeitalter.
(GDI/mc/hfu)