Allerdings ist das so erfolgreiche Geschäftsmodell der Biotech-Branche durch die ausgeprägte systemische Finanzierungsklemme extrem unter Druck geraten. In der heute vorgelegten Studie identifiziert Ernst & Young vier tiefgreifende Trends, die einen Paradigmenwechsel einläuten und letztlich zu nachhaltigeren Finanzierungslösungen für die Entwicklung von Arzneimitteln führen sollten. Hierzu gehören die Entwicklung einer Vielzahl neuer Generika auf Basis der aktuellen Blockbuster, der Anstieg der personalisierten Medizin, die Durchführung einer fundamentalen Gesundheitsreform in den USA und die fortgesetzte Globalisierung in diesem Sektor.
Kein «business as usual»
Jürg Zürcher, Partner und Biotechnology Leader bei Ernst & Young für Europa, den Mittleren Osten, Indien und Afrika, sagt: «Dies ist kein ‹business as usual› für die Biotech-Branche. Im Unterschied zu früheren Finanzierungsengpässen haben wir es hier mit einer systemischen, tiefen und lang anhaltenden Krise zu tun. Um in diesem Umfeld weiter zu wachsen, müssen sich die Unternehmen auf ihren Ideenreichtum besinnen, die diesen Sektor seit jeher auszeichnen, und nachhaltigere Finanzierungsmodelle für Innovationen entwickeln.»
Die wichtigsten Finanzkennzahlen im Überblick:
– Die Umsätze börsenkotierter Biotech-Unternehmen stiegen 2008 um 12% auf USD 89.7 Mrd. Weltweit sank der Reinverlust um 53% von USD 3 Mrd. im Jahr 2007 auf USD 1.4 Mrd. im Jahr 2008. In den USA erreichten die kotierten Unternehmen, zum ersten Mal die Gewinnzone.
– Bei der Kapitalaufnahme verzeichnete der Biotech-Sektor im Jahr 2008 einen erheblichen Rückgang. Unternehmen in Nord-, Mittel- und Südamerika sowie Europa nahmen Kapital in Höhe von nur USD 16 Mrd. auf. Dies sind 46% weniger als im Vergleich zum Vorjahr. Das Finanzierungsvolumen von Börsengängen (IPO) brach mit einem Minus von 95% sogar noch deutlicher ein und erreichte lediglich USD 116 Mio.
– Die Venture-Capital-Finanzierung zeigte sich im Jahr 2008 relativ robust. Im Vergleich zum Rekordwert aus dem Jahr 2007 sank das Finanzierungsvolumen um nur 19% auf rund USD 6 Mrd.
– Bei den Geschäftstransaktionen setzte sich die lebhafte Entwicklung fort. In den USA übertraf der Gesamtwert an Fusionen und Übernahmen (M&A) im Biotech-Sektor die Marke von USD 28.5 Mrd. Bereinigt um die Megatransaktionen aus den Vorjahren ist dies ein neuer Rekord. In Europa kletterte der Gesamtwert der M&A-Transaktionen auf USD 5 Mrd.
Suche nach frischem Kapital
«Den Biotech-Unternehmen in Europa erging es ähnlich wie den Firmen in den meisten Märkten. Die Finanzkrise hat auch bei ihnen deutliche Spuren hinterlassen. Viele von ihnen suchen deshalb mit grossem Nachdruck nach geeigneten Lösungen, um frisches Kapital aufzunehmen, ihre operativen Aktivitäten neu auszurichten und den Fortbestand ihres Unternehmens mit Hilfe innovativer Transaktionen zu sichern. Eine Konsolidierung scheint unvermeidlich», so Jürg Zürcher.
Auf dem Weg zu neuer Nachhaltigkeit
Der Studie «Beyond Borders» zufolge gilt es jetzt für die Biotech-Branche, eine existenzielle Bedrohung in eine Überlebenschance à la Darwin umzuwandeln. Die Lösung könnte in vier revolutionären Trends zu finden sein, die das Potenzial haben, den schwierigen Übergang zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell zu beschleunigen:
– Generika: Die Entwicklung von Generika auf der Basis aktueller Blockbuster-Medikamente sollte die Sparzwänge von Regierungen und Versicherungsgesellschaften lockern und den Preisdruck mildern, der auf innovativen Arzneimitteln lastet. So lassen sich höhere Margen erzielen.
– US-Gesundheitsreform: Dass künftig alle US-Bürger direkten Zugang zu einer Krankenversicherung haben sollen, dürfte voraussichtlich zur Einführung eines qualitätsbezogenen Kostenerstattungssystems (Pay-for-Performance-Konzept) am weltgrössten Medikamentenmarkt führen. Anreize für echte Innovationen sollten die Biotech-Unternehmen dabei unterstützen, stabile Erträge zu erwirtschaften.
– Personalisierte Medizin: Durch eine personalisierte Medizin steigt der relative Wert intensiver Forschung und frühzeitiger Entwicklungsergebnisse – eine traditionelle Stärke des Biotech-Sektors. Dies nützt der Verhandlungsmacht und verbessert die Bewertung der Unternehmen in diesem Sektor. Zudem trägt eine effektivere Medikamenten-Entwicklung zur Senkung der F&E-Kosten und somit mittelfristig zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Biotech-Unternehmen bei.
– Globalisierung: Durch den wachsenden Einfluss der Schwellenländer sind neue kreative Lösungen möglich – angefangen bei innovativen «Win-win»-Konzepten zur Sicherung ehemaliger US-Patentrechte, deren Wert weiter steigt, bis hin zu neuen Allianzen und Kapitalquellen. Gleichzeitig bieten die Geschäftsmodelle asiatischer Biotech-Unternehmen interessante Lösungsansätze für die unter Druck geratenen Unternehmen im industrialisierten Westen.
Neuer Marktdruck
Doch diese Trends werden auch neuen Marktdruck aufbauen. Hierzu gehören steigende Anforderungen im Bereich der Kostenerstattung sowie die Entstehung neuer Wettbewerbsquellen. Glen Giovannetti, Partner und Global Biotechnology Leader bei Ernst & Young, sagt: «Um diese vier Markttreiber und ihre Chancen wirksam zu nutzen, müssen die Unternehmen proaktiv handeln. Sie müssen verstehen, wie diese Trends ihr Geschäft beeinflussen, sich entsprechend darauf vorbereiten und diese nach Möglichkeit mitgestalten.»
Die wichtigsten Ergebnisse nach Regionen:
Europa:
– Die Umsätze der börsenkotierten Biotech-Unternehmen in Europa stiegen um 17% auf EUR 11.2 Mrd.- Der Gesamtkapitalzufluss betrug im Jahr 2008 weniger als EUR 2 Mrd. Im Vorjahr waren es noch EUR 5.5 Mrd.
USA:
– Die Umsätze der börsenkotierten Biotech-Unternehmen in den USA erhöhten sich im Jahr 2008 um 8.4% gegenüber 11.3% im Jahr 2007.- Überdies konnte der US-Gesamtsektor zum ersten Mal einen Reingewinn verbuchen, und zwar in Höhe von USD 0.4 Mrd.
– Die Venture-Capital-Finanzierung widerstand der Krise und kletterte im Jahr 2008 auf USD 4.4 Mrd. Dies ist das zweitbeste Ergebnis, das jemals erreicht wurde. Lediglich im Jahr 2007 wurde mit dem Rekordwert von USD 5.5 Mrd. ein besseres Ergebnis erzielt.
Asien-Pazifik:
– Die Umsätze der Biotech-Unternehmen in der Region Asien-Pazifik stiegen im Jahr 2008 um 25%, getrieben vom starken Wachstum im australischen Markt.
– Zugleich fiel die Börsenfinanzierung in Australien auf das Niveau von 2002 zurück. Japan und China meldeten nur einige wenige Börsengänge im Biotech-Sektor, während der Anteil der Private-Equity-Finanzierungen in Indien ein starkes Wachstum verzeichnete. (ernst&young/mc/ps)
Kurzporträt von Ernst & Young
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